BÜCHER Letzte Party
Es schien eine Party wie viele andere: Gäste scherzten und lachten miteinander und tauschten Erinnerungen aus, im Hintergrund erklang gedämpfter Jazz, und zu den üblichen Häppchen gab es reichlich Champagner. Außerordentlich war nur der Anlaß für das Fest -- die Gastgeberin feierte ihren Abschied vom Leben.
Als die Gäste gegangen waren, duschte sie, schlüpfte in ihr pinkfarbenes Lieblingsnachthemd, ging zu Bett und ließ sich von ihrem Mann noch einmal Champagner nachschenken. Damit schwemmte sie um 5.30 Uhr die tödliche Dosis von 35 Seconal hinunter, jeweils fünf bis sieben Kapseln auf einmal. Vier Stunden später benachrichtigte der Ehemann die Polizei: Seine Frau Jo Roman, so teilte er mit, sei »friedlich, im Schlaf, wie sie es sich gewünscht hatte«, gestorben.
Die Polizei eröffnete und schloß die Akte Jo Roman in einem Vorgang. Damit kein Angehöriger der Beihilfe verdächtigt werde, hatte die Selbstmörderin zwei Tage vor dem geplanten Todesdatum (10. Juni 1979) notariell beurkunden lassen, an welchem Tag, zu welcher Stunde und mit welchem Schlafmittel sie sich das Leben zu nehmen S.211 gedenke. Sie wolle auf diese Weise ihrer Familie, ihren Freunden und sich selbst »die verheerenden Auswirkungen von Krebs im Endstadium« ersparen.
Weder in panischer Angst und Verzweiflung noch unter dem Einfluß unerträglicher Schmerzen hat die unheilbar an Brustkrebs erkrankte 62jährige New Yorker Künstlerin Jo Roman vor knapp zwei Jahren den Tod gesucht. Ihr Abgang war bis ins letzte Detail vorbereitet worden.
Noch mit dem Poststempel des Todestages erhielten 300 Freunde und Familienmitglieder Jo Romans einen Abschiedsbrief, in dem die eben Verstorbene ihre Handlungsweise erläuterte und verteidigte. Für die »New York Times« und das Lokalblatt ihres Heimatstädtchens Lancaster (Pennsylvania) hatte sie Nachrufe auf sich selber entworfen und abgeschickt.
Bis zuletzt hatte sie ein 250-Seiten-Manuskript über ihre Lebens- und Sterbens-Anschauung redigiert, das nun unter dem Titel »Freiwillig aus dem Leben« auch in deutsch erschienen ist.
( Jo Roman: »Freiwillig aus dem Leben«. ) ( Kindler-Verlag, München; 240 Seiten; 28 ) ( Mark. )
Darin plädiert sie für einen »wohlerwogenen, überlegten Freitod«, für eine »allen zugängliche, wissenschaftlich entwickelte Sterbedroge« und für ein gesellschaftlich und rechtlich sanktioniertes Sterbehaus ("Exit House"), wo jeder, der verantwortungsbewußt sein Leben beenden möchte, einen »würdigen, schmerzlosen Freitod sterben oder sich der Euthanasie bedienen« kann.
Als Jo Roman sich vorübergehend einmal sehr schlecht gefühlt hatte und befürchtete, das Manuskript nicht mehr fertigstellen zu können, arrangierte sie mit ihrem Mann Mel, Psychiater am Albert Einstein Medical College, sowie mit Freunden und Verwandten eine 19stündige Marathon-Diskussion über ihr Freitod-Credo. Ein befreundeter Filmemacher hat die Debatte, die an einem Wochenende in der Roman-Wohnung in Manhattan stattfand, auf Videoband aufgenommen und mittlerweile zu einem Dokumentarfilm zusammengeschnitten. Er wurde schon im Fernsehen gezeigt und dient jungen Medizinern als Lehrfilm.
