BECKER Letztes Gefecht
Dem umstrittensten deutschen Landgerichtspräsidenten droht neuerdings wiederum - vermutlich zum letzten Mal - die Gefahr, seinen Posten zu verlieren: Gegen den Bonner Dr. Heinrich Becker wurde vor der Düsseldorfer Disziplinarkammer für Richter ein Verfahren eingeleitet.
Beckers Kammer-Kollegen könnten den Präsidenten, wenn sie ihn eines Dienstvergehens für schuldig befinden, mit der »Versetzung in ein Amt ... mit geringerem Endgrundgehalt« bestrafen.
Der nordrhein-westfälische CDU-Justizminister Dr. Artur Sträter, Parteifreund Beckers, will sich »um eine beschleunigte Durchführung des Verfahrens bemühen«.
Bislang waren die Bemühungen, den seßhaften Bonner Landgerichtspräsidenten aus seinem Sessel zu vertreiben, ebenso langwierig wie erfolglos. Sträters Vorgänger im Justizministerium, Dr. Otto Flehinghaus, hatte im Sommer 1962 nach dreijährigem Debakel resigniert: »Ein Richter ist unabsetzbar und unversetzbar - wenn er nicht selbst zurücktreten will.«
Seit dem Frühjahr 1959 verteidigt sich der Bonner Gerichtsherr gegen jenen Vorwurf, den im Januar 1961 die SPD -Fraktion des Düsseldorfer Landtags in einer Großen Anfrage aufgriff: Er, Becker, habe das Bestechungsverfahren gegen den früheren Kanzler-Adjutanten und Leihwagen-Fahrer Kilb »in unlauterer Weise gelenkt oder beeinflußt« und nicht »die für die Unabhängigkeit und das Ansehen der Rechtsprechung notwendige Zurückhaltung geübt«. Vor allem habe Becker versucht, den Landgerichtsdirektor Quirini zum Verzicht auf den Vorsitz der Ersten Strafkammer zu bewegen, die für den Fall Kilb zuständig war.
Auch kam der Verdacht auf, das Kilb -Verfahren sei nicht ohne Zutun Bekkers später von der Ersten an eine neu installierte Siebte Strafkammer übertragen worden. Und schließlich wurde behauptet, der Präsident habe mit den Richtern der neuen Kammer das Verfahren gegen Kilb besprochen, der im November 1959 außer Verfolgung gesetzt wurde.
Der in die Verteidigung gedrängte Präsident ließ sich über seine Rolle unterschiedlich aus. Als er von Beamten des Justizministeriums vernommen wurde, versicherte er »ausdrücklich«, er habe sich »in keiner Weise um das Verfahren (gegen Kilb) gekümmert« und es »peinlichst vermieden, mit irgendeinem Mitglied der (Siebten) Kammer irgend etwas in der Strafsache Kilb ... zu besprechen«.
Vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß, den die SPD beantragt hatte, räumte Becker jedoch schließlich ein, daß er mehrfach mit der Siebten Kammer über die »Beschleunigung« des Kilb-Verfahrens und auch über eine Vernehmung des Bundeskanzlers Adenauer konferiert habe.
Nach Ansicht der nordrhein-westfälischen SPD-Führer hatte Becker seinem Minister als oberstiem Dienstherrn mithin nicht die Wahrheit gesagt.
Vor dem Untersuchungsausschuß, der vom Landtag mit richterlicher Funktion ausgestattet worden war, machte sich Becker nach Ansicht des SPD-Abgeordneten Dr. Josef Neuberger darüber hinaus mehrfach der »Mißachtung des Parlaments« schuldig, als er die Aussage verweigerte und sich in Widersprüche verwickelte.
Je nach der Parteizugehörigkeit entschieden die Mitglieder des Ausschusses für oder gegen Becker. Die Christdemokraten befanden, der Präsident habe sich korrekt verhalten; die Sozialdemokraten kamen zur gegenteiligen Auffassung.
Immerhin hielt es auch der CDU-Justizminister Flehinghaus für opportun, Becker aus der Bonner Schußlinie zu entfernen. Aber der Rat des Ministers an den Präsidenten, er möge auf den gleichen Posten bei einem anderen Landgericht retirieren, wurde von Bekker verworfen.
Nach den Landtagswahlen und der Regierungsumbildung im Sommer 1962 versuchte der neue Justizminister Sträter, wie zuvor Flehinghaus, den Parteifreund und Präsidenten Becker zum freiwilligen Verzicht auf dessen Bonner Posten zu ermuntern. Becker aber blieb standhaft.
Die Sozialdemokraten drängten dann bei Sträter auf ein Disziplinarverfahren gegen den Präsidenten. SPD-Fraktionschef Heinz Kühn: »Wir wünschen, daß sich der Justizausschuß sehr bald mit dieser Frage beschäftigt, weil wir sonst gezwungen sein würden, sie erneut im Plenum zu behandeln.« Als letzte& Waffe hielten die SPD -Genossen den Antrag auf einen neuen Untersuchungsausschuß bereit.
Anfang Dezember kündigte CDU-Sträter an, er werde im Januar 1963 entscheiden, ob disziplinarische Schritte möglich seien oder nicht.
Daß sich der Minister Ende Februar bereit fand, das Verfahren einzuleiten, ist allerdings nicht allein auf die Initiative der SPD zurückzuführen.
Auch Kollegen Beckers hatten sich eingeschaltet: der »Verein der Richter und Staatsanwälte« in Nordrhein-Westfalen, eine angesehene Standesorganisation.
Der Verein übergab dem Justizminister Material zum Beweis dafür, daß Bonner Richter sich durch ihren Dienstherrn Becker »in ihrer richterlichen Unabhängigkeit tangiert fühlten«, wie der Oberstaatsanwalt Dr. Ernst Kirschbaum, Bonner Ortsvorsitzender der Beamten -Organisation, bereits vor dem parlamentarischen Ausschuß in Düsseldorf ausgesagt hatte.
Die nordrhein-westfälischen SPD -Parlamentarier scheinen allerdings nicht überzeugt zu sein, daß die Unterlagen ausreichen, den widerspenstigen Becker durch Entscheid der Düsseldorfer Disziplinarkammer aus dem Bonner Landgericht zu vertreiben: Heinz Kühn und seine SPD-Fraktion forschen nach Todesurteilen des Sondergerichts, dem Becker während des Krieges angehört hat.
Bonner Gerichtsherr Becker: Kollegen sammelten