Zur Ausgabe
Artikel 14 / 119

Bundespräsident Leise Lust am Piesacken

Von Hans-Joachim Noack
aus DER SPIEGEL 30/1994

Zu den Auffälligkeiten, die in seiner erst dreiwöchigen Amtszeit einen gewissen Aha-Effekt produzierten, gehören ein paar Pressefotos. Die Bilder entstammen jenem Augenblick, da der neue Bundespräsident einen hohen Gast verabschiedet. Er strahlt mit ihm um die Wette. Der Besucher heißt Li Peng.

Darf man so einem Regierungschef gegenübertreten, der als Diktator und Massenmörder gilt? In der Umgebung des Roman Herzog registriert man sehr wohl, daß der Schnappschuß latenten Argwohn schürt. Bestätigt sehen sich alle, die den Nachfolger Richard von Weizsäckers seit eh und je für moralisch ziemlich unempfindsam halten.

Das deutsche Staatsoberhaupt erläutert »den Vorgang« auf seine Weise. In dem vorangegangenen, etwa einstündigen Gespräch habe er »die ganze Zeit lang entschlossen bis grimmig geguckt« und gebührend das Thema Menschenrechte angepackt - »nur am Ende lief die Sache blöd": Von Fotoreportern gefrotzelt ("Lachen Sie mal"), ließ er _(* Im Rathaus von Erfurt. ) schließlich zu, was ihm nun selbst mißfällt.

Vermutlich wäre das Tete-a-tete auch kaum der Rede wert, hinge dem Präsidenten nicht ein locker hinausposaunter Satz an, der zu diesem Bild zu passen scheint. »Wir haben es einigermaßen geschafft«, hatte da an Pfingsten der gerade gewählte Niederbayer aus dem Stegreif zum besten gegeben, »die Verkrampfung der späten Nation abzulegen.«

Zu solcher generell leichteren Art bekennt er sich, auch wenn das natürlich etwas anderes ist, als jetzt einen chinesischen Gewaltpolitiker anzugrinsen. Seiner Aufgabe möglichst unverkrampft nachkommen zu wollen, habe ihm im übrigen im Vergleich zu den kritischen Stimmen »das Zehnfache« an positivem Echo eingetragen: »Das Wort fasziniert die Menschen.«

Mögen ihn Nörgler einen Populisten nennen - der 60jährige, vormals oberster Verfassungsrichter, bleibt bei seiner Philosophie, mit der er der Bevölkerung ein gediegenes Normalmaß in ihrem Gefühlsleben anempfiehlt. Wie denn sonst sollte sich vor allem in Umbruchzeiten ein »vernünftiges Selbstbewußtsein« herausbilden?

Und wo wäre das dringender nötig als im deutschen Osten, den Roman Herzog nun mit Vorrang »durchzupflügen« beabsichtigt. Nach Sachsen und Berlin absolviert er in Thüringen bereits den dritten Antrittsbesuch. »Herzerfrischend direkt«, wie ihn der Erfurter Kabinettschef Bernhard Vogel rühmt, streut er dort mit der obligaten Lässigkeit seine zentrale Botschaft.

Dieses nach Jahren der Fremdbestimmung daniederliegende kollektive Ego müsse sich erneuern, indem es »aus den Städten und Landschaften wächst«, doziert der Anhänger einer Republik der »Provinzen und Stämme«. Alsdann strebt er mit leiser Lust am Piesacken seiner Pointe zu: Das könne für die Betroffenen »kein Bundestag entscheiden und schon gar nicht der Kanzler«.

In der Psychologie nennt man so etwas Projektion - eine Technik, auf andere zu übertragen, was im eigenen Ich rumort. Was kann das Parlament für ihn, Herzog, letztlich bewirken und was der Kohl? Er, der Kontur zu gewinnen sucht, hat die Kraft aus sich selbst zu schöpfen.

Noch bewegt er sich tastend, und es ist ihm durchaus klar, daß schon einiges danebenging. Während zum Beispiel der Bundeskanzler den großen Historiker mimt und die Opfer des 20. Juli ehrt, sitzt das Staatsoberhaupt gleichsam am Katzentisch. Dort bewirtet er in seinem Berliner Schloß Bellevue mit Frau Christiane die Hinterbliebenen der Widerständler.

Eine ziemlich schlappe Figur macht der Rechtsprofessor, als er aushäusig - auf Stippvisite bei Mitterrand - den vermeintlichen Aufruhr daheim gegen Li Peng vor der Presse bewertet. Er findet, daß sich das nicht gehört, um dann einen Tag später den Rückzug anzutreten. Man hat ihn »falsch informiert«.

Das sind Pannen in einer »Eingewöhnungsphase« (Herzog), die den Newcomer in einer merkwürdigen Isolation zeigen, doch es scheint ihn kaum aufzuregen. Was ist schon dabei, fragt er lapidar, sich »zu korrigieren, nachdem die Dinge anders gelaufen sind«? Auch ein Präsident muß sich irren dürfen.

Ein veränderter und mehr als bloß in Nuancen erstaunlicher Habitus beginnt sich abzuzeichnen. »Unterwegs zu den Menschen«, gibt sich etwa in Suhl oder Schmalkalden ein frohgemuter Nonkonformist zu erkennen, der vorweg alle Fallhöhen herunterzuschrauben bemüht ist: Nur was sich dem Volk als plausibel darstellen läßt - und sei es das Eingeständnis eigener Fehlerhaftigkeit -, wird von ihm auch angenommen werden.

