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HITLER Liebe in Flandern

Hat Hitler als Soldat im Ersten Weltkrieg einen Sohn gezeugt? Der Historiker Maser glaubt, den Abkömmling des Diktators aufgespürt zu haben.
aus DER SPIEGEL 46/1977

Der Brief kam aus Frankreich und verhieß eine zeitgeschichtliche Sensation. Werner Maser, 55, erfolggewohnter Historiker, Spurensucher und Hitler-Biograph, brauchte nicht lange zu lesen, um zu begreifen, was ihm da ein Zufall in sein Haus in Speyers Renngraben geschickt hatte.

»Ich möchte Ihnen«, schrieb ihm ein Jean Loret aus Montereau im Departement Seine et Marne unter dem 2. Februar 1976, »von einem Umstand Kenntnis geben, der Ihnen vielleicht unwahrscheinlich vorkommen wird. Mein Vater war wirklich Adolf Hitler.«

Seine Mutter, so gab er an, habe ihm vor ihrem Tod gestanden, im Ersten Weltkrieg mit dem Gefreiten Hitler im Hinterland der deutschen Front in Nordfrankreich liiert gewesen zu sein; Frucht ihrer Liebe sei er, Jean. gewesen, gezeugt bei einem Zusammensein im Juli 1917. Loret: »Von dem Augenblick an, da sie merkte, daß sie schwanger war, sah sie meinen Vater nicht mehr:«

Loret nannte Daten, Namen, Orte. In dem Dorf Prémont zwischen Cambrai und St. Quentin hätten sich seine Mutter und Hitler 1916 kennengelernt, im nahegelegenen Le Cateau seien sie 1917 wieder zusammengekommen, auch in der Gegend von Montidier hätten sie sich getroffen.

Maser kannte die Stationen des Gefreiten Hitler gut genug, um zu wissen, daß die von Loret genannten Orte in der Nähe der Einsatzräume der 6. Bayrischen Reserve-Division in Nordfrankreich lagen, zu der auch Hitlers Einheit, das Bayrische Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 16, gehört hatte. Im Frühjahr 1916 hatte die Division in Flandern und dem Artois gekämpft, im Sommer 1917 Reserveposition im südlichen Flandern bezogen -- jeweils kaum 30 Kilometer von den Stätten der angeblichen Liebestreffs Hitlers entfernt.

Den Historiker verlockte es, Lorets Geschichte näher zu untersuchen, denn wie kein anderer bundesdeutscher Geschichtsschreiber hat sich Werner Maser zum Ziel gesetzt, eine der zählebigsten Hitler-Legenden zu widerlegen: die Mär vom zeugungsunfähigen, sexfremden, ja frauenfeindlichen Diktator.

Einer der engsten Hitler-Vertrauten, der Photograph Heinrich Hoffmann, kolportierte nach 1945 gerne, Hitler und Eva Braun hätten immer nur in voller Kleidung auf dem Sofa gelegen. und mancher Parteigenosse vertrat ernsthaft die Auffassung, der Führer habe kein Sexualleben gehabt.

Solche Vermutungen schienen bestärkt zu werden durch den 1968 veröffentlichten Bericht einer sowjetischen Ärztekommission, die im Mai 1945 die verkohlte Leiche Hitlers seziert und dabei entdeckt hatte, daß dem Toten der linke Hoden fehlte.

Doch Maser fand genügend Zeugnisse, die es wahrscheinlich machen, daß Hitler sexuell völlig normal war. Hitler-Arzt Theodor Morell zweifelte nicht daran, daß Hitler und Eva Braun sexuell miteinander verkehrt hätten.

