WAHLKAMPF Leidvolle Erfahrung
Spröde Niedersachsen treibt er sogar in den Fasching. Im Städtchen Osterholz-Scharmbeck, nahe Bremen, war er für einen ganzen Polit-Karnevalszug gut, Motto: »Nach der Krönung des Heiligen Franz.«
In Hamburg sammelt sich eine »Rosa Front« gegen ihn, vornehmlich Homosexuelle, die mit einer Wählerinitiative verhindern wollen, »daß das Wort 'lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder' zum bundesweiten politischen Programm erhoben wird«.
Und in Frankfurt avanciert er zum Titelhelden eines Amateurtheaterstückes. Als »Franz im Glück oder das dicke Kind« durchläuft er auf der »Hobelbühne Frankfurt« alle Stationen vom Bayernbub zum Kanzler-Aspiranten; nur weiter geht es eben nicht.
Franz Josef Strauß, dies ist offenbar, regt mehr als je zuvor Gemüter und Phantasie der Bürger an. Es sammeln sich, schon lange, die Truppen -- vor allem gegen ihn.
Während seine Freundeskreise erst nur vereinzelt und ziemlich zaghaft für ihn Partei ergreifen, sind die Gegner des Bayern schon aufmarschiert und haben, nach den Wahlkämpfen im Saarland und in Nordrhein-Westfalen, ihre ersten Bewährungsproben auch bereits hinter sich.
In Bonn-Poppelsdorf trifft sich einmal im Monat in der Gaststätte »Zur Sternenburg« ein buntgemischtes Häuflein, Gewerkschafter und Studenten, Schüler und Frauengrüppler, um gegen die »Galionsfigur der Rechtskräfte« zu mobilisieren. Im westfälischen Herford sammeln Anti-Strauß-Leute, vom Sparkassenangestellten bis zum Kirchenmusikdirektor, Unterschriften gegen den Bayern.
Bereits im vorigen November luden ein paar Osterholz-Scharmbecker Aktivisten per Flugblatt »alle demokratischen, friedliebenden und fortschrittlichen Bürger« in das örtliche Gasthaus »Zum Lindenhof« ein, Zweck: »Gründung einer Initiative 'Bürger gegen Strauß'«. 32 norddeutsche Gegner des lauten Bayern kamen auch tatsächlich ins Wirtshaus -- bei den insgesamt 16 000 Einwohnern »eine außerordentlich starke Gruppe«, wie die Initiativlerin Heide Hoffmann findet.
Zwei Dutzend sind heute noch dabei und wirken gegen den »Mann des Militärs, der Rüstung, Banken, Industrie«, wie sie ihn sehen; neben der Hausfrau Hoffmann ein paar Schüler und Studenten, S.27 ein Maschinenschlosser, Lehrer, Arbeiter, eine Schneidermeisterin und ein Schriftsetzer, alles Leute zwischen fünfzehn und fünfzig.
Die buntgewürfelten Nordlichter zeigen Einfallsreichtum und Beharrlichkeit. Als etwa das lokale »Osterholzer Kreisblatt« über ihre »Kulturfete gegen eine Kanzlerschaft F. J. Strauß«, mit dem »Bremer Shanty Chor«, Jazz und Folk und der initiativeigenen Theatertruppe, nicht berichten wollte, setzten sie eine Anzeige in das Blatt und erhoben darin den »Vorwurf der unausgewogenen Berichterstattung«. Beim nächsten Mal klappte es dann.
Anderswo hingegen kam es schon zum regelrechten Annoncen-Krieg. Nachdem die »Volksfront gegen Reaktion, Faschismus und Krieg« in dem Hildesheimer Anzeigenblatt »Kehrwieder am Sonntag« (Auflage: 307 000) »Stoppt Strauß« inseriert hatte, schlugen Freunde des Bayern zurück.
Eine Strauß-freundliche »Bundes-Bürgerinitiative Oktober 1980« bat um Unterstützung -- und um anderes. Sie gab, im Faksimile, noch mal die »Volksfront«-Annonce wieder, zwar mit einem dicken Kreuz durchgestrichen, aber so, daß die Telephonnummer der Inserentin noch gut erkennbar war, und forderte unverblümt, daß »solche Bürger, die hinter diesen Anzeigen stecken, gestoppt werden müssen«.
Diese Sprache der Strauß-Fans verstand mancher. Nachdem die deutliche Aufforderung als Inserat auch noch in der Würzburger rechtskatholischen »Deutschen Tagespost« erschienen war, klingelte bei der Hildesheimer »Volksfrontlerin« Karin Peinemann ein paar Tage lang das Telephon fast ununterbrochen. »Du Kommunistenhure«, bekam sie zu hören, »laß dich nicht mehr auf der Straße blicken«, oder: »Laß den Strauß nur rankommen, dann kommt ihr ins KZ« -- alles anonym, versteht sich.
