GLÜCKSSPIEL Letztes Kreuz
Tag für Tag, von Montag bis Samstag, verkündet »Bild« seinen fast zwölf Millionen Lesern eine frohe Botschaft in rotem Rand: drei neue Zahlen für das Glücksspiel »Super-Bingo«. Drumherum, in weißer Schrift auf hellblauem Grund, jubeln stets ein paar Mitspieler ihr Bingoluja, wie etwa der Hamburger Fräser Dieter Faaß ("Ich konnte schon nächtelang nicht mehr schlafen") oder ein Anonymer »aus Bremen, arbeitslos, völlig verzweifelt«, der mit »Bild« gewann: »Bingo hat mein Leben verändert.«
Solche Begeisterung teilt nicht jeder. Der nördliche Konkurrent »Hamburger Morgenpost« beschuldigte das Blatt aus dem Springer-Verlag Ende September vor dem Hamburger Landgericht, es treibe mit Bingo unlauteren Wettbewerb. Und für den Solinger Bingo-Spieler Günther Fritsche ist »Bild«-Bingo nichts als »der große Bluff, der größte Computer-Schwindel«. Der Essener Photohändler Horst Nowak nennt es »die Verarschung von Millionen«.
Seit der Verlag 1981 nach dem Vorbild englischer Massenblätter zum erstenmal mit »Goldregen« auf Käuferfang ging haben »Bild«-Leser einen zusätzlichen Kaufanreiz und Nicht-Leser einen Grund, sich das Blatt dennoch zu kaufen - weil es Geld zu gewinnen gibt.
Die Verlockung wuchs, als die Zeitung im März dieses Jahres mit Super-Bingo begann und im September die zweite Spielrunde einläutete. Ausgelobt sind hohe Gewinne, bisher einmalig bei bundesdeutschen Zeitungs-Glücksspielen. So schüttet der Verlag für das laufende Super-Bingo 1,7 Millionen Mark aus, im Schnitt 10000 Mark pro Spieltag.
Ob durch das Spiel oder nicht: Seit Beginn von Super-Bingo stieg die verkaufte Auflage von 4,75 auf 5,1 Millionen. Die Nachfrage nach den zum Spiel erforderlichen Bingo-Karten in den 90000 Verkaufsstellen war bislang so hektisch, daß viele Händler entnervt die Hände heben, wenn sie nur das Wort Bingo hören. Wie viele Teilnehmerkarten mit unterschiedlichen Zahlenreihen für das laufende Super-Bingo gedruckt wurden, verschweigt der Verlag; Insider schätzen die Zahl auf etwa zwanzig Millionen Stück.
Dabei ist die Teilnahme am Spiel mit einer Menge Arbeit verbunden: 26 Wochen
lang muß sich ein Kartenbesitzer an jedem Wochentag die drei Glückszahlen aus »Bild« besorgen und in seinem Schein ankreuzen, falls sie vorhanden sind. Das dauert zwischen zehn Minuten und einer halben Stunde, macht pro Spieldauer und Spielschein 26 bis 78 Stunden meist vergeblicher Arbeit.
Auf einem Super-Bingo-Schein befinden sich insgesamt 494 dreistellige Zahlen, die durcheinandergewürfelt auf 34 Zahlenreihen verteilt sind. Auf demselben Schein stehen überdies noch 262 Zahlen für »Bild der Frau«. Einen Gewinn zwischen hundert und 40000 Mark erhält dabei derjenige, der eine Zahlenreihe von 14 oder 15 Zahlen vollständig ankreuzen kann.
Das Ankreuzen muß aber täglich geschehen. Denn selbst wer eine Reihe voller Kreuze vorweisen kann, erhält seinen Gewinn laut Spielsatzung nur dann, wenn er ihn noch am Tag des letzten Kreuzes zwischen acht und 16 Uhr telephonisch in Hamburg reklamiert. Wer den Tag verpaßt, geht leer aus.