Und er fährt einstweilen nicht schlecht damit. In Erfurt, auf einem Bürgerempfang, erfreuen sich mehr als 400 Thüringer an dem rustikalen Bajuwaren, der sich konditionsstark ins Gedränge schiebt. Obschon der Rathauskeller einer Sauna gleicht, schreibt er unentwegt Autogramme, während ihm der Schweiß von der Nasenspitze in die frischen Schriftzüge tropft.

Nein, daß Roman Herzog da, wie ihn der Tübinger Rhetorik-Professor Walter Jens vorher gescholten hat, zu den Ostdeutschen »im Stil Kaiser Wilhelms« spräche, ist nun wirklich nicht zu beobachten. Im Gegenteil: In dem ihm eigenen Spott sorgt er dafür, daß die »von hoher Hand aufgestellten Barrieren«, jene Kordeln, die das Rednerpodest umspannen, beseitigt werden. Und er hält auch sonst wenig auf Etikette.

Es mache ihm eben Spaß, flüstern die Hiwis - eine verständliche Beteuerung, die der Chef dann aber doch manchmal selbst widerlegt. Denn in Wahrheit hindert diesen Präsidenten eine deutliche Sperrigkeit, wenn ihm der Bürger allzu nahe kommt. Weder liegt ihm das Bad in der Menge, noch weiß er mit den reichlich angebotenen Blumensträußen umzugehen: »Ich muß aufpassen«, sagt er da nur und zeigt die fleischigen Hände vor, »daß ich die nicht mißhandle.«

Roman Herzogs »stille Liebe« zu Volk und Vaterland - und zunächst vor allem zu den einstigen DDRlern - begnügt sich mit eher linkischen Gesten. Er bereist die Ost-Provinzen, um die »innere Einheit« voranzutreiben, aber häufig scheint ihn die Angst zu überfallen, daß schon diese Wendung zuviel Pathos in sich trägt. So umstellt er sie mit Ironie - und nicht selten Selbstironie.

Spürbar lastet auf ihm der Erwartungsdruck, den er sich mit schroff klingenden Halbsätzen vom Halse zu schaffen versucht. »Ich verspreche nix«, entfährt es ihm hastig, doch dann deutet er seine Einflußmöglichkeiten an, die er zu haben glaubt: Um dem Osten beizuspringen, werde er den Politikern »mit der Methode Herzog« zu Leibe rücken.

»Von hinten durch die Brust und danach ins Auge« der zuständigen Stellen will der Bundespräsident in internen Gesprächen seine Appelle und Forderungen bohren. Das hört sich etwas rabaukig an und soll es auch. Der in Jahrzehnten in verschiedenen Ämtern gehärtete Rechtsgelehrte möchte sich nicht als der oberste Schönredner der Nation mißverstanden wissen.

Nach einem leicht verunglückten Start, der ihm den Ruf eintrug, »Schachfigur Kohls« (Wochenpost) zu sein, beginnt sich peu a peu eine Umbewertung durchzusetzen. Während frömmelnde Vaterlandsverteidiger wie der führende Christdemokrat Wolfgang Schäuble erkennbares Stirnrunzeln zeigen, halten die ursprünglich erregten Genossen zumindest still.

Denn der »aufgeklärte Konservative« (Herzog über Herzog) fängt jetzt tatsächlich an, seinen eigenen Ton zu finden. Am 20. Juli genügen ihm im Schatten des Kanzlers ein paar Randbemerkungen, um wirkungsvoll einer beschämenden Diskussion entgegenzutreten. Anders als sein wolkiger Parteifreund Kohl reiht er ausdrücklich »auch Kommunisten« in den Kreis der Widerstandskämpfer ein.

Er war auf das Amt nicht erpicht wie der Rivale Johannes Rau - aber nun, da man ihn »zum Bundespräsidenten gemacht« habe, will er auch seinen Anspruch realisieren. Nicht von ungefähr fällt ihm ein, er hätte im Herbst nächsten Jahres, wäre er in Pension gegangen, ein neues Buch über die Weimarer Verfassung vorgelegt.

Das soll seine ausgeprägt politischen Ambitionen beweisen, die um so eindeutiger für das Staatsoberhaupt gelten. Hat er sich nicht kürzlich selbst von dem mächtigsten Mann der Welt, seinem Gast Bill Clinton, vorsichtig abgesetzt? Dessen Einfall, dem wiedervereinigten Deutschland ein besonderes Gewicht zuzuschanzen, erfüllt den Europa-Freund mit Unbehagen.

Es könnte aber auch sein, daß er sich seine Rolle ein bißchen zu rosig ausmalt, und zuweilen ahnt er es wohl. Natürlich dürfe er »nicht mehr reden wie früher«, seufzt der »Buprä« dann ein über das andere Mal auf, während sich in seine Züge ein leiser Ausdruck des Bedauerns schleicht. Er würde sehr gern . . . zum Beispiel über den Streit, der sich um die Beziehungen zur PDS zwischen den Parteien zuspitzt.

Denn Herzog wäre nicht Herzog, entginge ihm, welche Konstellation sich da unter Umständen alsbald auftut. Was geschieht, wenn sich am Abend des 16. Oktober jene »Magdeburger Verhältnisse« wiederholen, wie sie seit Wochen die Gemüter erhitzen? Das könnte, ja das müßte die Stunde des Präsidenten sein - eine Möglichkeit, die ihn schon jetzt beschäftigt.

Hat er Bammel vor einer fälschlicherweise als Volksfront bezeichneten Verbindung, gegen die in Bonn die Regierungsparteien mobil machen? Roman Herzog, der seinem Selbstbild und neuerem Image zufolge Unverkrampfte, sieht das »nicht so dramatisch«. Y

»Von hinten durch die Brust und danach ins Auge«

* Im Rathaus von Erfurt.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 14 / 119
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten