ADENAUER-KRANKHEIT Latentes Leiden
Die Krankheit begleitete ihn wie ein Schatten. Auf Röntgenphotos von den Atemwegen des Patienten war der Schatten sichtbar -- schon seit langem.
Aber das Leiden, das zum Tode Konrad Adenauers führte, war keine dramatische, keine verzehrende Heimsuchung wie Krebs oder Herzinfarkt. Es war eine Krankheit, von der die Ärzte mit Besorgnis feststellen, daß sie zu oft von den Betroffenen mißachtet wird -- weil sie anfangs so harmlos, »so banal scheint« (wie Dr. Heinrich Herzog, Lungenspezialist an der Basler Universitätsklinik, formulierte).
An Bronchitis, wie sie von den Ärzten schon seit über einem Jahrzehnt bei Deutschlands erstem Bundeskanzler diagnostiziert wurde, sterben jedes Jahr in der Bundesrepublik 9000 Menschen, mehr als an Tbc. Alljährlich werden 22 000 Männer und Frauen wegen dieses Leidens vorzeitig pensioniert.
Die Erscheinungsformen der verbreiteten Krankheit reichen vom unauffälligen, aber zwanghaft wiederkehrenden Räuspern oder Hüsteln bis zur schweren chronischen Bronchitis. die namentlich alten Menschen lebensgefährlich sein kann: Würgende Hustenanfälle halten verbrauchte Atem-Luft in der Lunge gefangen, der Patient kann nicht mehr frei ausatmen -- die Mediziner sprechen von einer Bläh-Lunge (Emphysem). Sauerstoffmangel und Blutstau im Herzen belasten gleichzeitig den Kreislauf und die Herztätigkeit.
Die Ärzte kennen ein ganzes Bündel von Ursachen und auslösenden Faktoren für die Bronchitis, die oft zusammenwirken -- darunter auch das Zigarettenrauchen, Industriestaub und naßkaltes Klima. England gilt dementsprechend als typisches Bronchitis-Land; die Ärzte schätzen, daß etwa ein Drittel der britischen Bevölkerung über 50 Jahren an chronischer Bronchitis leidet.
Besonders anfällig für Erkältungen der Atemwege -- typisches Merkmal des latenten Leidens -- zeigte sich Adenauer, schon solange er regierte. Es wurde fast zum Bonner Adventsbrauch, daß Deutschlands Kanzler gegen Weihnachten eine Zeitlang seine Amtsgeschäfte vom Rhöndorfer Krankenlager führte. Stets suchte das Bundespresseamt die nicht selten bedrohlichen Bronchitis-Anfälle zu harmlosen »grippalen Infekten, das Fieber zu »erhöhter Temperatur« herunterzuspielen.
Einmal, im Spätherbst 1955, stand es um Adenauers konstitutionell schwache Lunge (derentwegen er 1896 vom Militärdienst zurückgestellt worden war) schon so schlecht, daß Heinrich von Brentano sich zur Nachfolge bereit machte. Und 1959 diente ein vertraulicher Gesundheitsbericht des Adenauer-Leibarztes Professor Paul Martini einigen Bonner CDU-Politikern als Argument für ihren Vorschlag, den Kanzler auf den Bundespräsidentensessel fortzukomplimentieren.
Konrad Adenauer überlebte den Arzt und den Nachfolge-Anwärter Brentano. Mit »Bayrischem Blockmalz«, einer Bonbon-Spezialität aus der Bonner Kaiser-Apotheke, pflegte er seine Atemwege; ein Wasserzerstäuber klimatisierte nach Bedarf die Luft seines Büros im Palais Schaumburg. Doch wann immer der Kanzler, ärztlichen Rat mißachtend, barhäuptig sich Wind und Regen aussetzte, bangte die Hausärztin Ella Bebber-Buch: Mehrmais, so nach einem November-Besuch in Washington und bei einem Empfang Macmillans in Köln-Wahn, war längere Krankheit die Folge gewesen.
Dreimal auch während der letzten sechs Monate vor seinem Tode hatte der Rhöndorfer Memoirenschreiber Bronchitis-Attacken erduldet. So traf die letzte Grippe-Infektion vom 11. April den Organismus des Erkrankten geschwächt an.
»Dieser Mann ist ein Phänomen«, so hatte einmal Adenauer-Leibprofessor Martini seinen bejahrten Schützling klassifiziert; sein Lebenswille entziehe sich »naturwissenschaftlich-medizinischer Erklärung«. Und die Nation, die in der Adenauer-Ära seines hohen Alters wegen oft bangte. rankte zugleich Anekdoten um die legendäre Lebensfrische ihres Patriarchen.
Sieben Ärzte versammelten sich am letzten Krankenlager des Staatsmannes zu gemeinsamem Ratschluß. Mit konzentrierter Sauerstoffzufuhr und Medikamenten, die das Atemzentrum anregen und den Blutkreislauf des Patienten stützen sollten, suchten sie das Geschehen aufzuhalten.
Doch ärztliche Kunst vermochte den Bannkreis der fortschreitenden Krankheit -- zunehmende Blockade der Atemwege und zugleich wachsender Sauerstoffbedarf -- nicht mehr zu durchbrechen.