PROZESSE / TOTSCHLAG Letzte Phase
Renate Heinig, 33, stand am 19. Februar 1968, gegen 16.45 Uhr, auf Nürnbergs populärstem Strich am südöstlichen Stadtrand. Ein Ford 17 M mit dem amtlichen Kennzeichen PAR -- N 324 rollte auf sie zu. Darin saß, mit viel Bier im Bauch, der Baggerführer Andreas Peter, 24. Renate stieg ein, der Wagen fuhr einige Kilometer weiter in ein Wäldchen.
Dort offerierte die gelernte Buchhalterin: »Vielleicht französisch?« Peter entrichtete 40 Mark, dann beugte die Prostituierte sich über den Freier. Sekunden später wollte sie Ihren Kopf zurückziehen, der Mann drückte ihn wieder hinunter,
Jäh schoß Renate Heinig hoch und schlug ihre Fingernägel derart in die Wangen von Andreas Peter, daß heute noch Narben zu sehen sind. Da legte der Angetrunkene, der sich unversehens betrogen glaubte, seine Baggerführer-Hände um ihren Hals und drückte zu, »bis sie nicht mehr kratzte und ihre Augen sich verdrehten«.
Peter wischte sich das Blut aus dem Gesicht und überlegte, ob er »ihr noch eine hauen« sollte. Doch Renate Heinig regte sich nicht mehr. Der Arbeiter stellte einige Wiederbelebungsversuche an, dann zerrte er sie in ein Gehölz und verschwand.
Am 5. März 1968 wurde er verhaftet und gab sofort alles zu: »Ja, ich habe eine Nutte erdrosselt, das wird wohl ein Mord sein.« Ohne Rechtsbeistand sagte er immerzu, was die Polizei von ihm hören wollte, und die Anklage lautete denn auch auf Mord.
Die Wahrheit erfuhr Peter erst nach seinen diversen Geständnissen: Im Institut für Gerichtsmedizin und Kriminalistik der Universität Erlangen-Nürnberg entdeckten die sezierenden Ärzte im Schlund Renate Heinigs etwas, das sie zunächst für einen Knebel hielten. Als sie nachfaßten, war es, so die Gelehrten, ein »vulkanisierter Fremdkörper«, der 14 Zentimeter lang vom Gaumen abwärts hing -- ein Präservativ.
Wochenlang wälzte Privatdozent Lothar Lautenbach, 45, die einschlägige Literatur, dann kam er zu der Erkenntnis: »Das hat es bisher noch nicht gegeben.« Denn »die letzte Phase des Erstickens« ging auf Konto des Kondoms.
Nach 20 Monaten Untersuchungshaft erfuhr Andreas Peter vorletzte Woche vor dem Nürnberger Schwurgericht: Wohl habe er Renate Heinig heftig gewürgt, doch lasse sich sein Griff als Todesursache nicht mit hundertprozentiger Sicherheit fixieren.
Wie minimal die Wahrscheinlichkeit für Renate Heinigs Kolleginnen ist, ein solches Berufsrisiko zu erleiden, machte Lautenbach mit einer einzigen Ziffer deutlich: Allein in den USA werden täglich anderthalb Millionen Präservative hergestellt, ohne daß je dort oder anderswo ein derartiger Fall bekanntgeworden wäre. Gleichwohl habe der Würgegriff des Baggerführers -- so der Privatdozent -- die Dirne daran gehindert, sich des Fremdkörpers zu entledigen,
Blieb, nachdem die Staatsanwaltschaft von Mord auf Totschlag übergewechselt hatte, für das Gericht immerhin noch eine gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge übrig: nicht etwa die Mindeststrafe von drei Jahren« sondern viereinhalb.