Während die Strauß-Gegner sich um Zulauf nicht zu sorgen brauchen, tun sich die Fans des Bayern bis jetzt schwer. Landauf, landab verteilen zwar schon Grüppchen, Aktionen und Initiativen ihre Flugblätter ("Sagt ja zu Franz Josef Strauß"), werben, in Inseraten, für Solidaritätsadressen und betteln in Briefen um Zubrot für angeblich geplante Pro-Strauß-Anzeigenkampagnen.
Fraglich aber ist, ob dergleichen Aktivitäten, auch wenn der Wahlkampf auf Touren gekommen ist, jenes Ausmaß wie die CDU-Kampagne vor acht Jahren erreichen, als finanzstarke Gönner der Union mit Millionen gegen die Sozis beisprangen. Bei der Zurückhaltung, mit der bislang Industrieführer den Kandidaten Strauß aufgenommen haben, scheint zweifelhaft, daß die Geldquellen der Wirtschaft zugunsten des christdemokratischen Wahlkampfs wieder so üppig sprudeln.
Überdies waren die anonymen 72er Aktionen auch eher ein Schuß nach hinten. Und heute schon ist so manche gutgemeinte Pro-Strauß-Aktivität den Wahlstrategen der Union nicht ganz geheuer. Sie fürchten, allzu harsche Attacken, womöglich noch aus dem trüben heraus, könnten die Bürger verprellen.
Als die »Bundes-Bürgerinitiative Oktober 1980« wieder einmal eine Anzeige im Hildesheimer »Kehrwieder« schaltete, war dieser zwar nicht zu entnehmen, wer eigentlich hinter der Aktion steckt (nur zwei angeschlossene Gruppen »Freiheit durch Strauß« und »Bürger für Strauß« wurden noch erwähnt), dafür aber nannte sie unverhohlen den Geldgeber des Inserats: »Diese Anzeige wurde durch das Fürstliche Brauhaus Wallerstein gefördert.«
Das Fürstliche Brauhaus aber war, auf der gleichen Seite, vor allem bemüht, sich selbst zu fördern. In einer eigenen Annonce lobte es sein »beliebtes Fürstenbier aus Wallerstein, ausgezeichnet durch eine über 400 Jahre währende Tradition«.
Ganz klein darunter bekannte das Fürstliche Brauhaus: »Wir unterstützen die Kandidatur von Franz Josef Strauß zum Bundeskanzler]«
Die Brauerwerbung im Hildesheimer Anzeigenblatt war der Niedersachsen-CDU so zuwider, daß sie sich bei der Münchner Schwesterpartei beschwerte. Solche Annoncen, mäkelten die Hannoveraner, könnten der gemeinsamen Sache nur schaden.
Auch die CSU reagierte prompt. Ihr Landesgeschäftsführer Florian Harlander protestierte schriftlich beim »Kehrwieder«-Anzeigenverkäufer Wolfgang Habermann -- »weil ich Sie in Verdacht habe, daß Sie einer der Initiatoren sind«. Aus »leidvoller Erfahrung« wüßten die Unionsparteien, daß »derlei dubiose Privataktionen« nur »großen Schaden« verursachten: »Das mag hart klingen, trotzdem ist es so.«
»Nicht schlecht gemacht« wirkt dagegen auf CSU-Sprecher Godel Rosenberg die »Initiative pro Strauß« des Nürnberger »Vereins für staatsbürgerliche Bildung e. V.«, eines »Zusammenschlusses engagierter und junger Bürger, die überparteilich für die Wahl von Franz Josef Strauß arbeiten werden«.
Die jungen und überparteilichen Bürger, hinter deren Postanschrift »Meisterleinplatz 1, 8500 Nürnberg« sich ein schlichter Briefkasten in einem unionsnahen Studentenheim befindet, in dem auch die örtlichen CSU-Jugendverbände Junge Union, Schüler-Union und Ring Christlich-Demokratischer Studenten ihr Domizil haben, sind vor allem Mitglieder der Jungen Union. Chef Markus Beugel hat auf seine Bettelbriefe mittlerweile eine »fünfstellige Summe zusammengekriegt«. Davon sollen jetzt Pro-Strauß-Anzeigen vor allem in Jugendzeitschriften gesetzt werden, weil, wie der Gymnasiast findet, »da zu wenig getan wird«.
Ihren Anteil zum Strauß-Sieg will auch die saarländische Kauffrau Elke Hunsicker beisteuern. Für 12,50 Mark kann man bei einer von ihr mitbegründeten »Aktionsgemeinschaft Strauß muß Kanzler werden« im Saar-Ort S.28 Neuweiler ein Autokissen bekommen -- »in weiß/blauem Rautenmuster mit Photo und Signatur von FJS bedruckt und mit dem Schriftzug 'Strauß muß Kanzler werden' versehen«. Ein Fünftel des Kissen-Preises geht nach München, »für den persönlichen Wahlkampf von FJS«, damit »unsere Kinder in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben können«.
