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LINKSPARTEI Leise und geschmiert

Die Sozialisten steuern ihren Wahlkampf professionell aus der Berliner Zentrale. Alte und neue Parteisoldaten sind unterwegs und verschrecken manchen Bündnispartner von der WASG.
aus DER SPIEGEL 33/2005

Es ist alles nur eine Frage der guten Organisation, und deshalb hat sich Bodo Ramelow an diesem Tag vier Stunden Zeit für Gera genommen.

Die Linkspartei wird dort ein neues Büro eröffnen, ein schönes, helles Gebäude, in dem früher die HypoVereinsbank untergebracht war. 80 Gäste werden dort sein, Leute aus seinem Direktwahlkreis Gera, die meisten von der Linkspartei, aber auch hohe Kommunalpolitiker der CDU. Es ist kein Termin, der politisch bedeutsam wäre, aber für Ramelow zählen andere Dinge.

Er steht am Eingang, eine Frau fällt ihm um den Hals. Sie sagt: »Bodo, wir haben dich jetzt gerahmt.« Sie führt ihn durch das Bürgersprechzimmer im Erdgeschoss zu einer Wand, an der ein Schwarzweißfoto hinter Glas hängt.

Auf dem Bild ist Ramelow zu sehen. Er hält eine gläserne Kugel in der Hand wie ein Wahrsager auf dem Basar, und in der Kugel ist das Modell des Berliner Reichstags eingegossen. Das Bild ist ein Denkmal, ein Zeichen der Verehrung, die viele bei der Linkspartei für den Wahlkampfmanager aus Berlin empfinden.

Ramelow ist so etwas wie der Architekt der neuen gesamtdeutschen Linkspartei, die gerade entsteht, der eigentliche Broker der Macht. Er hat das Fundament gelegt für das Linksbündnis und den Wahlkampf, in den nun die Leute von der WASG im Westen und der Linkspartei, vormals PDS, im Osten gemeinsam ziehen.

Er ist acht Wochen kreuz und quer durch die Republik gereist, er hat ungezählte »Kadergespräche« in verrauchten Hinterzimmern geführt, er war auf den Vorstandssitzungen der Landesverbände, bei denen die Kandidaten ausgesucht wurden, und auf den Landesparteitagen. Die offenen Wahllisten, die der Linkspartei den Weg in den Westen eröffnen, waren sein Meisterstück.

Bisher hat alles erstaunlich gut funktioniert. Alle Landeslisten der Linkspartei stehen. Auf den aussichtsreichen Plätzen sind nur Kandidaten, die das Wohlwollen der Parteizentrale in Berlin haben. Die Störenfriede und Querulanten, von denen es vor allem bei der WASG einige gibt, blieben außen vor. Und die Partei hat die historische Chance, am 18. September mit ihren Ikonen Gregor Gysi und Oskar Lafontaine als drittstärkste Kraft in den Bundestag einzuziehen. Nach den Umfragen würden sie derzeit 30 Prozent im Osten und 6 Prozent im Westen wählen.

Die großen Parteien schreiben schon jetzt ihre Wahlprogramme um, in der Angst, zu viele Wähler an die Linken zu verlieren. Die Gewerkschaften sehen sich plötzlich vor einer Zerreißprobe zwischen Linkspartei und SPD. Und die Grünen nennen sich neuerdings auch eine »moderne Linkspartei«. »Die linke Bundestagsfraktion«, sagt Ramelow forsch voraus, »wird das Zentrum einer neuen sozialistischen Bewegung in Deutschland.«

Die Präzision, mit der Ramelow und seine Genossen auf ihr Wahlziel zumarschieren, könnte ihnen indes zum Verhängnis werden. Dass alles so leise, so geschmiert funktionierte, hat den Verdacht genährt, die Linkspartei habe die Vorschriften des Wahlrechts etwas zu ihren Gunsten ausgelegt. Von »Problemen« spricht die Stuttgarter Landeswahlleiterin Christiane Friedrich, die nun darüber zu befinden hat, ob die Linkspartei in Baden-Württemberg antreten darf oder nicht. Die früheren Verfassungsrichter Karin Graßhof und Hans Hugo Klein sprechen sogar von einem »offenkundigen Missbrauch« des Wahlgesetzes durch Gysi und Co.