Nicht selten bedrängte die Blondine den Leibarzt, die im Krieg geschwächte Potenz Hitlers durch Aufputschmittel wieder zu steigern, und zuweilen ließ sie sogar gegenüber Freundinnen vorsichtig durchblicken, daß Hitler an ihr nur sexuell interessiert sei. Eintragung in ihrem Tagebuch, März 1935: »Er braucht mich nur zu bestimmten Zwecken. Wenn er sagt, er hat mich lieb, so meint er es nur in diesem Augenblick.«

Das bestärkte Maser in seinen Vorstellungen über Hitlers Sexleben, wußte er doch aus seinen Forschungen über die Frühgeschichte der NSDAP, daß Hitler in den ersten Jahren nach 1918 als Frauenheld und erotischer »König von München« (das Wort stammte von der sozialdemokratischen »Münchner Post") gegolten hatte. Auch die vieldeutige Verbindung mit seiner Nichte Geh Raubal gab Anlaß zu mancherlei Gerüchten.

Ein von Hitler gezeugtes Kind indes -das war Maser noch nicht untergekommen. Gewiß, da gab es die Geschichte von der Ex-Nonne Pia, die Hitler zuliebe beim Novemberputsch von 1923 mitmarschiert war und später ein Kind bekam, das auf Kosten der Partei erzogen wurde, doch nie war geklärt worden, welcher Parteigenosse der Vater gewesen war.

Jetzt aber bot Loret dem Forscher die Chance, einen leibhaftigen Hitler-Sohn nachweisen zu können. Maser begann, mit Hilfe des Franzosen zu recherchieren. Was er dabei ermittelte, schrieb er in einem Bericht zusammen, dessen Inhalt am vorvergangenen Sonntag durch eine Indiskretion eingeweihter Maser-Kollegen in der Londoner »Sunday Times« vorzeitig bekanntwurde.

Die britische Publizistin Gitta Sereny, Mitarbeiterin der »Sunday Times«, hatte auf einer Deutschland-Reise von Masers Plan erfahren, seine Rechereben in einem norddeutschen Blatt zu veröffentlichen, und daraufhin ihren Londoner Kollegen einen Tip gegeben. Prompt sonderten die Kollegen eine Weltsensation ab: »59jähriger Mann »ist Hitlers Sohn.«

»Maser sagt«, wußte ein namenloser »Sunday Times«-Reporter zu melden, »er habe den Sohn vor zwei Jahren entdeckt und seither daran gearbeitet, seine Behauptungen zu erhärten.«

Richtig daran war, daß Maser in der Tat sogleich Loret kontaktiert hatte. Er fand einen kranken, verbitterten Mann, ohne Beruf, von seiner Frau verlassen und allein mit sieben Kindern lebend. Loret resignierend: »Ich habe erfahren, welches Leid es bedeutet, der Sohn eines Boche zu sein.«

Doch Maser gewann den Franzosen für die Idee, seine Geschichte zu publizieren, und bald galt der Mann aus Speyer unter den jüngeren Lorets als »der gute Onkel Maser« (so ein Besucher), der der Familie zu Ruhm und Wohlstand verhelfen werde.

Jean Loret legte freilich auch Papiere vor, die Maser hoffen ließen, die Geschichte des Franzosen überzeugend belegen zu können. Aus den Dokumenten ging immerhin hervor, daß Loret am 25. März 1918 in Seboncourt an der Aisne als Sohn der Charlotte Lobjoie und eines unbekannten Vaters geboren worden war.

Charlotte Eudoxie Alida Lobjoie, geboren am 14. Mai 1898, auch das belegten die Papiere, war die Tochter eines Fleischers, galt als ziemlich unstet und verdingte sich in den verschiedensten Orten als Bauernmagd, immer im Raum zwischen Lilie und St. Quentin tätig, der damals zum Hinterland der deutschen Front gehörte.

Auch Jeans Geburt hinderte sie nicht, wieder nach einem anderen Ort zu entschwinden. Sie ließ den Jungen bei ihren Eltern, die freilich kurz darauf starben; eine wohlhabende Bürgerfamilie nahm sich Jeans an, schickte ihn auf ein Internat und adoptierte ihn später. Von seiner Mutter aber hörte er jahrelang nichts: »Sie hat mich im Stich gelassen.«

Erst viele Jahre später erfuhr er von ihr -- durch einen Anwalt: Sie hatte inzwischen den Lithographen Jean Marie Loret geheiratet, der Jean als seinen rechtmäßigen Sohn anerkannte, obwohl er ihn nicht in seiner Nähe haben wollte. Seither trägt Jean den Namen dieses Mannes: Jean Loret.

1936 trat er in das in Soissons liegende 67. Infanterie-Regiment ein und zog in den Zweiten Weltkrieg. »Ich habe«, sagt er, »mich tapfer geschlagen und meine Pflicht als Franzose erfüllt.« Doch als der Ex-Feldwebel im Oktober 1940 ins heimatliche St. Quentin zurückkehrte, hätte ihn, erzählt er, eine Überraschung erwartet: SD-Männer sprachen ihn »äußerst höflich« (Loret) an und baten Loret, ihnen nach Paris zu einer Unterredung zu folgen.

Die SD-Männer fuhren ins Hotel »Lutetia«, der Zentrale der deutschen Abwehr im besetzten Frankreich, und übergaben Loret einem »sehr hohen deutschen Offizier, der mich in Gegenwart eines anderen verhörte«. Seine Fragen hätten immer wieder um das gleiche Thema gekreist: was Loret über seine Herkunft wisse, wer sein Vater sei.

Anschließend unterzogen Ärzte Loret einer anthropologischen Untersuchung. Sein Kopf wurde vermessen, seine Körpermaße notiert, die Blutgruppe bestimmt. Loret: »Ohne eine Erklärung wurde ich entlassen.« In diesem Augenblick will er erkannt haben, daß es mit seinem Vater etwas Besonderes auf sich gehabt habe. Er sei, erzählte Loret seinem Besucher Maser, entschlossen gewesen, sich Gewißheit zu verschaffen -- bei seiner Mutter, die er nach langem Suchen in Paris als Zeitschriftenverkäuferin in einem Café am Place de Contrescarpe gefunden habe. Sie sei jedoch von Trunksucht so gezeichnet gewesen, daß er nicht gewagt habe, sie anzusprechen.

Erst ein paar Monate später habe er sich zu erkennen gegeben und sie nach seinem Vater gefragt. Nach langem Leugnen habe sie endlich zugegeben, er sei ein Deutscher gewesen. Den Namen habe sie jedoch weiterhin verschwiegen und den Sohn an einen Mann namens Karl Kersmann »oder so ähnlich« verwiesen, der mehr darüber wisse.

Als sie jedoch 1948 tödlich erkrankte, habe sie endlich den Namen preisgegeben. Loret wollte sich noch genau erinnern: »Auf meine dringenden Fragen gestand sie mir, daß Hitler mein Vater war« Zunächst habe ihn das furchtbar erschreckt, aber »dann kam ich dahin, Stolz darüber zu empfinden, daß ich sein Sohn bin«.

Diese Geschichte erschien Maser so glaubwürdig, daß er sich aufmachte, die fehlenden Beweise zu beschaffen. Mit Loret fuhr er einen Ort nach dem anderen ab, in dem einst Charlotte Lobjoie gedient hatte, und sammelte Zeugenaussagen.

In Wavrin, einem Dorf bei Lilie, wurde Maser fündig: Fast jeder im Dorf, der den Ersten Weltkrieg miterlebt hatte, wollte sich an »Hitlers Braut« erinnern; man kannte noch das Bauernhaus, in dem Charlotte und Adolf genächtigt haben sollten -- Grund für Maser, die Behauptung zu wagen, hier sei im Juli 1917 der Hitler-Sohn Jean Loret gezeugt worden.

Schon ein Jahre zuvor gefundenes und offensichtlich von Hitler stammendes Ölbild machte Maser vollends sicher: Es zeigt eine vollbusige junge Bäuerin mit Kopftuch, in der Loret seine Mutter wiedererkennen will. Maser zog einer Loret-Tochter die gleiche Bauerntracht an und photographierte sie -- die Ähnlichkeit zwischen der Oma in Öl und der vermeintlichen Enkelin auf dem Photo war frappant. Maser: »Stimmt alles.

