SPD Leiser Vorbehalt
Vor kurzem noch war sich Hans-Ulrich Klose sicher: »Rudolf Scharping und ich sind uns einig.« Am Montag nachmittag voriger Woche verließ ein verunsicherter Fraktionschef das SPD-Präsidium im Bonner Erich-Ollenhauer-Haus: »Er wackelt.«
»Die Linie ist in Ordnung«, so hatte Scharping einen langen Disput über die künftige Haltung der SPD zur Beteiligung der Bundeswehr an Uno-Missionen zusammengefaßt.
In Wahrheit war der Parteichef gescheitert. Er wollte die SPD auf neuen Kurs in der Außenpolitik bringen. Sie sollte grundsätzlich bereit sein, alles mitzumachen, was die Uno weltweit zur Krisenbewältigung unternimmt. Scharping mußte sich jedoch seinen Gegnern beugen. Die wollen nicht zulassen, daß sich die SPD in der Außenpolitik der Regierung annähert.
Es bleibt bei der SPD-Linie, nur deutsche Blauhelm-Einsätze gutzuheißen. Kampfeinsätze der Bundeswehr unter Uno-Kommando, die Scharping wie Klose befürworten, finden in der SPD noch keine Mehrheit.
Eine Art zweites Godesberg wollte Scharping der SPD auf dem Wiesbadener Parteitag im November bescheren, seine erste Schlappe zog er sich, seit knapp zehn Wochen Parteichef, zu.
Für den Rückzug sorgten Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder, unterstützt von Heidemarie Wieczorek-Zeul. Die Südhessin führt Regie in der außenpolitischen Kommission, die am vorigen Freitag im Sinne der Wende-Gegner stimmte.
Die drei Friedenshüter lassen über Waffengewalt nur bedingt mit sich reden. Wenn deutsche Blauhelme im humanitären Einsatz angegriffen würden, dürften sie sich verteidigen. Frieden schaffen mit Waffen im Uno-Auftrag lehnen sie dagegen entschieden ab.
»Mehr ist nicht drin«, verfügte Lafontaine, der die pazifistische Fahne hochhält.
Scharping, Klose und der neue Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen wollen die Partei öffnen, um Handlungs- und Regierungsfähigkeit zu beweisen. Vor allem Klose argumentiert, daß sich die SPD nicht länger von der »Koalition jagen lassen« dürfe.
Der Fraktionschef glaubte die Unterstützung seines Vorsitzenden zu haben, auch wenn Scharping »nicht mit solcher Härte« formuliere.
Beide hatten Ende Juni verlangt, die SPD müsse sich spätestens auf dem November-Parteitag von den Fesseln früherer Beschlüsse befreien. Am 29. Juni hatte Scharping der Fraktion seine Absichten vorgetragen: »Keine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung wird sich auf Dauer internationalen Verpflichtungen entziehen können. Das wird es nicht geben.«
Jüngste Beispiele hätten gezeigt, schrieb Scharping kürzlich, daß Uno-Blauhelme auch in humanitärem Einsatz in Kämpfe verwickelt werden könnten. Die Schlußfolgerung paßt zu seinen eigentlichen Absichten: »Es ist schwer zu sehen, wie man deutsche Soldaten garantiert davor bewahren kann, so wünschenswert das sein mag.«
Unverhohlen hatte Scharping die Bundestagsfraktion ("Ihr habt dagegen geklagt") wegen der Verfassungsklagen gegen die Entsendung deutscher Soldaten zu Awacs-Einsätzen über der Adria und zum Uno-Einsatz in Somalia kritisiert.
Aus der demonstrativen Neubestimmung der Außenpolitik ist erst mal nichts geworden. Sieger im innerparteilichen Richtungskampf bleiben drei Spitzensozis, denen es allesamt schwerfällt, die Führungsrolle des jungen Mainzer Ministerpräsidenten anzuerkennen.
Schröder und Wieczorek-Zeul haben ihre Juni-Niederlage bei der Mitgliederbefragung zum SPD-Vorsitz nicht verwunden. Der Saarländer Lafontaine hadert nach wie vor mit seinem Schicksal und seiner Partei. Erst wollte er, das war 1990, nicht Parteichef werden, und dann wollte ihn die SPD nicht.