Nicht genug. Für die erfolgreiche Malerin und Bildhauerin, die einst mit »Interaktions-Gemälden« und »Tastkästen« die New Yorker Kunstszene auf sich aufmerksam machte, bedeutete die Qualität ihres Sterbens nach eigenem Bekunden ein »schöpferisches Mittel zur Bereicherung des Lebens«.
Gemeinsam mit den Gästen ihrer Abschiedsparty arbeitete sie noch an ihrer sogenannten »Lebensskulptur« -einer sargförmigen Fichtentruhe mit durchsichtigem Plexiglasdeckel, in die sie alles packte, was ihr lieb und teuer war: Photos, Erinnerungsstücke, Notizbücher, Briefe, kleinformatige Bilder. Was sie nicht unterbrachte, stopfte sie schließlich in einen schwarzen Reisekoffer ihres Mannes.
Doch nicht erst der Tumor in ihrer Brust hatte Jo Roman zur Planung ihres ungewöhnlichen Finales und zu dessen Dokumentation veranlaßt. Zeit ihres Lebens hatte sich die ehemalige Volksschullehrerin und spätere Sozialarbeiterin mit der Selbsttötung als selbstbestimmtem Ende einer Lebensspanne beschäftigt. Gerade angesichts der medizintechnischen Möglichkeiten zur Erhaltung und Verlängerung des Lebens forderte Jo Roman ein gesellschaftlich akzeptiertes Recht (für Erwachsene), »abzulehnen, daß einem das Leben gegen seinen Willen aufgezwungen wird«.
Schon als kleines Mädchen, erinnerte sich Jo Roman, als sie ihren Vater, einen Sekten-Prediger aus Massachusetts, bei seinen Hausbesuchen begleitete, habe nichts ihre Aufmerksamkeit so sehr erregt wie »schwere Krankheit, Sterben, Tod und Beerdigungen«.
Doch erst im Alter von 58 Jahren faßte Jo Roman den »überlegten Freitod« erstmals auch als »persönliche Möglichkeit ins Auge«. Sie beschloß, mit 75 Jahren ihrem Leben ein Ende zu setzen, also im Jahre 1992. In 17 Jahren, so veranschlagte sie 1975, würden ihre Vorstellungen von Lebensqualität aller Voraussicht nach nicht mehr gewährleistet sein.
»Ich steckte mir selbst das Ziel, den geeigneten Zeitpunkt zum Sterben auszuwählen«, schrieb sie, »und zwar bevor ich in einen Zustand der Abhängigkeit geriet, den ich ablehne.« Die ihr nahestehenden Menschen wollte sie vorbereiten, »so daß sie meine Tat verstehen und akzeptieren und sich nicht belastet zu fühlen brauchten«.
Als jedoch schon wenige Jahre später die wuchernde Geschwulst in ihrer linken Brust erkannt wurde, verlegte sie ihr Sterbedatum vor. »Ich wollte diesen Termin so einrichten«, schrieb sie in ihrem Abschiedsbrief, »daß er noch vor dem Beginn intensiver Beschwerden lag, die meine Chance verringern konnten, bei vollem Bewußtsein den letzten Pinselstrich auf das Gemälde meines Lebens zu setzen.«
Jo Roman, so versichern ihre Freunde und Bekannten, sei weder Exhibitionistin noch von Todessehnsucht besessen gewesen -- im Gegenteil. Angeblich war sie ein äußerst lebensfroher Mensch, und ihre Privatsphäre habe ihr viel bedeutet. Die öffentliche Inszenierung ihres Freitods hat zweifellos an ein mächtiges Tabu gerührt. Doch davonschleichen wollte sie sich nicht.
»Ich möchte mich nicht selbst erniedrigen«, schrieb sie ihren Freunden zum Abschied, »indem ich einen Akt verheimliche, der meiner Meinung nach Respekt verdient.«
S.211Jo Roman: »Freiwillig aus dem Leben«. Kindler-Verlag, München; 240Seiten; 28 Mark.*