Später fand Maser auch Indizien, die Lorets mysteriöse Vorladung im Hotel »Lutetia« aufhellten. Der Historiker erinnerte sich, daß ihm Hitlers ehemaliger Heeresadjutant Gerhard Engel einmal erzählt hatte, mit welcher freudigen Erregung Hitler nach dem Frankreich-Feldzug 1940 die Stätten seiner Weltkrieg-I-Zeit besichtigt habe.

Auch Bewohner von Wavrin berichteten, daß Hitler Ende Juni 1940 im Ort gewesen sei und das »Hitler-Haus« besucht habe. Dabei habe er wissen wollen, was aus dem Mädchen geworden sei, das 1917 in dem Haus gelebt habe. Keiner habe ihm die Frage beantworten können.

Was dann geschah, glaubt Hitlers ehemaliger Kammerdiener Heinz Linge zu wissen: »Hitler hat Himmler den Auftrag erteilt, zwei bestimmte Personen in Frankreich suchen zu lassen. Später erfuhr ich, daß die beiden Madame Loret und ihr Sohn waren.« Daraus folgert Maser, SD und Abwehr hätten die Aufgabe gehabt, genau zu ermitteln, ob Loret der Sohn Hitlers war.

Schon glaubte sich Maser am Ziel seiner Recherchen, da traf ihn ein arger Rückschlag. Als er Anfang Oktober mit zwei Journalisten zu der in St. Quentin lebenden »Kronzeugin« (so einer der Maser-Begleiter) Alice Lobjoie, Charlottes Schwester, fuhr, um sich die Richtigkeit seiner These bestätigen zu lassen, erteilte ihm die Frau eine Absage.

Ihre Schwester, so gab Tante Alice zu Protokoll, sei zwar eine Zeitlang mit einem deutschen »Unterleutnant« liiert gewesen, nicht aber mit Hitler; sie selbst habe den Mann wiederholt gesehen -- mit Hitler habe er keine Ähnlichkeit gehabt. Und dann brach jahrelang aufgestauter Haß gegen den Neffen durch: »Jean ist ein Spinner, die Hitler-Geschichte haben ihm nur die Deutschen aufgeschwatzt.«

Auch die »Sunday Times« formulierte einen kritischen Einwand: Ein von Maser bei der Universität Heidelberg in Auftrag gegebenes erbbiologisches Gutachten habe »wenig überzeugend

* Photo eines Ölgemäldes, das der Meldegänger Hitler 1916 in Flandern malte; das Bild wurde Anfang der siebziger Jahre von belgischen Reportern bei einem Privatsammler gefunden. Es zeigt nach Auffassung des Historikers Maser die Fleischertochter Charlotte Lobjoie.

nachgewiesen, daß Loret allenfalls Hitlers Sohn sein könnte«.

Kaum aber hatte das Blatt Masers Story enthüllt und damit einen Run der Illustriertenpresse auf das Maser-Haus in Speyer ausgelöst, da griff der Historiker zur Gegenaktion. Er fuhr nach St. Quentin und brachte Loret in Sicherheit -- in Masers Haus. Seither verbirgt er seinen Schützling vor der Presse; selbst ein Loret-Photo mag Maser, längst mit einer Illustrierten im Geschäft, nicht freigeben.

Die Öffentlichkeit muß sich mit Werner Masers vagen Beschreibungen begnügen: »Er sieht genauso aus wie Adolf Hitler kurz vor seinem Tod, aber ohne Schnurrbart. 1,75 Meter groß wie Hitler, etwa 70 Kilo wie Hitler, Blutgruppe A, Rhesusfaktor positiv wie Hitler.« Und: »Er ist ein etwas versponnener Künstler, der in den Tag hineinlebt.« Wie Hitler?

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