MINISTER Latein mit Russen
Hermann Höcherl wählte eigenhändig Paris INV 5020 an und bekam seinen französischen Kollegen Edgar Faure an den Apparat.
Voll Stolz, keinen Dolmetscher zu brauchen, parlierte der Bayer in Bonn mit dem Mann an der Seine französisch.
Wie Höcherl es liebt, in langen Telephongesprächen mit Paris und Brüssel sein Französisch zu üben, das er mit bayrischem Akzent hervorsprudelt, so bevorzugt sein Landsmann Strauß mehr das Englische. »Ich spreche Bayrisch-Amerikanisch«, pflegte Strauß zu sagen, wenn er ohne Hemmung vor komischer Wirkung schon als Junger Nachkriegs-Landrat in Schongau oder später als Bundesverteidigungsminister in der Nato amerikanischen Militärs seine Ansichten plausibel zu machen versuchte.
Die Sprache des von ihm verehrten Staats-Generals de Gaulle beherrscht Strauß hingegen nur unvollkommen; jedoch begann der CSU-Chef, der sich einst in acht Semestern an der Münchner Universität auf den Beruf eines Lateinpaukers vorbereitet hatte, vor zwei Jahren auch noch Italienisch zu lernen.
Sein lateinischer Fundus kam dem neuen Finanzminister freilich nicht nur zustatten, wenn es galt, gebildete Zitate in Bundestagsreden einzustreuen, vielmehr verstand er es, unlängst in Rom mit dem Generalsekretär des Dominikanerordens sogar ein Gespräch über moralische Aspekte der Atom-Waffen (Strauß: »Instrumenta vi atomica emplodentia") zu führen.
So hemmungslos wie die Bayern vermögen allerdings nicht alle Bonner Minister sich fremder Zunge zu bedienen.
Im Gegensatz zu Amtsvorgänger Erhard, der des Auswärtigen nicht mächtig war, führte Kanzler Kiesinger im Großen -- Koalitions -- Kabinett den Brauch ein, gelegentlich französische und englische Floskeln in die Debatte einzuflechten. Als der Kanzler jüngst wieder einmal seinen Lieblingsautor Alexis de Tocqueville im Original zitierte, erklang allerdings vom entfernten Rund des Kabinettstisches, wo die linguistischen Normalverbraucher sitzen, ein fragendes »Häh?«
Die Masse der Minister hilft sich in der Tat mit mehr oder weniger brockenhaften Sprachkenntnissen durchs Dasein. Gesundheitsministerin Käte Strobel behielt aus ihrer Handelsschulzeit nur ein wenig Englisch; der gelernte Buchdrucker Schatzminister Schmücker versteht etwas Englisch und Französisch; und Wohnungsbauminister Lauritzen bekennt sich außer zu holsteinischem Plattdeutsch nur noch zu einem »mageren Schulenglisch«.
Entwicklungshilfe-Minister Wischnewski brachte von häufigen Reisen durch arabische und nordafrikanische Länder zwar den Spitznamen »Ben Wisch« mit, aber kein einziges Wort Arabisch. Mit passablem Französisch kam er auch so durch. Hans Katzer, Ressortchef für Arbeit und Soziales, erteilt sich selbst die Zensur: »Meine Schulkenntnisse in Englisch und Französisch sind sehr mäßig.«
Verkehrsminister Leber dagegen, von Hause aus gelernter Maurer, brachte sich Englisch im Selbststudium bei: »Das war ein langer Leidensweg.« Seine Hemmungen, auch tatsächlich zu sprechen, überwindet der Minister freilich nur manchmal. An eine Pressekonferenz im letzten Jahr bei der Uno in New York, die er auf deutsch und mit Dolmetscher absolvierte, erinnert sich Leber: »Beim Fragespiel habe ich unwillkürlich auf englisch geantwortet. Da ging's auf einmal ganz gut.«
Weniger gut beurteilt Frau Dollinger,Gattin des Bundespostministers, die Sprachkenntnisse ihres Mannes: »Englisch kann er sich gerade so unterhalten, sonst ist nicht viel drin. Er hat mal Französisch und Spanisch begonnen. Aber das ist lange her.«
Neben seinem geliebten Latein -- er war mal Studienassessor beherrscht Bundesfamilienminister Heck die beiden gängigen Weltsprachen nur leidlich.
