BAYERN Letzte Reife
Wenn Bayerns Finanzminister Max Streibl als Hausherr des Staatlichen Hofbräuhauses alljährlich im Mai bei Blasmusik und surrenden Fernsehkameras einen Ziegenbock die ersten Schlucke seines Frühjahrsstarkbiers kosten ließ, bekamen die Lachgrübchen auf seinen Wangen einen derartigen Tiefgang, daß sogar Kommentatoren der »FAZ« ins Schwärmen gerieten: »Ein schöner Mann.«
Wenn Ministerpräsident und Ex-Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß seinen jüngeren Kollegen im Kabinett mit kniffligen Steuerfragen drangsalierte, pflegten die Grübchen aus Streibls Gesicht zu verschwinden. Und Strauß lästerte über den unvollkommenen Kandidaten: »Schön mag er ja sein...«
Am Mittwoch dieser Woche wird der bayrische Beau Amtsnachfolger seines plötzlich verstorbenen Examinators. Mit großer Erleichterung werden die 129 CSU-Abgeordneten die neue Ära einleiten. Denn auch sie waren ja, wie Streibl, vom Ex-Landesvater nach Kräften geschurigelt worden, der mißliebige Fraktionsbeschlüsse kurzerhand umredigierte und ihnen Eigenwilligkeit, wie zuletzt die Steuerfreiheit für Flugbenzin, aufzuzwingen versuchte.
Obschon rechtlich umstritten ist, ob nach Artikel 44 der bayrischen Verfassung im Todesfall oder bei Rücktritt eines Ministerpräsidenten nicht automatisch die gesamte Staatsregierung zurücktreten müßte, wird es im Freistaatskabinett vorerst nur zu behutsamen Umbesetzungen kommen. Die verwaiste CSU, so ein Münchner Funktionär, will zunächst »nur a bißl umanandaschiab''n«. Die ersten Schübe könnten manchen schon hart treffen.
Dem forschen Aids-Staatssekretär Peter Gauweiler im Innenministerium soll der ehrgeizige Staatsminister Edmund Stoiber vorgesetzt werden. Innenminister August Lang, der, von Strauß wie ein alter Windjammer Zug um Zug abgetakelt, am Ende wie ein dummer August dastand, soll ins Wirtschaftsressort weitergeschoben werden. Wirtschaftsminister Gerold Tandler, der auch mit dem CSU-Vorsitz liebäugelt, soll in das Finanzministerium aufsteigen.
Falls Ministerpräsident Streibl den erst unter Strauß geschaffenen Posten eines Staatsministers in der Staatskanzlei wieder abschafft, wird der Verstorbene womöglich gar keine Lücke im Kabinett hinterlassen: Die erst jüngst von Hausschreinern des Maximilianeums verlängerte Regierungsbank könnte wieder auf das alte Format zurückgestutzt werden.
Der alte Landesvater und das neue Landesväterchen waren ideologisch nie weit auseinander. Nur macht es halt einen Unterschied, ob Strauß, auf den Zehen wippend, von einem Ventilator im Rednerpult gekühlt, das Publikum in Bierzelten aufrührte oder ob Streibl im Seminarton gegen die SPD, dieses »Windei des Jahrhunderts«, oder die »Drei-Pünktchen-Partei« FDP polemisierte und an die Gefühlslage von Stammtischbrüdern zu appellieren versuchte: »Es kann ja nicht jeder Philosoph sein.«
Großherzig bescheinigte Strauß seinem Gefolgsmann »zupackende Frische« und »umfassende politische Erfahrung«, auch wenn sich der wohltemperierte Eleve nicht selten im Niemandsland zwischen den Fronten aufhielt.
Als Strauß 1966 ganz heimlich den CDU-Bundeskanzler Ludwig Erhard _(Oben: im Münchner Hofbräuhaus; mit der ) _(bayrischen Königskrone; ) _(unten: als Diener des Pilatus bei den ) _(Passionsspielen in Oberammergau. )
stürzen wollte ("Beinahe zwei Augen sind zuviel, um darüber zu reden"), hielt Streibl diplomatisch Distanz zu dem Putschversuch: »Besser keine Revolution als eine halbe.«
Als Streibl ein Jahr später als der bis dahin jüngste CSU-Generalsekretär antrat, gewann er spielend die Unterstützung des sonst heftig zerstrittenen klerikalen und des liberalen Flügels. Denn Vorsitzender Strauß hatte mit seinem Favoriten für dieses Amt - Franz Dannecker, einem Brathendl-Syndikus aus dem »Wienerwald« - wieder mal die gesamte Crew verschreckt und zur Solidarisierung gezwungen.
Und auch bei der Kreuther Sezession 1976, als sich die CSU aus der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU verabschieden wollte, hielt sich Streibl geschickt aus der Feuerlinie - denn den Beschluß habe ja Strauß »in eigener autonomer Initiative vorgeschlagen und formuliert«.
Mit seiner Berufung zum ersten Umweltminister der Republik 1970 ging der Hotelierssohn aus Oberammergau in die Geschichte ein - jedenfalls in die zweibändige »Bayerische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert« von Max Spindler, in der christsoziale Weggenossen wie der derzeitige Staatskanzleichef Edmund Stoiber oder die Aspiranten für den CSU-Vorsitz Gerold Tandler und Theo Waigel noch nicht vorkommen.
