INDUSTRIE / VW-MANAGERSCHULE Lernen in der Praxis
Wer in Deutschlands größtem Unternehmen, dem Wolfsburger Volkswagenwerk, etwas werden will, muß vorher nach Amerika.
Nirgendwo sonst in der Welt, so meinen die VW-Manager, lassen sich Verkaufen und Organisieren besser lernen als bei der erfolgreichsten Konzern-Tochter, der »Volkswagen of America Inc.« (VWoA) in Engiewood Cliffs im Bundesstaat New Jersey.
Im vergangenen Jahr setzte das VW-Werk mehr als 440 000 Wagen auf dem amerikanischen Markt ab, ein Drittel seiner gesamten Produktion. »Es lag daher nahe«, so erläuterte der Wolfsburger Verkaufschef Dr. Carl H. Hahn, 41, »unsere amerikanische Tochterfirma zur praktischen Ausbildungsstätte- für unsere Schlüsselleute auszubauen.«
Hahn, der selbst fünf Jahre bei VWoA gelernt hat, bevor er seinen Spitzenlob bei der Muttergesellschaft antrat, will seine Mitarbeiter mit amerikanischem »cost consciousness« (Kostenbewußtsein) und »pressure of competitiveness« (Wettbewerbsdruck) impfen. Hahn: »Begriffe, über die man in Deutschland viel spricht, ohne sie kapiert zu haben.«
In Amerika gehören sie zur täglichen VW-Routine. Seit Generaldirektor Heinz Nordhoff 1949 die ersten zwei Export-Limousinen nach Amerika verschiffte, eroberten seine Absatzstrategen in Englewood Cliffs einen immer größeren Markt-Anteil gegen knallharte Konkurrenten. Nach General Motors, Ford und Chrysler steht VWoA heute in der Liste der amerikanischen Autoverkäufer an vierter Stelle.
VW-Patriarch Nordhoff schwört selbst seit seinen Jugendtagen auf amerikanischen Busineß-Drill. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte die General-Motors-Zentrale den jungen Angestellten der Adam Opel AG in Rüsselsheim nach Detroit geholt und ihm Marketing- und Produktions-Methoden beigebracht.
Carl Hahn, den Nordhoff 1959 zum VW-Chefverkäufer in den USA ernannte, entwickelte aus der Vorliebe des einstigen General-Motors-Zöglings ein Reglement für die Praxis. Seit 1960 scharte er etwa zwei Dutzend junge Deutsche um sich und ließ sie beim VW-Absatz im Kampf mit amerikanischen Verkaufsstrategen beispielsweise Werbung, Händlerschulung und Nachschuborganisation in eigener Regie betreiben. Hahn: »Vom Trainee-System halten wir nicht viel, unsere Leute lernen in der Praxis.«
Hahn schult seine VW-Amerikaner vor allem für die Zukunft. Denn: »Einen Massen-Automobilmarkt, den wir in Deutschland erst jetzt bekommen, gibt es in Amerika schon seit Jahrzehnten.«
Beispielsweise auch das »Problem des Gebrauchtwagen-Markts« sollen Hahns Eleven besser lösen als die deutsche Konkurrenz. Denn dank der in Amerika erworbenen »Erfahrenheit« (Hahn) sind die Heimkehrer eher in der Lage, eine »eigenständige Politik in neuen und unerwarteten Marktsituationen« zu entwickeln.
Als vor Jahren der Absatz von gebrauchten VWs in den USA stagnierte, propagierten die Englewooder Manager einen »VW-Stopf-Wettbewerb"' bei dem es darauf ankam, eine möglichst große Anzahl von Personen in den Käfer zu quetschen. Sieger wurden Studenten der Illinois State University mit 20 Insassen pro Wagen. Seitdem sind gebrauchte Volkswagen vor allem bei Amerikas College-Jugend gefragt.
Bis heute hat der VW-Verkaufschef vier ehemaligen Kollegen zu Top-Positionen im roten Verwaltungshochhaus von Wolfsburg verholfen:
* Hans Holzer, 38, einst System-Manager in Amerika, leitet heute die Planungsabteilung Verkauf in Wolfsburg;
* Leonhard W. Jansen, 35, einst Marketing-Spezialist bei VWoA, koordiniert heute die zentrale Verkaufsorganisation der Mutterfirma;
* Hans J. Hinrichs, 35, einst Marktforschungs-Spezialist in Englewood Cliffs, steht heute der Wolfsburger zentralen Marktforschungsabteilung vor;
* Peter J. Spies, 31, einst Organisator des amerikanischen Händlernetzes, dirigiert heute in Wolfsburg den Ausbau von Verkaufsstützpunkten in aller Welt.
Hahns amerikanische Erfahrungen haben auf seine Werbung abgefärbt. Als 1959 Ford und General Motors den Vormarsch des Volkswagens in Amerika zu stoppen versuchten und die ersten Kompaktautos auf den Markt brachten, sann Hahn auf einen Gegenschlag. Er ließ sich Entwürfe für eine Anzeigen-Kampagne von der New Yorker Werbeagentur Doyle Dane Bernbach (DDB) schicken, die vor allem das. weitverzweigte VW-Service-Netz in den USA (heute 1000 Stationen) herausstreichen sollten.
Die sachlich aufgemachten Text- und Bildentwürfe gefielen Hahn so gut, daß er die DDB-Werbung nach Deutschland exportierte. Heute rühmen sich die Wolfsburger,daß VW-Anzeigen im US-Look beim deutschen Publikum einen doppelt so großen Leserkreis finden wie andere herkömmliche Anzeigen.
Trotz Werbe- und Management -Hilfe aus Amerika hat Hahn jedoch den Glauben an die einstmals vielgerühmten deutschen Organisations- und Absatztalente nicht verloren. Hahn: »Nicht alles Heil kommt von drüben.«
Nicht von drüben kommt vor allem Hahns neuer Boß. Nordhoffs Nachfolger als VW-Generaldirektor, Dr. Kurt Lotz, der seine Manager-Lehrjahre bei der Mannheimer Brown Boveri & Cie AG absolvierte, kennt die USA nur von kurzen Geschäftsreisen.