Während auf rechter Seite Grüppchen und Einzelkämpfer, zumeist ohne Wissen voneinander, herumbosseln, haben es die Strauß-Verhinderer verstanden, aktive Mitstreiter und Anhänger bundesweit zu mobilisieren.
Beispiel: Die Initiative »Freiheit statt Strauß -- Aktion für mehr Demokratie«, die sich als Nachfolgerin der 1972 so wirkungsvollen »Sozialdemokratischen Wählerinitiative« (SWI) versteht.
Danach war es mit der SWI freilich auch rasch vorbei. Mitte der sechziger Jahre von dem linken Literaten Günter Grass initiiert, geriet sie nach dem Wahlsieg der sozialliberalen Koalition zu einem verlängerten Arm der SPD-Baracke in Bonn.
Eingerichtet in einem Villenbau schräg gegenüber vom Bundeshaus, hat sich die SWI in letzter Zeit vor allem mit der Ausrichtung von Vernissagen und Jours fixes für frustrierte Bonner Jungparlamentarier befaßt.
An die Spontaneität und die Einsatzbereitschaft der alten eingeschlafenen Wählerinitiativen versuchen jetzt die »Freiheit statt Strauß«-Leute anzuknüpfen -- Schriftsteller wie Luise Rinser, Leonie Ossowski und Peter Härtling, Journalisten wie Günter Wallraff und Erika Engelbrecht, Publizisten wie Axel Eggebrecht und Klaus Traube, Musiker wie Udo Lindenberg und Albert Mangelsdorff; dazu Theaterleute, Künstler und, vor allem, eine ganze Reihe aktiver Gewerkschafter.
Um auf sich aufmerksam zu machen, hat die Initiative um den Heidelberger Graphiker Klaus Staeck über 100 Anlaufstellen gegründet, bei denen sich Sympathisanten, von Kiel bis München, Argumentationshilfe besorgen können.
Ihre Initiative verstehen sie »nicht als Jubelverein der Regierung« in Bonn. Doch angesichts des Kandidaten Strauß sehen sich die Initiativler »trotz mancher Enttäuschungen und bei aller Kritik in Einzelfragen bei der SPD«.
Das unterscheidet das Staeck-Unternehmen, in dem sich bislang an die 10 000 Strauß-Gegner zusammengefunden haben, von dem zweiten großen Sammelbecken in der Anti-Strauß-Landschaft, der Initiative »Stoppt Strauß jetzt«. Mitbegründer: der Marburger Faschismus-Forscher Reinhard Kühnl, der bereits 1972 ideologische Gemeinsamkeiten von Straußscher Weltanschauung und der von neofaschistischen Kreisen entdeckte.
Die Organisation, die sich um den DKP-orientierten Politik-Wissenschaftler gefunden hat und der sich etwa 200 lokale Gruppen lose angeschlossen haben, konzentriert sich hauptsächlich darauf, Strauß-Gegner vor Ort mit Informationsmaterial zu versorgen und Referenten für Kundgebungen zu vermitteln. Kühnl und seine Mannen vermeiden dabei jede Wahlempfehlung zugunsten einer Partei.
Daß die DKP-Interessen führender Komitee-Vertreter geflissentlich verschwiegen werden, stört vor allem die Staecksche Konkurrenz. »Da wird eine Vernebelungspolitik betrieben«, klagt Staeck, »die noch böse Folgen haben wird.«
Im NRW-Wahlkampf haben die Staeck-Leute das schon zu spüren bekommen. Zwar konnten sie über Zulauf zu ihren Veranstaltungen nicht klagen, hatten Günter Grass mit Literaturlesungen in Essen oder Duisburg, Georges Moustaki mit einem Konzert in Dortmund, Günter Wallraff mit Podiumsdiskussionen in Bielefeld und Aachen, das Musik-Duo Schobert & Black mit einem Auftritt in Herne gefüllte Säle.
Doch manchen irritierte, daß daneben auch noch Leute wirkten, die zwar gegen Strauß, aber sonst auch für niemanden votierten. »Wenn da schon wieder gleich zwei Initiativen sind«, bekam Staeck in Nordrhein-Westfalen von Gewerkschaftern zu hören, »dann unterschreiben wir lieber gar nichts.«
Die Staeck-Truppe, die sich, im Gegensatz zur sozialdemokratischen Wählerinitiative, von der SPD-Baracke in Bonn finanziell unabhängig hält und durch Spenden der Mitglieder, von fünf Mark aufwärts, existiert (Staeck: »Das Größte war bisher eine Einzelspende von 30 000 Mark, von einer alten Jüdin"), fürchtet die Folgen für den heißen Wahlkampf im Sommer, wenn die DKP-Konkurrenz dann immer noch irritierend und absorbierend wirkt.
»Kinder, entscheidet euch jetzt«, fordert Staeck, »nicht daß dann später kurz vor der Wahl die Scheiße passiert und alles auseinanderfliegt und dann keiner mehr was gegen Strauß tut.«