In jener Zeit - Strauß war damals, wie Streibl heute, 56 Jahre alt - wurde der Nachfolger in den Medien bereits zum bayrischen Thronfolger ausgerufen. Das hat Streibl, in bewundernswerter Ausdauer, unter Strauß fast zwei Jahrzehnte lang durchgehalten.
Versüßt wurde die Wartezeit mit dem Bayerischen Verdienstorden (1971), dem Bundesverdienstkreuz (1972), dem Großen Bundesverdienstkreuz (1975), schließlich noch ergänzt durch Stern (1977) und Schulterband (1983).
Die nötige Kraft fand Streibl, der sich vom blondgelockten Grabengel bei den Oberammergauer Passionsspielen zum Ordensritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem fortentwickelte, beim Angeln, Wandern und Schwammerlsuchen in seiner geliebten Gebirgsheimat und im katholischen Glauben: Lieber als in der Nibelungenhalle zu Passau redete er vor dem Katholischen Männerverein in Tuntenhausen. Und anders als Strauß holte er sich Ratschläge nicht bei allerlei Freunderln vom Münchner Autohändler Karl Dersch bis zum bulgarischen Leibarzt Valentin Argirov, sondern bei der Katholischen Akademie. Denn Streibl wollte ja »Christentum und europäische Kultur zur letzten Reife führen«.
Bei wirklichen Freunden hielt sich Streibl stets an sein Christen-Motto »In omnibus caritas« - »in allem die Liebe«. Als der Maschinenbauer und CSU-Landtagsabgeordnete Manfred Dumann in die Hierarchie des Luftfahrtkonzerns Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) eingebaut wurde, riskierte der Ministerpräsident in spe sogar ein beinahe emanzipiertes Scharmützel mit seinem Vorgänger. In dessen Verlauf erklärte der Finanzminister und MBB-Aufsichtsratsvorsitzende, daß Dumann, ein langjähriger Kumpan aus der Frühzeit der Jungen Union, beileibe kein Strauß-Spezi, sondern ein Streibl-Spezi war.
In seinen Ämtern gab sich Streibl, der gern in den staatseigenen Münchner Torggelstuben zu Mittag ißt, haushälterisch bis knauserig. Die Partei mußte er nach dem restriktiven Parteienfinanzierungsgesetz von 1967 mit halber Mannschaft und halbem Etat »wie eine Exportfirma« führen. Und das Umweltministerium versuchte er mit 0,06 Prozent des Staatshaushalts »gleichrangig neben die klassischen Bereiche« zu stellen.
Um so mehr wunderten sich Beamte des Finanzministeriums, als ihr Hausherr vor Monaten mehrmals seinen persönlichen Dispositionsfonds kräftig überzog, Ausflüge bis nach Florida unternahm und ein eigenes Referat für Repräsentationsfragen einrichtete. Zuletzt ließ er vor der Auszeichnung der Strauß-Tochter Monika Hohlmeier mit dem Bundesverdienstkreuz den abgetretenen Boden des blauen Sitzungssaals erneuern - obschon dann wegen des großen Andrangs die Ordensverleihung im Flur stattfinden mußte.
Auch ein bißchen Härte demonstrierte Streibl, wenn auch meist unter dem Druck von Strauß: Er feuerte den in »Wienerwald«-Geschäfte verwickelten Landesbankchef Ludwig Huber - wenn auch versehen mit einer, wie Christsoziale vermuten, zweistelligen Millionenabfindung. Er schickte seinen Spitzenbeamten Lothar Müller wegen unerlaubter Steuervergünstigungen davon - wenn auch nur nach nebenan auf den hochdotierten Posten eines Präsidenten der Landeszentralbank. Und auch der Steuerbeamte Wilhelm Schlötterer, der die Unredlichkeiten aufgedeckt hatte, wurde zwangsversetzt und mit einem Beförderungsstopp belegt - der freilich inzwischen wieder aufgehoben wurde.
Ob Streibl, der noch bei den jüngsten Passionsspielen als Diener Aurelius von Pontius Pilatus mitwirkte und in dieser Rolle das Todesurteil gegen Jesus verlas, derlei Entscheidungskraft auch ohne Strauß beibehalten wird, muß sich noch erweisen. Den Hauptredner beim Aschermittwoch in Passau wird er wohl nicht ersetzen können.
Die CSU hat sich da aber schon einen Ausweg ausgedacht. Damit ihr nicht von Rechtspopulisten wie dem Republikaner-Chef Franz Schönhuber, der letzte Woche in Biersälen zu Schweigeminuten für Strauß aufrief, oder von Linksoppositionellen, die wie der Sozialdemokrat Peter Glotz künftig »in der gleichen Gewichtsklasse boxen« möchten, der Rang abgelaufen wird, soll Redner Strauß in Passau in einer Multimedia-Show wiederauferstehen.
Oben: im Münchner Hofbräuhaus; mit der bayrischen Königskrone;unten: als Diener des Pilatus bei den Passionsspielen inOberammergau.