Es geht um die Frage, ob die Parteizentrale bei der Aufstellung der Landeslisten auf unzulässige Weise Einfluss nahm. Ob die Strategen im Berliner Karl-Liebknecht-Haus beispielsweise der WASG, die ja selbst als Partei nicht zur Wahl steht, verbindliche Zusagen für Listenplätze gemacht haben oder im Vorwege bestimmte Kontingente verabredet wurden. Es gibt ein Schreiben, in dem der baden-württembergische Landesvorstand der WASG ihren Delegierten ein »Denkmodell« unterbreitet, mit einer genauen Besetzung der Liste, aufgeteilt nach Parteizugehörigkeit.

Heikel könnte vor allem sein, dass in den westlichen Bundesländern viele Spitzenposten nicht von Mitgliedern der Linkspartei, sondern von der WASG besetzt werden. Die Berliner Parteiführung hat zumindest darauf geachtet, dass einige führende WASG-Leute mit »strategischen Plätzen« versorgt wurden, Oskar Lafontaine in Nordrhein-Westfalen, Klaus Ernst in Bayern, Ulrich Maurer in Baden-Württemberg und Volker Schneider im Saarland - jeweils auf Platz eins. Für den Wahlrechtler Wolfgang Schreiber sind gerade

diese »Spitzenplatzierungen« besonders problematisch - Listen, bei denen WASG-Mitglieder auf Platz eins stünden, dürften »nicht zugelassen« werden, sagt er.

Am vergangenen Donnerstag trafen sich die Landeswahlleiter in Wiesbaden, um ihr weiteres Vorgehen abzustimmen. Fünf Stunden debattierten die Juristen, besonders auffällig erschien ihnen die Hamburger Liste, auf der sich erstaunlich viele WASG-Mitglieder und Parteilose finden. Am Ende forderte Bundeswahlleiter Johann Hahlen seine Kollegen zu einer »materiellen Prüfung« der Landeslisten auf und gab ihnen dazu auch eine »Handreichung« mit: Genau zu beachten sei vor allem, »auf welchen - möglicherweise aussichtsreichen - Listenplätzen die parteifremden Bewerber einer Liste platziert sind«.

Zwar ließ der Bundeswahlausschuss vergangenen Freitag die Linkspartei, ebenso wie 33 andere Parteien, zur Bundestagswahl zu - das bedeutet aber noch nicht, dass sie am 18. September auch tatsächlich antreten darf. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Landeswahllisten ist die eigentliche Hürde. Ende kommender Woche wollen die Mitglieder der Landeswahlausschüsse sich erneut treffen und darüber endgültig befinden.

Wahlkampforganisator Ramelow glaubt sich gut gerüstet. 40 000 Euro hat seine Partei an Rechtsanwälte bezahlt, unter anderem für ein Rechtsgutachten beim Parteienrechtler Martin Morlok, um die Operation Linkspartei juristisch unanfechtbar zu machen. Beistand erhält er auch von dem renommierten, linksliberalen Staatsrechtler Hans Meyer, der die Listenaufstellung ebenfalls für relativ unproblematisch hält (siehe Seite 35).

Und Ramelow lässt noch nacharbeiten. Die frühere PDS versucht, immer mehr WASG-Leute als Mitglieder zu gewinnen, damit nicht zu viele fremde Bewerber auf ihren Listen stehen. WASG-Spitzenmann Maurer etwa ist nun Doppelmitglied. Und in Nordrhein-Westfalen sind drei führende WASG-Kandidaten ebenfalls zur Linkspartei übergetreten, zwei von ihnen, Jürgen Klute und Inge Höger-Neuling, wurden später auf die Landesliste gewählt.

Um ganz sicher zu gehen, wollen Linkspartei und WASG nächste Woche sogar einen »Fortschrittsbericht« über ihre Fusionsverhandlungen vorlegen, um den Vorwurf zu entschärfen, hier verbänden sich widerrechtlich zwei unterschiedliche Parteien, um gemeinsam möglichst stark in den Bundestag zu kommen.

Vermutlich hätte die Linkspartei weniger Schwierigkeiten, wenn es bei ihr etwas ungeordneter zuginge. Aber die Verlässlichkeit der Kader ist nun einmal ihre große Stärke, und darum stößt man überall im Westen jetzt auf Parteisoldaten wie Wolfgang Gehrcke.