Daß »Bild« den Bingo-Fans mehr verspricht, als es hält, ist einer der Kernpunkte der »Morgenpost«-Klage, die demnächst verhandelt wird. Die auf den Spielscheinen versprochenen Gewinnchancen und die Reportagen über »Bingo«-Gewinne ("Bild": »Täglich bis zu 40000 Mark") vernebeln nach Meinung der Kläger, daß die tatsächliche Gewinn-Lage eher dürftig ist.
Selbst nach den Angaben der »Bild«-Zeitung gab es bei der ersten Super Bingo-Serie von März bis September nur rund 1400 Gewinner, die allermeisten mit Preisen von hundert oder 200 Mark. Nur 28 Gewinner kamen, werbeträchtig über die ganze Spielzeit verteilt, auf 20000 Mark und mehr. Insgesamt 99,9 Prozent aller Mitspieler gingen leer aus.
Unlauter sei überdies, argumentiert die »Morgenpost«, daß ein »psychologischer Kaufzwang« ausgeübt werde. Zwar würden die Teilnahmekarten offiziell kostenlos abgegeben, doch bestehe faktisch in vielen Fällen eine Pflicht zum gleichzeitigen »Kauf von 'Bild'«, weil Kiosk-Besitzer die Scheine sonst nur zögernd oder gar nicht herausrücken.
Mit »Bild« noch härter ins Gericht gehen Bingo-Spieler wie der Solinger Fritsche oder der Essener Nowak. Ihr Vorwurf: Bingo sei ein computergesteuertes Spiel, bereits beim Druck der Teilnahme-Scheine stehe präzise fest, welche Karten gewinnen. »Obgleich 'Bild' also bereits bei der Ausgabe der Teilnahmekarten weiß, welche Karten nie gewinnen«, sagt Nowak, »läßt es die Leute ein halbes Jahr ins Leere arbeiten und hoffen wie bekloppt.«
Um sich und anderen Mitspielern solch unnütze Arbeit zu ersparen, hatte der Essener Spiele-Kenner und Computer-Freak Nowak bereits bei der ersten Super-Bingo-Serie mit seinem Computer den Zahlen-Kode geknackt. So konnte er Spielteilnehmern exakt vorhersagen welche ihrer Zahlenreihen von vornherein keine Chance haben würden.
Auch fürs laufende Super-Bingo druckte sein Computer jene Zahlen aus, die zwar auf 99,99 Prozent der Teilnahmekarten stehen, aber nach Nowaks Berechnung nie gezogen werden. Würde »Bild« auch nur eine dieser Zahlen nehmen, wären zusätzliche Gewinne in Abermillionenhöhe fällig, falls das Spiel wie geplant, noch bis Anfang März laufen soll.
Nowaks Angaben könnten dazu führen, daß »Bild« das werbeträchtige Glücksspiel vorzeitig abbricht. Denn mit Nowaks Liste können Millionen Bingo-Spieler umgehend feststellen, daß ihre Karte keinerlei Chance hat. Ohne Gewinn-Möglichkeit sind nach Nowaks Computer-Rechnung alle Zahlenreihen, in denen folgende Ziffern stehen:
Im »Bild«-Bingo: 119 217 273 340 369 483 561 590 622 139 232 287 355 370 514 568 610 628 153 248 288 356 387 525 573 615 644 171 251 306 363 403 543 576 618 646 190 258 325 368 438 552 578 619
Im »Bild der Frau«-Bingo: 753 810 852 899 756 823 873 710 776 825 874 715 785 826 895
Horst Ansin, der bei »Bild« für »Bingo« zuständige stellvertretende Verlagsleiter, will sich zur »Spielmechanik« nicht äußern. Auch sonst hält der Verlagsmann nichts von Kritik an dem Spiel.
»Bingo« sei, behauptet Ansin, »kein werbliches Element«, sondern »ein unterhaltender Bestandteil« des Blattes. Die Auflage steige nur »durch eine gutgemachte Zeitung« .