VIETNAM / TUNNELKRIEG Lebendig begraben
Die größte Operation des Vietnam -Krieges endete als bisher größte Pleite.
20 000 Soldaten, US-Fallschirmjäger der berühmten »Ersten Kavallerie -Division« und vietnamesische Marine -Infanteristen, hatten Mitte Oktober einen eisernen Ring um das Dschungeltal von Sûoi La Tinh in Mittelvietnam gelegt. Im Dickicht des Tales kampierten, so hatten Späher berichtet, mindestens dreitausend Vietcong-Guerillas, darunter zwei Bataillone der regulären 325. nordvietnamesischen Division.
Als die Angreifer am zweiten Tag auf den Feind stießen, meldete Saigon den Beginn, der »Kesselschlacht von Sûoi«. Ein US-Militärsprecher prophezeite: »Die Partisanen sitzen in einer ausweglosen Falle.«
Nach fünfstündigem Gefecht mit einer Guerilla-Kompanie - die Amerikaner verloren dabei etwa 50 Mann an Toten und Verwundeten und vier Hubschrauber - drangen Amerikaner und Südvietnamesen ins Zentrum des Tales vor. Doch die eingekesselten roten Bataillone waren spurlos verschwunden.
Die GIs schrien Verrat. »Jede Operation, an der mehr als ein vietnamesisches Bataillon teilnimmt, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt«, zürnte US-Oberst Tim Brown. »Diese Burschen können kein Geheimnis länger als 30 Sekunden für sich behalten«, grollte ein anderer amerikanischer Offizier.
Diesmal lag die Schuld jedoch offenkundig nicht bei vietnamesischen Verrätern. Französische Veteranen des ersten Indochinakrieges hätten den Amerikanern sagen können, wie der Feind entkommen war:
Im April 1954 war das »Groupement Mobil No. 100«, eine motorisierte Eingreif-Truppe aus drei Infanterie -Bataillonen, - einer Panzerspähwagen -Schwadron und einer Batterie 10,5 -Zentimeter-Haubitzen, bei An Khé in
einen kommunistischen Hinterhalt geraten. Die Franzosen wurden vom 108. Vietminh-Regiment, einer Elite-Einheit des Partisanengenerals Giap, überraschend angegriffen und völlig aufgerieben.
Später entdeckten die Franzosen, woher die Vietminh gekommen waren: durch unterirdische Stollen aus dem Tal von Sûoi La Tinh.
Unterirdische Stützpunkte, Tunnel -Labyrinthe für den Rückzug und für Überraschungsangriffe waren von jeher eine Spezialität der Guerillas aus der Schule Maos: General Giap verdankte unter anderem seiner Tunnel-Taktik bei Dien Bien Phu den entscheidenden Sieg über die Franzosen.
Die Vietcong nützen seit Beginn des zweiten Vietnamkrieges nicht nur die von den Vietminh hinterlassenen Maulwurf-Anlagen, sie haben den Krieg aus dem Untergrund perfektioniert. Die zwei Drittel Vietnams, die sie ganz oder zeitweise kontrollieren, wurden in eine unterirdische Festung verwandelt, mit Zehntausenden Kilometern Stollen und Höhlen. Die unterirdischen Gänge reichen bis vor die Tore der Hauptstadt Saigon und bis an den Stacheldraht der großen US-Stützpunkte. Ein normal gewachsener GI paßt nicht hinein, aber für die schmalgliedrigen Vietnamesen sind sie gerade groß genug. Ihre Ein- und Ausgänge werden meisterhaft getarnt.
Eine vergebliche Jagd auf Graben-Guerillas nahe dem US -Stützpunkt Da Nang schilderte jüngst der amerikanische Major Robert Ley: »Vor uns
tauchte plötzlich etwa ein Dutzend Vietcong auf. Als sie in ein Haus rannten, begann ich zu schießen. Ich muß einen getroffen haben, denn er fiel gegen den Türpfosten. Ein anderer Guerilla zog den Verwundeten ins Haus.
»Wir umstellten den Platz, und ich könnte schwören, daß niemand durch die Hintertür 'rauskam. Aber wir fanden von den Vietcong keine Spur mehr. Wir brannten das Haus nieder, aber einen Tunnel entdeckten wir nicht, obwohl einer da sein mußte.«
Der in Moskau lebende australische Kommunist Wilfred Burchett gibt in seinem jüngst erschienenen Buch »Partisanen contra Generale« erstmals Einzelheiten über die unterirdischen Festungen preis. Burchett, der 1964 mehrere Monate lang mit Guerillas durch den Dschungel zog, erzählt:
»Das Tunnelnetz innerhalb eines einzigen Dorfes ist oft über 30 Kilometer
lang. Die engen Gänge führen zu geräumigen, getarnten Feuerstellungen, von denen aus jede Annäherung bemerkt werden kann. Oftmals verbinden die Tunnel sogar mehrere Dörfer miteinander, die Anlagen sind mit bombensicheren Kavernen versehen.«
Laut Burchett gibt es 4500 solcher unterirdischen Festungen. Sie dienen nicht nur als Schlupfwinkel oder Angriffsstellungen: Feldspitäler, Vorratslager, Munitionsfabriken und Druckereien wurden unter die Erde verlegt. Raffinierte Fallen und selbstgebaute Primitiv-Waffen sichern die Forts gegen Eindringlinge. Die Amerikaner setzen deshalb gegen die Höhlenkrieger seit Oktober wieder ein Kampfmittel ein, das vor zehn Monaten erstmals verwendet, im März aber nach weltweiten Protesten aus dem Verkehr gezogen wurde Tränengas und (nicht tödliche) Nervengase.
Bei großen Anlagen aber ist auch Gas wirkungslos: Die roten Maulwürfe sichern sich mit Trennwänden, Scheinstollen und doppelten Gängen gegen das Ausräuchern ab.
Je überlegener die Amerikaner auf der Erde werden, um so mehr sind die Vietcong auf den Untergrund angewiesen. Sie rekrutieren, da der Bau einer einzigen großen Tunnel-Festung Zehntausende Arbeitsstunden verschlingt, immer mehr Bauern für die Fron mit Hacke und Spaten.
Widerspenstige Dörfler treiben die Roten mit Terror zum Schanzen: Zwei Bauern in einem Dorf bei Quang Ngai, etwa 550 Kilometer nordöstlich von Saigon, die den Tunnel-Robot verweigerten, wurden Anfang November auf Befehl des örtlichen Vietcong-Kommandeurs gefesselt und lebendig begraben.
US-Soldat vor Vietcong-Tunnel
Ein Netz von Stollen und Höhlen ...
Vietcong-Guerillas im Schutztunnel
... bis vor die Tore der Hauptstadt
Vietcong-»Morgenstern"*: Fallen im Dschungel
* Der mit scharfen Bambusspitzen Versehene, bis zu 200 Kilogramm schwere »Fliegende Morgenstern« wird, an einem Seil hängend, gegen den anrückenden Feind geschleudert.