Im Augenblick ist Gehrcke noch Landtagsabgeordneter in Brandenburg. Er sitzt in seinem Büro und bereitet sich auf seinen Wechsel nach Hessen vor. Er sagt: »Sie müssen nachher noch einmal um den Landtag herumgehen, dann sehen Sie auf dem Turm noch immer den Schriftzug der SED. Es ist nur ein Schatten, aber man erkennt diesen Schatten.«

Gehrcke hat immer gemacht, was die Partei von ihm verlangte. Bis zur Wiedervereinigung war er bei der DKP, denn eigentlich kommt er aus Hamburg, dann ging er zur PDS nach Berlin. Er stieg bis zum Bundesgeschäftsführer auf; er kaufte sich ein Haus in der Prignitz, als er für die PDS einen Direktwahlkreis in Brandenburg erobern sollte, in einem Dorf, das im Volksmund »Korea« heißt, weil es dort besonders düster aussah. Gehrcke sagt: »Wahrscheinlich bin ich der am meisten verschickte Politiker der Linken nach Gysi und Lafontaine.«

Jetzt soll er Hessen erobern, ein Bundesland, das schon deshalb Symbolkraft hat, weil hier einmal die Grünen zur Regierungspartei wurden und mit Joschka Fischer 1985 erstmals einen Landesminister stellten. Auch Fischer führt wieder Wahlkampf in Hessen, er ist Direktkandidat in Frankfurt und ein alter Duzfreund von Gehrcke. Es ist dessen persönlicher Ehrgeiz, den prominenten Rivalen zu schlagen: »Der Leistungsdruck für mich ist in Hessen groß, hier muss ich was bieten«, sagt Gehrcke.

Mindestens zweimal die Woche sitzt er nun im Zug nach Frankfurt. Seinen Koffer lässt er in einem Schließfach, er will flexibel sein. Um kurz vor ein Uhr geht der Nachtzug zurück nach Berlin. Gehrcke sagt, er habe sich daran gewöhnt, im Zug zu übernachten. Allein in den letzten zwei Wochen vor der Wahl hat er 48 Veranstaltungen, er kann sich jetzt keine Pause erlauben.

Gegen Kader wie Gehrcke ist es schwer zu bestehen. Der Apparat kann gnadenlos sein, wenn es Zweifel an der Qualifikation und Loyalität von Kandidaten gibt. Auch deshalb hat die Operation Linkspartei Opfer gefordert.

Man muss nur mit Fritz Schmalzbauer reden, um einen Eindruck von der Verbitterung zu bekommen, für die das Bündnis mit der mächtigen Linkspartei bei einigen WASG-Mitgliedern gesorgt hat. Eigentlich hatte Schmalzbauer allen Grund, eine Belohnung von der Linkspartei zu erwarten. Er hat die WASG in Bayern aufgebaut, er hat immer seine Kontakte gepflegt, auch zu Klaus Ernst, seinem Bundesvorsitzenden. Und er kennt Ramelow, sie waren zusammen bei der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen. Schmalzbauer hatte darauf vertraut, dass Ramelow seinen Einfluss spielen lassen

würde, als es an die Besetzung der bayerischen Landesliste ging.

Ramelow war auch da am Tag, als die Wahl stattfinden sollte. Er war immer da, wenn es für die Gesamtstrategie der Partei wichtig war. Ernst war auf Platz eins gesetzt, Schmalzbauer auf vier, auch das ein aussichtsreicher Listenplatz. Doch dann verschwand Ramelow, kurz nachdem Ernst gewählt worden war. Als Listenplatz vier aufgerufen wurde, fiel Schmalzbauer durch. Die WASG protestierte und stoppte die Versammlung, aber es half nichts. Schmalzbauer gilt als eigensinnig und unberechenbar, jetzt ist er nur noch Direktkandidat, ohne Chancen auf einen Sitz im Bundestag.

Er bebt immer noch vor Enttäuschung. Er will sie nicht zeigen, aber mit jedem Satz verrät er sich. Schmalzbauer nörgelt an den Vorgaben aus der Zentrale herum, die einen genau geplanten Straßenwahlkampf verlangt. »Da mache ich lieber Nordic Walking mit meinen Wählern durch meinen Wahlkreis«, sagt er. Er belustigt sich über das »Wahlkampf-Rundumpaket« der neuen Linkspartei, über die Plakate und Kugelschreiber, die er »Devotionalien« nennt, und er schimpft gegen das Land, aus dem die neue Partei kommt: »Die Toskana liegt uns eben näher als Thüringen.«

Wer Ramelow auf die Vorbehalte enttäuschter WASG-Mitglieder anspricht, dem präsentiert der Bundeswahlkampfleiter kühl seine Zahlen. Er spricht dann von einer »Verdreifachung des Plakatpotentials«, von 240 000 »A-Nuller- und A-Einser-Plakaten«, die für diesen Wahlkampf bestellt wurden. Sie werden im ganzen Land verteilt, mit einheitlichem Design, über das in Berlin befunden wurde. »Die können gern ,Kochen mit Rolf' machen, solange ich das nicht bezahlen muss«, sagt Ramelow, »der Wahlkampfleiter in Bayern wird Schmalzbauer mit unseren Plakaten umstellen.«

