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GEHEIMNISBRUCH Leerer Sack

Schon wieder sind Regierungsgegner an Geheimmaterial gelangt. AA-Fahnder ermitteln in einem neuen Fall »schwerwiegender Indiskretion«.
aus DER SPIEGEL 33/1971

Paul Frank, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, bat seine Mitarbeiter, sich aus Rücksicht auf Ost-Berlin etwas einfallen zu lassen. In einer Notiz an sechs Beamte, die sich im AA mit Deutschlandpolitik befassen, regte er an, für den »innerdeutschen Dialog« der Staatssekretäre Egon Bahr (West) und Michael Kohl (Ost) einen neuen Namen zu finden. Sein Vorschlag: »Gespräche der zwei Staaten in Deutschland.«

Vierzehn »rage später, am Freitag vorletzter Woche, wurde Frank das erste Schriftstück mit der neuen Bezeichnung vorgelegt -- freilich stammte es nicht von seinen Beamten. Der CDU-nahe Informationsdienst »Klartext Bonn«, Nummer 29, veröffentlichte die von Frank vorgeschlagene Sprachregelung.

Angesichts des kleinen Adressatenkreises seines hausinternen Schreibens hoffte Frank. bei diesem neuen Fall »schwerwiegender Indiskretion« rasch die undichte Stelle zu finden und dabei möglicherweise auch den Informanten zu fassen, der die »Quick« kürzlich mit geheimen Berlin-Papieren und Geheimtelegrammen der deutschen Washington-Botschaft beliefert hatte.

Ministerialdirigent Horst Röding, Unterabteilungsleiter und damit Chef des Sicherheitsreferats in der AA-Zentralabteilung, übernahm die Ermittlungen. Jeder der sechs Beamten wurde einzeln vernommen. Doch Chef-Fahnder Roding kam nicht weiter. In schriftlichen Erklärungen versicherten alle sechs, nicht Informanten vom CDU"Klartext« gewesen zu sein.

Bislang einziges Ergebnis der peinlichen Diplomaten-Verhöre: Beim Essen in der AA-Kantine war mit Kollegen aus anderen Referaten über Franks Umtauf-Wunsch gesprochen worden; der Kreis, in dem der »kaltblütige Täter« (Frank) zu suchen ist, weitete sich auf ein gutes Dutzend aus.

Und selbst unter diesen Beamten, von denen einige in Urlaub sind und noch nicht befragt werden konnten, braucht der »Verräter« (Frank) nicht zu sein. Denn, so der bereits verhörte Klaus Blech, Leiter des AA-Deutschland-Referats und laut Frank »über jeden Verdacht erhaben": Man könne »nicht ausschließen, daß einer drauf geguckt hat. der nach dem Gang der Dinge nicht beteiligt War«.

Frank. der am Freitag vorletzter Woche nach Erscheinen von »Klartext Bonn« noch frohlockt hatte: »Jetzt kriegen wir den Kerl«, mochte sechs Tage später nicht mehr an einen Erfolg der Röding-Fahndung glauben. Der Staatssekretär am letzten Donnerstag: »Solche Ermittlungen gehen meistens aus wie das Hornberger Schießen.«

Wie Frank hatte sich auch das Bundeskanzleramt nach den Veröffentlichungen der Geheim-Papiere auf heißer Spur gewähnt. Dabei war auch der CSU-Chef ins Spiel gekommen.

Doch Strauß will es nicht gewesen sein. »Eher wird es«, so der Bayer, »dem Herrn Kanzleramtsminister Ehmke gelingen, aus einem leeren Sack Stroh ein Jahr lang Brot zu backen. als mir nachzuweisen. daß ich der Lieferant der Dokumente gewesen sei.

Strauß sagt. er habe die Geheimpapiere weder dem Inhalt nach gekannt, noch je in den Händen gehabt. Und zum Beweis seiner Unschuld bekannte der engagierte Anführer der rechten Front gegen die Ost- und Berlin-Politik der sozialliberalen Bundesregierung sogar: »Ich habe doch über den Problembereich Berlin nie im Detail gearbeitet.«

Der CSU-Chef richtete wütende Depeschen an Kanzleramtschef Ehmke und brachte im Bundestag eine zehnteilige Kleine Anfrage ein. Ehmke erklärte daraufhin sein Haus indirekt zum bloßen Zwischenträger der auf Strauß zielenden Information: Dem Kanzleramt seien natürlich auch die in Bonn »kursierenden Gerüchte« zu Ohren gekommen.

Nun versuchte Jurist Ehmke. der CDU/CSU wenigstens geistige Komplicenschaft anzulasten: »Mancher in der Opposition innerhalb und außerhalb des Parlaments« nimmt es »offenbar mit Beifall« auf. »daß im Kampf gegen die Politik der Bundesregierung die gemeinsame Rechtsordnung nicht mehr respektiert wird«.

AA-Frank stieß nach: »Sogenannte Gesinnungstäter, die die Regierungspolitik mit allen Mitteln bekämpfen. finden in gewissen politischen Kreisen Unterstützung und Sympathie. Der Kampf gegen die Regierung mit derartigen ungesetzlichen Mitteln ist nicht anders zu bewerten als ihre Bekämpfung mit Molotow-Cocktails. Terror und Zerstörung.«

Die Fahnder des AA haben sich bei ihrer Suche nach undichten Stellen inzwischen in einem Wust von Spuren. Querverbindungen und Spekulationen verstrickt, in denen einmal frühere Mitarbeiter des pensionierten AA-Staatssekretärs Georg Ferdinand Duckwitz als Lieferanten des Geheimmaterials. ein andermal der ZDF- Moderator Gerhard Löwenthal als Zwischenträger genannt werden.

Doch wegen der immer noch ungeklärten Herkunft einer Anzahl von Dokumenten« die seit einem Jahr zur Unzeit veröffentlicht wurden -- Bahrs Arbeitspapiere. der Wortlaut des deutsch-sowjetischen Vertrags. die Positionspapiere der Berlin-Unterhändler glaubt Außenminister Walter Scheel: »Nur noch der Zufall kann uns weiterhelfen

Doch ganz wollen die Rechercheure noch nicht aufgeben, zumal auch die Bonner Staatsanwaltschaft am letzten Freitag ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet hat. Die Regierungs-Fahnder versuchen jetzt einen Trick. den Presseamts-Vize Rüdiger Freiherr von Wechmar bereits vor Jahresfrist seiner Regierung empfohlen hatte.

Im Auswärtigen Dienst und in anderen Bundesbehörden soll Spielmaterial in Umlauf gebracht werden: Kopien eines echten Geheimdokuments, die sich aber im Text geringfügig unterscheiden, sollen bei unbefugter Weitergabe den Verräter entlarven.

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