RUNDFUNK / BAYERN Laufend aufgeheizt
Hans Drachsler, CSU-Landtagsabgeordneter aus München und Mitglied des Rundfunkrats des Bayerischen Rundfunks (BR), sagt, wie es ist: »Wir haben die Mehrheit. Wir können alles. Natürlich können wir auch das Rundfunkgesetz ändern.«
Ob die CSU -- mit 124 von 204 Sitzen im Landtag in der absoluten Übermacht -- auch will, was sie kann, ist noch ungewiß. Fraktionschef Ludwig Huber hat seine Abgeordneten zu einer rundfunkpolitischen Spezialtagung nach den Osterferien geladen. Dort soll geklärt werden, ob
* dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Bayern eine private Konkurrenz zur Seite gestellt und
* die politische Aufsicht über den Bayerischen Rundfunk verstärkt werden soll.
Denn die CSU des Freistaats beobachtet seit langem mit Unbehagen, was der Münchner Sender von »Morgens in aller Fruah« bis zum »Konzert vor Mitternacht« (2. Hörfunkprogramm) zwischen dem »Klingenden Wecker« und der »Melodie zur späten Stunde« (1. Hörfunkprogramm) den Bürgern an der Isar bietet: »Im Jugendfunk« im Hausfrauenfunk, überall wird so ein kleiner Tropfen roten Giftes gespritzt« -- so CSU-Vorsitzender Franz Josef Strauß.
Der Parteichef warnte niederbayrische Bauern vor der »roten Unterwanderung in Funk und Fernsehen« und die »Bild«-Leser vor einer »falsch Informierten Gesellschaft, die durch die Machtergreifung der roten Reichsfernsehkammer laufend aufgeheizt wird«. Und allen versprach Strauß eine »Wende in absehbarer Zelt«.
Den starken Worten des Vorsitzenden folgten alsbald Taten. Aus dem unterfränkischen Odenwald-Städtchen Amorbach meldete sich eine »Studiengesellschaft für staatspolitische Öffentlichkeitsarbeit e. V.« (Kuratoriumsmitglied: Bayerns CSU-Ministerpräsident Alfons Goppel) und schickte an den Landtag ein von dem Würzburger Rechts-Professor Friedrich August von der Heydte redigiertes Reformpapier.
Danach sollen die Zusammensetzung des Rundfunkrats dem Parteien-Proporz im Landtag angeglichen« die Zusammenarbeit mit den ARD-Anstalten gelockert, Kommentatoren in ihrer Meinungsfreiheit eingeengt und der Intendant jederzeit abberufbar sein.
Selbst parteifromme Fachleute wie Josef Othmar Zäher, CSU-Mitglied und leitender Redakteur beim Bayern-Hörfunk, empfinden diesen Polit-Proporz als einen »Ausverkauf der Potenzen im Funkjournalismus«. Da nach dem Amorbacher Entwurf künftig jedes Manuskript vor der Sendung dem »zuständigen Redaktionsteam« unterbreitet werden müsse, gebe es für einen Rundfunkjournalisten nur noch die Alternative »umfallen oder aussteigen« (Zöller).
Der CSU-Kreisverband Starnberg, dem neben Zöller auch Bayerns Landtagspräsident und BR-Verwaltungsratsvorsitzender Rudolf Hanauer angehört, lehnte die Politisierung des Rundfunkrats in einem Beschluß denn auch vorsorglich ab, weil »eine solche Reform die sinnvolle demokratische Mitbestimmung über öffentlich-rechtliche Massenmedien entscheidend verkürzen« würde.
Eine solche Verkürzung scheint der CSU-Trupp aus dem Odenwald aber bewußt in Kauf zu nehmen. Denn was die CSU am Montag letzter Woche als Belege für die »Reichsrundfunkkammer mit Linksdrall« (Strauß) nachlieferte, ist dürftig und rechtfertigt keinesfalls den geplanten Umbau der bayrischen Rundfunkstruktur.
Die »Unions-Correspondenz« der CSU beanstandet solche Sätze aus Sendungen des Bayerischen Rundfunks:
* »Daß Homosexualität und Selbstbefriedigung unnatürlich und pervers seien, spukt noch immer in dieser Art von religiöser Unterweisung herum, mit der man die Gläubigen traktiert« ("Das Notizbuch«, 7. März, 1. Programm).
* »Treue bildet innerhalb der für die Frau entworfenen Moral noch immer den zentralen Begriff« ("Familienfunk«, 7. März).
* »Daß Meinungsverschiedenheiten mit so viel kleinbürgerlichem Kleinmut ausgetragen werden, Ist ärgerlich« (BR-Kommentator Walter Kröpelin über den Streit des Münchner Oberburgermeisters Vogel mit den Jusos).