Leidvoll muß Scharping nun lernen, wie schwer es ist, die SPD zu verändern. Als er sich zwischen »Handlungseinheit der Partei«, so ein Scharping-Vertrauter, und Regierungsfähigkeit entscheiden mußte, zuckte er zurück. Es fällt auch auf Scharping zurück, daß er Klose, den Außenpolitiker in seinem Wahlkampfteam, erst vorpreschen und dann hängen ließ.
Lafontaine hatte im Präsidium massiv davor gewarnt, die SPD außenpolitisch der Regierung anzupassen. »Ich habe nicht vor zehn Jahren in Mutlangen gesessen, um jetzt solche Fahrlässigkeiten durchgehen zu lassen«, wetterte der Parteivize, im Team Scharping für Wirtschaft und Finanzen zuständig.
»Es ist fatal, daß sich alles nur noch an der Blauhelm-Geschichte aufhängt«, beschimpfte er die Genossen und hielt ihnen ein Kolleg über die wirklichen Defizite sozialdemokratischer Außenpolitik. »Viele geniale Außenpolitiker bei uns« übersähen, daß Deutschland ökonomisch schwächer geworden sei und folglich weniger Spielraum besitze. Die SPD solle sich endlich um das von der Regierung sträflich beschädigte deutsch-französische Verhältnis kümmern.
Verheugen verwies auf das Recht der Blauhelme, ihren Auftrag auch gegen Widerstand zu verteidigen und durchzusetzen.
»Günter«, fiel ihm der Saarländer provozierend ins Wort, »aber die anderen müssen zuerst schießen, gell.«
Uno-Einsätze, bei denen sich Blauhelme den Weg freischössen, kämen für die SPD nicht in Frage, erklärte Lafontaine ex cathedra. Es dürfe nicht passieren, daß die Uno eines Tages Interventionen nach dem Beispiel des amerikanischen Überfalls auf Grenada oder der Sowjet-Invasion in Afghanistan unter deutscher Beteiligung befehle. Er erntete keinen Widerspruch.
Am Ende verständigten sich die SPD-Oberen auf eine gewundene Formel, der allein Klose nicht zustimmte: Den deutschen Blauhelmen ist restriktiver Waffengebrauch zur Selbstverteidigung erlaubt als »defensive, deeskalierende Absicherung ihres friedenserhaltenden oder humanitären Auftrages«, der stets auf Einvernehmen mit den Konfliktparteien zielen müsse.
Scharping stimmte dieser Wegweisung mit leisem Vorbehalt zu: Für ihn klinge die Annahme »hypothetisch«, die Uno könne in den nächsten 15 bis 20 Jahren imstande sein, selber gegen einen Aggressor Krieg zu führen. »Das ist eine Frage für eine ferne Zukunft.« Deshalb der SPD eine Zerreißprobe zuzumuten empfindet er als unangemessen. Auch Sozialdemokraten müßten jedoch hinnehmen, »daß Blauhelme ihren Auftrag militärisch absichern«.
Scharping hält sich die Option auf Kampfeinsätze offen. Den Konflikt mit Oskar Lafontaine und dessen Verbündeten vermeidet er - fürs erste und auf jeden Fall bis zum Parteitag im November.
Bis dahin will er durchsetzen, daß die SPD für jede Art Uno-Einsatz eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit fordert; die Wieczorek-Kommission lehnte die am vorigen Freitag ab. Scharping beharrt, den Karlsruher Verfassungsrichtern dürfe die Entscheidung nicht überlassen bleiben, wie und mit welchen politischen Mehrheiten deutsche Truppen ausgeschickt werden.
Der Parteichef und seine Berater denken an das Wahljahr 1994. Sie schließen nicht aus, daß die Karlsruher Richter die Verfassungsklagen der SPD gegen die Awacs- und Somalia-Einsätze der Bundeswehr in der Hauptsache abschlägig entscheiden. Eine derartige Pleite vor wichtigen Landtags- oder gar den Bundestagswahlen käme, so heißt es, einer »Katastrophe« gleich.
Auch da sind Lafontaine und Schröder ganz anderer Auffassung. Erst wenn das Verfassungsgericht ein Urteil spreche, müßten Bundestag und Bundesrat »über den Zustimmungsmechanismus entscheiden, nicht vorher«.
Intern hat Scharping bereits wissen lassen, daß er da nicht nachgeben will.
Er müsse verhindern, heißt es in seiner Umgebung, daß sich in der Partei Koalitionen gegen den Vorsitzenden bilden, die mit dem eigentlichen Streitthema - den Uno-Einsätzen - nichts zu tun hätten.
Soweit ist es schon. Y