Offiziell sprechen die Parteioberen im Karl-Liebknecht-Haus noch immer voll Pathos von der Zusammenarbeit mit der WASG, sie reden von einem Wendepunkt in der Geschichte, von gleichberechtigter Partnerschaft. Doch schon ein paar Zahlen zeigen, wie ungleich das Kräfteverhältnis tatsächlich ist: Die Linke hat 60 000 Mitglieder, die WASG etwa 9000, die Linke hat einen Parteiapparat, die WASG nur ein Netzwerk von Aktivisten.

Im Karl-Liebknecht-Haus amüsieren sich die Sozialisten inzwischen über die Frage, was denn die Gemeinsamkeit von WASG und einem Kondom sei. »Ohne ist schöner, aber mit ist sicherer«, rufen sie dann, und genießen es, sich auch einmal über die Wessis lustig machen zu können. »Wir verhandeln mit denen in Augenhöhe? Klar, vorausgesetzt, wir knien uns hin.«

Vor allem die Realpolitiker aus den ostdeutschen Landesverbänden begegnen den Westverbündeten mit Skepsis - »kulturell sind die uns total fremd«, meint Parteistratege Thomas Falkner. Sie nennen die Wessis gern »die Gurkentruppe«. Auch deshalb achteten die Männer um Ramelow darauf, dass sie in Zukunft das Sagen haben: In Geheimverhandlungen im Ost-Berliner Intercity-Hotel bestanden die Ossis darauf, dass ihnen die Wessis keine Sektierer unterjubeln. Am längeren Hebel saßen sie sowieso: Nominiert wurden die WASG-Leute ja auf Delegiertentreffen der Linkspartei.

Es ist eine fragile Koalition, die sich unter dem Korsett offener Wahllisten zusammengefunden hat, eine Gemeinschaft, die vor allem die Hoffnung auf einen schnellen Erfolg zusammenhält, aber sie ist noch längst keine Einheit. Nach einer Untersuchung des Forsa-Instituts wollen 74 Prozent der potentiellen Linkspartei-Wähler dem Bündnis ihre Stimme geben, weil sie von den etablierten Parteien enttäuscht sind. 63 Prozent gaben den Protest gegen bestehende Verhältnisse als wichtigsten Beweggrund an. Das politische Programm ist dagegen nur für 29 Prozent ein Grund und die Personen, die sie führen, nur für 21 Prozent.

Im hessischen Neu-Isenburg hat die WASG dieser Tage zu einem gemeinsamen Abend mit Janine Wissler und Rolf Gensert eingeladen. Sie ist jung, 24 Jahre alt, talentiert und von der WASG. Er ist 47, Mitglied der Linken und nicht besonders aufregend. Beide machen jetzt Wahlkampf für die Linkspartei Hessen, Wissler auf Platz vier der Landesliste, Gensert als Direktkandidat. Es ist ein Abend mit wenigen Höhepunkten. Die beiden Redner sagen immer wieder, dass sie sich einig seien, aber zwischen ihnen bleibt eine Trennlinie, die auch durch den Zuschauerraum läuft.

Zwei Stunden sitzen die beiden auf dem Podium zusammen und benehmen sich auch am Ende noch wie Leute, die sich beim Saufen das Du angeboten haben, aber am nächsten Tag nicht mehr wissen, wie sie sich ansprechen sollen. Sie nennt ihn immer »er«, und er spricht von seiner »Vorrednerin«.

Rolf Gensert redet über den Bundeskanzler, er sagt, dass man Schröder nicht vertrauen könne. Dann wendet er sich der Friedenspolitik zu, dem amerikanischen Engagement im Irak, im Kosovo, in Afghanistan: »Was hat der Krieg dort gebracht?« Er ist jetzt bei den ganz großen Dingen.

Janine Wissler sitzt daneben und schweigt. Sie spielt mit ihrem Handy. STEFAN BERG,

DIETMAR HIPP, MARC HUJER, KERSTIN KULLMANN

* Bei der Umbenennung in »Die Linkspartei« am 17. Juli inBerlin; vorn: die Bundestagsabgeordnete Petra Pau und derEhrenvorsitzende Hans Modrow.

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