Als viertes Exempel zitiert die CSU-»Correspondenz« den »Panorama«-Moderator Peter Merseburger zum Fall Finck:
* »Unser nächster Beitrag handelt vom Kampf eines kleinen Bauern gegen den Freistaat Bayern, der wiederum im Bunde ist mit dem reichsten Mann Deutschlands. Da wir heute nun einmal an einem historischen Datum senden, sei der Hinweis in Parenthese erlaubt -- das Reich des Alten vom Sachsenwald war auch das Reich der Junker und der Großagrarier.«
Auf das Merseburger-Magazin freilich haben Bayerns Rundfunkräte, ob ständisch oder politisch, keinen Einfluß -- es sei denn, »man zwickt das ARD-Programm ab« (so MdL Drachsler). Das aber können die Bayern auch ohne die Odenwälder Reformer schon jetzt. Nach dem »Fernsehvertrag der ARD« ist »jede Rundfunkanstalt berechtigt, auf die Ausstrahlung von Teilen des Fernsehgemeinschaftsprogramms zu verzichten.
Und der Münchner Sender hat als einzige Anstalt von dieser Möglichkeit auch schon Gebrauch gemacht. In früheren Jahren durften bayrische Fernseher Sendungen wie »Lysistrata« und »Das Bohrloch -- oder Bayern ist nicht Texas« nicht sehen, vor drei Wochen kappte Münchens Fernsehdirektor Helmut Oeller die Sendung »Zoom«, einen Bericht über politische Agitation. Denn, so Drachsler: »Des war nix für uns.«
Allzu hemmungslos können sich die Bayern der »Abzwickerei« (so der CSU-Landtagsabgeordnete Erwin Stein) freilich nicht hingeben, denn allein der Norddeutsche Rundfunk und der Westdeutsche Rundfunk produzieren fast die Hälfte des ARD-Gemeinschaftsprogramms. Um diese Sendungen vollständig durch eigene Produktionen zu ersetzen, reicht die Potenz des Bayerischen Rundfunks weder finanziell (ARD-Gemeinschaftsprogramm-Kosten: 285 Millionen Mark, BR-Fernsehetat: 86 Millionen Mark) noch publizistisch.
Während sich nämlich die CSU schon jetzt schwertut, die »kleinen Tropfen roten Giftes« im Münchner Programm noch ausfindig zu machen, häufen sich über bayrische Produktionen Urteile wie »relativer Schwachsinn« oder »opahaftes Gebrabbel« -- so der Evangelische Pressedienst (epd) über die neue Münchner Magazin-Sendung »Mobile«.
Wie bei einer derartigen Potenzschwäche das Programm eines von der CSU konzessionierten Privatsenders aussehen soll, weiß zur Zeit noch niemand. Gleichwohl forciert MdL Stein seit letzten Herbst einen Gesetzentwurf »über die Errichtung und die Aufgaben eines privaten Rundfunks in Bayern«, den er freilich für »a bißl a langfristige G'schicht« hält. Stein: »Wir machen da keine Hauruck-Aktion.«
Bedächtig geht auch der erste und einzige Konzessionsanwärter ans Werk, der sich bislang bei Stein gemeldet hat. Der Münchner Fachzeitschriftenverleger Bert Schnitzler ("Le dernier cri"), der seit Sommer letzten Jahres zusammen mit der Gütersloher Bücherfabrik Bertelsmann die deutschen Urlauber am Mittelmeer mit Werbefunk versorgt, rechnet mit Startinvestitionen von drei Millionen Mark für den zunächst geplanten Privathörfunk und will ausdrücklich auf »den Pomp der ARD« verzichten.
Außer einem mit leeren Eierschachteln schalldicht gemachten Mini-Studio in einer ehemaligen Besenkammer von etwa zwei Quadratmetern will Schnitzler vorerst lediglich einen städtischen Bunker am Olympiagelände, in dem zur Zeit noch Champignons gezüchtet werden, oder ein ähnliches Quartier anmieten. Schnitzler: »Auch der NDR hat mal in einem Bunker ganz klein angefangen.«
Wie klein Schnitzlers Besenkammer und wie dürftig das Odenwalder CSU-Papier fürs erste auch noch sein mögen, so gewiß ist die Omnipotenz der CSU, die Mini-Projekte je nach Bedarf hochzumanipulieren. Stein: »Der Rundfunk steht der politischen Disposition zur Verfügung.«
Was die CSU mit der freistaatlichen Funkhoheit alles anstellen kann, ließ sie sich schon vor Jahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof rechtlich bescheinigen. Als der Bayerische Rundfunk damals gegen Versuche eines verstärkten Staatseinflusses aufmuckte, mußte er sich von Oberstaatsanwalt Dr. Rudolf Samper sagen lassen: »Der Rundfunk kann vom (Frei-)Staat aufgelöst, in Fernsehen und Hörfunk unterteilt, in Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder Aktiengesellschaften umgegründet und auch vom Staat direkt finanziert werden.«
BR-Pressesprecher Arthur Bader erweiterte das Repertoire des Staatsanwalts: »Ein übermächtiger Staat könnte zum Beispiel auch den Obersten Rechnungshof auflösen, der in seinem Jahresbericht grundsätzlich die Regierung kritisiert.«