Zur Ausgabe
Artikel 17 / 98

Wahlwerbung Lauter Gutes

Zur besten Sendezeit können die vier Bundestagsparteien auch in diesem Wahlkampf wieder Gratis-Reklame auf dem Bildschirm betreiben.
aus DER SPIEGEL 42/1972

Seit Montag letzter Woche fahren nachmittags, spätestens bis 15 Uhr, bei den Bonner Studios von ARD und ZDF Kuriere aus den Parteizentralen vor und entladen eine geheime Fracht.

Wenige Stunden später, nach »Heute«, »Tagesschau« und Wetterkarte um 20.15 Uhr, wird das bis dahin vertrauliche Material im Ersten und Zweiten Deutschen Fernsehen vorgeführt: Bunte Bilder von seriösen Herren, die lauter Gutes verheißen -- die Werbespots der Bonner »Parteien zur Wahl« (Sendetitel).

Am Montag erklärte der SPD-Vorsitzende Willy Brandt seinen »lieben Mitbürgerinnen und Mitbürgern«, »daß es uns besser geht als vor drei Jahren«.

Am Dienstag kündigte der CDU-Chef Rainer Barzel seinen »verehrten Zuschauern« »eine Regierung« an, »die mit der besseren Mannschaft antritt«.

Am Mittwoch ließ sich Walter Scheel als »Weichensteller der sozialliberalen Koalition« präsentieren. Er erklärte« durch Trompeten-Fanal untermalt, daß es »nur mit einer starken FDP weitergeht mit Vernunft«.

Am Donnerstag lockte CSU-80ß Franz Josef Strauß, nach verpopten Wagner-Klängen und Schreckensphotos von Waffenarsenalen, linken Demonstranten und durchsuchten Redaktionen, die Wähler »zurück zu einer Politik der Vernunft, der Solidität und Stabilität, und das geht nur durch die CDU/CSU«.

Solche Reklame nach 20 Uhr ist im Fernsehen eigentlich verboten, Aber schon bei der letzten Bundestagswahl 1969 hatten sich ARD und ZDF verpflichtet. wenigstens allen Parteien des Bonner Parlaments -- streng nach Proporz aufgeschlüsselt -- »angemessene Sendezeit für Informationen und zur Selbstdarstellung« freizugeben.

Diese Vereinbarung wurde jetzt nur wenig variiert. Die Wahlkampfmanager reduzierten von sich aus die Dauer der Spots auf maximal zweieinhalb Minuten; CDU und SPD besetzen je neun, CSU und FDP je fünf Termine; den Anfang machten diesmal die Sozialdemokraten. das Schlußwort hat, am Freitag vor der Wahl, Rainer Barzel.

Außer den Samstagen. Sonn- und Feiertagen, die reklamefrei bleiben, sind noch sechs Sendetermine offen -- Reserven für etwaige Wiederholungen. Wiederholt wird, wenn technischer Pannen wegen »mehr als ein Drittel der Zuschauer keinen Empfang haben konnte« oder die Wirkung der Sendung »erheblich beeinträchtigt wurde« (Vereinbarungsprotokoll). Der freie Platz ist aber auch für NPD und DKP gedacht. die unter gewissen Bedingungen noch Anspruch auf TV-Zeit erheben können, beim ZDF beispielsweise. wenn die Parteien »mindestens einen Landeswahlvorschlag« eingereicht haben (Staatsvertrag).

Für die Spots müssen die Parteien die volle Verantwortung übernehmen. ARD und ZDF sorgen lediglich für die Verbreitung; zwar dürfen die Parteien die optischen und akustischen Signets sowie das formale Konzept etablierter Fernsehsendungen nicht kopieren und ihre Reklamekürzel auch nicht als redaktionelle Beiträge aufmachen. Aber »eine Inhaltskontrolle wird nur bedingt durchgeführt« (so der Bonner ARD-Studio-Leiter Gerd Ruge). und »die Ablehnung eines Spots« kommt für ARD-Polit-Koordinator Heinz Werner Hübner »bloß in Frage, wenn darin zu Mord oder Revolution aufgerufen würde«.

Zumindest die großen Parteien lassen ihre Wahl-Werbung als Gemisch aus »Wort zum Sonntag« und Magazin-Look von alten Routiniers machen, die schon letztes Mal dabei waren.

Zwar weiß CDU-Freund Peter von Zahn »eigentlich nicht so recht, warum die CDU auf mich verfallen ist«; aber nachdem er Barzels Team schon lange »hin und wieder so ein wenig beraten« hat, darf er sich jetzt »als eine Art ausführendes Organ« der christdemokratischen Wahlkampfzentrale fühlen. CDU-Wahlmanager Karl-Ludwig Krakow sieht seine Partei nach dem ersten Zahn-Spot denn auch schon vorn auf dem Bildschirm: »Barzel war besser, weil er selbst formuliert. Brandt mußte ja ablesen, was andere ihm diktiert haben.«

Die SPD sieht »das anders. »Alle Leute fanden Brandt sehr gut«, versichert der Wahlkämpfer Volker Riegger in der SPD-Baracke, »er hinterließ einen dynamischen Eindruck.« Auch »Barzel mußte«, laut Riegger, »natürlich ablesen, aber das hat er eben vertuscht«. Auch Show-Regisseur ("Romeo und Julia 70") und SPD-Sympathisant Michael Pfleghar, der den Genossen die Spots dreht, schätzt seine Produktion »einfach durch die Figur von Willy Brandt« höher ein als die Barzel-Bilder der Opposition.

»Wir lassen uns etwas mehr einfallen als die Großen«, rühmt FDP-Wahlstratege Gustav Büsing: Für die Liberalen setzt die Kölner »Müller-Scherak-Film« sogar elektronische Mischtechnik ein, um Scheel und die Seinen trickreich zu beleben. Selbst die Münchner »Insel-Film«, die von der CSU »top secret mit dem heißen Eisen Werbespot« betraut wurde, hält »wenigstens für die reine Optik« viel auf ihre »künstlerische Freiheit«, auch wenn »wir meistens den Parteivorsitzenden zeigen müssen« (Herstellungsleiter Ulrich Schwarz).

Aktuell sein wollen alle. So sind die meisten Spots bis jetzt auch bloß konzipiert. nicht aber abgedreht: Die Parteien möchten auch unerwartete Wahlkampfthemen noch kurzfristig auf dem Bildschirm zur Sprache bringen. Selbst die Spitzenpolitiker stehen dafür trotz Wahlkampf-Streß parat.

Denn der Bildschirm ist ihr größtes und billigstes Forum. 1969 hatten die Parteien an manchen Abenden über 30 Millionen Zuschauer -- und das zum Nulltarif. Normalerweise kosten sogar im Saarländischen Rundfunk 30 Sekunden Werbung 1800, im Westdeutschen Werbefernsehen 13 900 und im bundesweiten ZDF gar 24 600 Mark.

Zur Ausgabe
Artikel 17 / 98
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren