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FREIE DEMOKRATEN Leo von rechts

Die nordrhein-westfälische FDP wählt am Wochenende einen neuen Landesvorsitzenden. Einziger Kandidat: der schillernde Staatsminister Jürgen W. Möllemann.
aus DER SPIEGEL 16/1983

Im Düsseldorfer Restaurant Müllers + Fest an der Kö tagte ein gemischtes Gremium. Führende Liberale und leitende Flick-Mitarbeiter überlegten miteinander, welche jungen Abgeordneten der FDP mit Barem unterstützt werden sollten. Mehr als 200 000 Mark aus einem Sonderfonds standen zur Verfügung.

Zu den Preisträgern im November 1975 gehörte ein Talent aus dem Münsterland: der gelernte Hauptschullehrer Jürgen W. Möllemann, damals 30, ein Politiker mit Perspektive.

Das Geld, so stellte sich später heraus, war gut angelegt. Möllemann reüssierte, rutschte von den Hinterbänken immer mehr nach vorn und hat es nach der Wende sogar zum Staatsminister im Auswärtigen Amt gebracht.

Jetzt wird der Freidemokrat auch in seiner Partei eins raufrücken. Auf einem Parteitag der nordrhein-westfälischen FDP in Leverkusen soll der bisherige Vize am kommenden Wochenende zum neuen Vorsitzenden gewählt werden.

Die Karriere des Aufsteigers aus Münster zum einzigen Vormann-Kandidaten des mit 23 000 Mitgliedern immer noch stärksten FDP-Landesverbandes ist ein Lehrstück, wohin es einer mit Beziehungen und Fleiß, Anpassung und PR bringen kann. Gleichzeitig ist es ein Beleg für den endgültigen Abgang der FDP in die rechte Ecke.

Von dort ist der Sohn eines Polsterers auch gekommen. Als Siebzehnjähriger trat er in die CDU ein, bereits nach zwei Semestern an der PH Münster wurde er Asta-Vorsitzender.

Im Herbst 1969 meldete sich der Pädagogik-Student plötzlich von der Union ab und, im Januar 1970, bei der FDP an, die er kurz zuvor noch öffentlich abgebürstet hatte. Etliche Kommilitonen, schrieb später das Münsteraner Alternativ-Blatt »Knipperdolling«, seien überrascht gewesen. Sie hatten Möllemann eher für einen heimlichen Sozialdemokraten gehalten.

Als Neu-Liberaler ging Möllemann gleich in die vollen. In seine erste Parteiversammlung im Spiegelsaal des Münsteraner Hauptbahnhofs schleppte er 45 neue Mitglieder an, eine qualifizierte Minderheit.

Der Vorteil für Möllemann lag auf der Hand: Die Versammlung, insgesamt 91 FDP-Leute, wählte den Newcomer zum Landtagskandidaten für Münster-Süd. Ein alter Parteifreund verlor. Der Kandidat von Münster-Nord, der Berufsoffizier Herbert Neu, findet das Manöver noch heute erstaunlich: »Den Trick kannten wir noch nicht.« Möllemann schon damals: »Individualisten bietet diese Partei die größte Freiheit.«

Schon zwei Jahre später zog Möllemann über die nordrhein-westfälische Landesliste in den Bundestag ein. Seine Parteirivalin um den Listenplatz war damals Ingrid Matthäus, die er in selbstformulierten Pressemeldungen als »beleidigte Diva« abmeierte. Über die Landeswahlversammlung, die ihn damals nominierte, schrieb Möllemann in einem Bericht, was typisch bleiben sollte: »Ich entschied mich ziemlich einstimmig für Möllemann.«

Aber er will nicht nur immer sein Bestes, er macht es auch einfallsreich. Beim Kampf um Stimmen schwebte S.50 Möllemann mit dem Fallschirm ein und verteilte FDP-Material und Autogramme. Für Kriegsdienstverweigerer regte der Reserveoffizier ein Zivilschutzkorps an; der Regierung empfahl er, die Bundeswehr als Uno-Friedenstruppe bereitzuhalten.

Im Revier merkten die Kumpel vom Schalker Markt auf, als der Mann aus dem Münsterland die Einstellung des Verfahrens gegen die Schalke-04-Sünder forderte. Möllemann in einem Dringlichkeitsantrag auf dem Mainzer Parteitag: »Deutschland braucht Schalke.«

Schön war auch, wie er Walter Scheel wieder zu einem »Markenzeichen« der FDP machen wollte oder wie er im vorigen September der verdutzten Republik einen idealen Bundeskanzler empfahl: Hans Dietrich Genscher. Und eine neue PR-Idee, wenn er den Landesvorsitz übernimmt, hat er auch schon. Seine Landespartei soll eine Patenschaft für die hessischen Freidemokraten im Wahlkampf übernehmen. Die haben sich schon bedankt.