Ganz ohne Fremdsprachen kommt Paul Lücke aus, der es vom Schlosserlehrling zum Bundesinnenminister brachte. Sein Kollege von der Justiz, Dr. Dr. Gustav Heinemann, polierte sein Schulenglisch als Essener Oberbürgermeister (1946 bis 1949) im Umgang mit der Besatzungsmacht wieder auf und hielt sich seither bei vielen Konferenzen als Abgesandter der evangelischen Kirche in Übung.
Akzentfreies Englisch eignete sich der Kabinettsbenjamin, Wissenschaftsminister Stoltenberg, 38, als Reeducation-Stipendiat in den USA an.
Der Kabinettssenior, Bundesratsminister Carlo Schmid, 70, als Sohn einer französischen Mutter in Perpignan geboren, ist dagegen ein wahrer Sprachkrösus: »Außer Deutsch und Schwäbisch spreche ich Französisch als zweite Muttersprache.« Mit dem Englisch hapert es zwar etwas (Schmid: »Dafür habe ich wohl nicht den richtigen Gaumen"), aber es kommen Italienisch ("Früher konnte ich es fließend, heute habe ich Hemmungen zu sprechen") und Spanisch ("Mit Hilfe eines Wörterbuches habe ich einmal alte Texte bearbeitet") sowie Latein und Griechisch ("Da kommt es auf die Texte an") hinzu.
Schmids Professoren-Kollege Karl Schiller vom Wirtschaftsressort spricht Italienisch und Spanisch »nur für den Hausgebrauch«, kann aber gut Französisch und hielt auf englisch schon Vorlesung über Wirtschaftspolitik vor Studenten der Harvard-Universität.
Akademisches Englisch beherrscht auch Verteidigungsminister Schröder. Er lernte es als junger Jura-Student an der schottischen Universität Edinburgh. Aber obwohl Schröder heute noch täglich englische und französische Zeitungen studiert, bediente er sich zu seiner Außenminister-Zeit bei offiziellen Anlässen stets eines Dolmetschers.
Ganz anders der Nachfolger im AA, Willy Brandt. Schon vor der WEU-Versammlung kurz nach seinem Amtsantritt am 15. Dezember trumpfte der Außenminister in Paris mit fließendem Englisch auf.
Sein Sprachtalent bildete Brandt während der Zeit des Dritten Reiches in norwegischer Emigration. Ehefrau Rut Brandt, gebürtige Norwegerin, urteilt über ihren Mann: »Er spricht Norwegisch wie ein Norweger, Schwedisch kann er, wenn er will, Französisch, wenn er muß.« Italienisch kann sich Brandt auch verständlich machen.
Bei so viel Sprachbegabung im schwarz-roten Kabinett ist gleichwohl keiner der Minister des Russischen mächtig. Der polyglotte Carlo Schmid, 1955 mit Kanzler Adenauer auf Moskau-Besuch, behalf sich damals mit der Sprache des Vatikans -- er unterhielt sich mit Ex-Ministerpräsident Malenkow auf lateinisch.
Der Gesamtdeutsche Minister Herbert Wehner, der 1935 für sechs Jahre in die Sowjet-Union emigrierte, hat sich damals, so Tochter Greta Burmeester, »überhaupt nicht bemüht, Russisch zu lernen«. Englisch und Französisch kann er dagegen gut. Er lernte auch Schwedisch in Wort und Schrift, als er 1941 illegal aus Moskau nach Schweden kam.
Die ausgefallenste Sprachgabe kultivierte Vertriebenenminister von Hassel. Neben perfektem Englisch eignete er sich als Pflanzungskaufmann die Eingeborenensprache der Suaheli an und brachte vor dem Kriege in einem Dresdener Verlag sogar eine kurzgefaßte Grammatik für dieses Idiom heraus.
Im Eifer, auf englisch zu artikulieren, übertrifft freilich einer sie alle: Bundespräsident Heinrich Lübke. Die Eigenwilligkeit seiner Formulierungen verblüfft dabei Ausländer wie deutsche Dolmetscher stets aufs neue. Als Englands Königin am Rhein Staatsbesuch machte, kleidete Lübke die Mitteilung an seinen Gast, das Konzert im Schloß Brühl werde sogleich beginnen (so berichtete die Bonner Fama), in den Satz: »Equal goes it loose« -- eine eigene Übersetzung von: Gleich geht es los.
Englands Premierminister Wilson, vor sieben Wochen zu Gast in Bonn, war gleichwohl diplomatisch genug, dem Bundespräsidenten, wegen seines vortrefflichen Englisch Komplimente zu machen.