Mit seinem Tempo kommt keiner mit. Als sich Petra Kelly am 29. März um 10.54 Uhr gerade auf ihren Platz im Bundestag setzen wollte, stürmte Möllemann als erster an, um der Grünen »Tag« zu sagen. Es sah so aus, als wollte er ihr die Hand küssen. »Bild« riet schon vor Jahren: »Achten Sie mal auf den.«

Die Macher von Flick hatten den Cleveren seit 1975 im Blick. Aus dem Sonderfonds, der auch von Wirtschaftsverbänden und der Versicherungswirtschaft gespeist wurde, erhielt Möllemann regelmäßig Bares zur freien Verfügung.

Beim Freiburger Parteitag im Mai 1976 kassierte er 15 000 Mark. Im Frühsommer 1979 bekam er ein Kuvert mit 10 000 Mark, und im Sommer 1980 war er immerhin schon 25 000 Mark wert. Über die Herkunft des Geldes, das ihm stets über den FDP-Schatzmeister ausgezahlt wurde, hat Möllemann »wirklich nichts gewußt«.

Verborgen blieb bis vor kurzem (SPIEGEL 4/1983) sein Engagement für den Flick-Konzern. Als Direktionsassistent stand Möllemann mit 60 000 Mark im Jahr auf der Gehaltsliste. Doch seine Leistung ließ Wünsche offen. Schriftlich entschuldigte sich Möllemann für fehlenden Einsatz - keine Zeit.

Ins Schleudern geriet der Vielzweck-Politiker, als er sich mit eigenen geschäftlichen Aktivitäten ein zweites Standbein zu verschaffen suchte. Im März stellte die Münchner TFK-Verlagsgesellschaft, von deren Kapital der FDP-Politiker 39 Prozent hielt, Antrag auf Konkurs. Mit der TFK hatte sich Möllemann im vergangenen Jahr die Titelrechte an der Zeitschrift »Twen« gesichert. Möllemanns damalige Agentur »PR + Text« übernahm für 100 000 Mark monatlich die redaktionelle Betreuung.

Zwar versuchte Möllemann im Oktober 1982 aus der TFK-Beteiligung herauszukommen, aber im Dezember noch S.51 unterschrieb er, für Verluste im Verhältnis zu seinem Anteil aufzukommen. Ob Möllemann an der TFK noch beteiligt ist oder ob er seinen Anteil rechtzeitig rausziehen konnte, ist strittig.

Als Möllemann in der Fraktion von seiner Kollegin Hildegard Hamm-Brücher über Flick und TFK um Aufklärung gebeten wurde, gab er zurück, ob sie jetzt die Fragen von Matthäus-Maier stelle. Scheinbar selbstsicher ergänzte er, er habe da keine Probleme.

Aber die hat er vielleicht doch. Die Stuttgarter Schuler GmbH hat Möllemann, der bei der Gesellschaft an erster Stelle der Drittschuldner steht, für die »Twen«-Produktion einen »Pfändungs- und Überweisungsbeschluß« vom 21. März 1983 in Höhe von 115 314,17 Mark zugestellt. Ein Schuler-Sprecher: »Wir haben mit TFK zusammengearbeitet, weil wir Herrn Möllemann als Garanten sahen. Das passiert uns nicht wieder.«

Manches hat er seiner Fraktion noch nicht erzählt: beispielsweise daß er bis zum Oktober 1982 eine stille Beteiligung an der Bonner »Gesellschaft für internationales Consulting + Marketing mbH« (I.C.M.) hatte. Die Promotionsgesellschaft soll besonders im Nahen und Mittleren Osten Geschäfte vermitteln - eben dort, wo Möllemann so gute Kontakte hat.

Das Geschäft hatte der Politiker mit einem Siegener Unternehmer getätigt: dem honorigen Liberalen und Bundestagsabgeordneten Eckhard Schleifenbaum, der letztes Jahr gestorben ist. »Irgendwelche Details über das Unternehmen« will Möllemann heute nicht nennen. Sicher ist, daß er als Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft ein guter Repräsentant für I.C.M. war.

Und die Geschäfte werden wohl so abgelaufen sein, wie er es 1982 in dem Geleitwort zu einem arabischen Branchenverzeichnis schrieb: Handel werde »auf Dauer nur dann erfolgreich sein können, wenn er vom gegenseitigen Geben und Nehmen bestimmt wird«. Ziele von ».C.M.: International Consulting und Marketing für Unternehmen im« » In- und Ausland und deren Interessenvertretungen, » » insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (small » » business) sowie für öffentliche Auftraggeber und sonstige » » Vereinigungen und Organisationen einschließlich » » zwischenstaatlicher und multilateraler inter- und » » supranationaler Einrichtungen. »

So beweglich wie im Geschäftsleben war Möllemann auch in der Politik. Als Genschers Spürhund reiste er nach Nordkorea, Südafrika und zu PLO-Chef Arafat nach Beirut. Mal warnte er vor einer Expansion der Rüstungsindustrie, um dann um so überzeugender für den Verkauf von deutschem Schießgerät im Ausland zu werben. Den Panzer Leo, den die Saudis so gerne wollen, müsse man, so Möllemann, »auf arabisch von rechts nach links« lesen: »Oel«.

Von Genscher ermutigt, wollte er die FDP »als erste Partei Europas« auf die S.53 Neutronenwaffe festlegen. Neuerdings plädiert er für eine atomwaffenfreie Zone.

Richtig konsequent war er nur bei der Wende in Bonn. Im April 1980 erklärte Möllemann bereits: »Wir koalieren mit Schmidt - nicht mit der SPD«, und im Oktober 1981 verkündete er, mit einem raschen Ende der Koalition müsse gerechnet werden, die SPD gehe von der Fahne.

Ein solcher Mann hat einen markanten Ruf quer durch alle Lager. »Riesenstaatsmann Mümmelmann«, höhnte CSU-Chef Franz Josef Strauß; über den »Genscher mit angelegten Ohren« witzelt der Düsseldorfer SPD-Vorsitzende Johannes Rau, »Friseur«, Möllemann hier - Möllemann da, schimpft der Sozialdemokrat Klaus Bölling, »unseriös« nennt ihn unter Freunden Burkhard Hirsch, der amtierende FDP-Chef in NRW.

Doch die Partei dort ist dennoch auf den Möllemann gekommen - für die Wahl zum Landeschef gibt es keine Alternative. Versuche, den Kölner Gerhart Baum oder die Rheinbacherin Carola von Braun-Stützer zu einer Gegenkandidatur zu bewegen, sind gescheitert.

Dabei hatte selbst Lambsdorff, der starke FDP-Mann an Rhein und Ruhr, Anfang 1982 einen anderen Kandidaten favorisiert: den Vorsitzenden der (außer-)parlamentarischen Arbeitsgruppe, den sozialliberalen Wolfgang Heinz. Doch der lehnte aus persönlichen Gründen ab.

Die Situation der NRW-FDP, die 1966 das historische Bündnis mit der SPD geschlossen hatte und die einst als Motor der Partei galt, ist düster. Bei der letzten Bundestagswahl verlor sie mehr als vier Prozentpunkte (6,4). Die dritte Kraft an der Ruhr sind nicht mehr die Liberalen (3 Prozent), sondern die Grünen. Nur noch in drei Rathäusern im Kohlenpott ist die FDP vertreten. Die Landespartei hat in den letzten Monaten etwa so viel Mitglieder verloren, wie sie in den Landesverbänden Saarland und Bremen an Mitgliedern zählt - fast 4000.

Richtigen Widerstand gegen den neuen Landesvorsitzenden gibt es nicht - die meisten Linken sind weg. Nur ein paar Widerständlern geht Möllemann gegen das liberale Prinzip.

Die Freidemokraten vom Stadtverband Dortmund-Nordwest, ein Resttrupp von 35, schrieben Möllemann, er solle wegen Flick und wegen seiner »gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten« nicht kandidieren.

Der Alt-Liberale Paul Erwig aus Diestedde, Parteimitglied Nr. 316, meldete der Parteizentrale, Möllemann habe im Kreis Warendorf bei der Bundestagswahl weniger Erststimmen als eine unbekannte Grüne bekommen.

Otto Graf Lambsdorff, der neuerdings hinter Möllemann steht, verlangt von dem Kandidaten diesmal ein richtiges Risiko. Möllemann solle vor der NRW-Landtagswahl im Jahre 1985 sein Bundestagsmandat niederlegen. Bleibt die FDP unter fünf Prozent, muß er wieder voll ins Geschäftsleben zurück. Auf jeden Fall will Möllemann vorerst Staatsminister bleiben. Dieses Amt, erklärte er den FDP-Bezirksvorsitzenden, brauche er als Entree vor den Bürgermeistern im Lande.

Doch manche Parteifreunde zweifeln an seinem Interesse für die Provinz. Sie erzählen, wie er im Februar im westfälischen Borken mit Verspätung bei einer Diskussion erschien und den neben ihm auf dem Podium sitzenden Sozi fragte: »Worum geht es hier eigentlich?«

S.51

International Consulting und Marketing für Unternehmen im In- und

Ausland und deren Interessenvertretungen, insbesondere für kleine

und mittlere Unternehmen (small business) sowie für öffentliche

Auftraggeber und sonstige Vereinigungen und Organisationen

einschließlich zwischenstaatlicher und multilateraler inter- und

supranationaler Einrichtungen.

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