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EMPFÄNGNISVERHÜTUNG Liebe nach Kalender

aus DER SPIEGEL 27/1966

Katholische Ehepaare, kirchentreu und kinderreich, wurden per Post um Auskünfte aus ihrer Intimsphäre gebeten über »moralische Bedenken bei sexuellen Handlungen« etwa oder über den Grad der Schwierigkeiten, »den eigenen Orgasmus auf den Orgasmus des Partners einzustellen«.

An Hand der Antworten suchte der amerikanische Religionsphilosoph Michael Novak, 33, festzustellen, in welchem Maße die Erfahrungen katholischer Eheleute mit der Lehre ihrer Kirche übereinstimmen oder ihr widersprechen Zwölf »Erfahrungsberichte« veröffentlichte Novak in einem Sammelband, der jetzt auch in Deutschland verbreitet wird - vom renommierten katholischen Grünewald-verlag (Mainz), der gegenwärtig auch die Briefe des Papstes Pius XII. an die deutschen Bischöfe herausbringt und mehrere Oberhirten zu seinen Autoren zählt*.

Novaks anonyme Mitarbeiter, durch fingierte Initialen von A. bis L. gekennzeichnet, schildern detailliert die Freuden und die speziell katholischen Sorgen der Ehe. Obwohl sie allesamt ihre Verbundenheit mit der Kirche hervorkehren - eine Frau H. offenbart, daß ihr Mann »während der Fastenzeit die Enthaltsamkeit teilweise als asketische Übung beobachtet hat« -, bereitet es nahezu allen Berichterstattern Schwierigkeiten, intim so zu leben, wie es ihre Kirche ihnen befiehlt.

Nach katholischer Lehre, wie sie vornehmlich von dem elften und dem zwölften Pius entwickelt wurde, dürfen sich katholische Ehepaare zur Empfängnisverhütung nur zweier Methoden bedienen: der periodischen Enthaltsamkeit ("Zeitwahl") an den sogenannten

fruchtbaren Tagen der Frau, die nach einem von den Ärzten Knaus und Ogino entwickelten System berechnet werden, oder aber der ständigen Enthaltsamkeit.

Den Gebrauch der Pille erlaubte Pius XII. nur als Medikament, andere Mittel und Methoden hielt er für gänzlich indiskutabel. Weder das Konzil noch der gegenwärtige Papst Paul VI. lockerten die strengen Regeln, und auch eine Kommission, die seit mehreren Monaten im Vatikan über dieses Problem berät (Vorsitzender: Kurienkardinal Ottaviani), kam bislang zu keinem anderen Ergebnis.

Daß die Zeitwahl eine überaus unsichere Methode sei, belegen Novaks Eheleute mit ihren Kinderzahlen. Ehefrau D. ist in fünfeinhalb Ehejahren »trotz Einhaltung der Zeitwahl dreimal schwanger geworden«. Das Paar C., das nach eigenen Worten ebenfalls seine »Liebe nach dem Kalender« einrichtete, hatte in elf Ehejahren sieben Kinder und drei Fehlgeburten, das Paar B. zehn Kinder - neben ebenfalls drei Fehlgeburten. Ehemann B.: »Ursprünglich hatten wir nur drei geplant, wenn ich mich recht erinnere.«

Stärker noch bedrückt Novaks Katholiken, daß unter der periodischen Enthaltsamkeit die Liebe leide. Ehemann A.: »Wenn die Kurve oder der Kalender ,nein' sagt, muß das Ehepaar sich gegenseitige sexuelle Indifferenz und Distanz vorspielen.« Ehefrau I. urteilt: »Man kann Liebe nicht zu bestimmten Zeiten des Monats abzapfen wie an einem Wasserhahn und sie während der fruchtbaren Perioden abstellen.«

Zwei Paare, denen schon die zeitweilige Enthaltsamkeit schwerfiel, haben sich trotzdem für eine noch größere Zurückhaltung entschieden - einerseits aus Furcht vor zu großer Kinderzahl und andererseits im Gehorsam gegen ihre Kirche: Das Paar A. ("Wir sind beide noch nicht dreißig Jahre") verkehrt überhaupt nicht mehr geschlechtlich miteinander, das Paar D. nur noch »mit beträchtlicher Angst einmal alle drei Monate .. . Dabei sind wir ein normales, gesundes Ehepaar und noch keine dreißig Jahre alt«.

Seit die Eheleute A. so leben, »als wären wir nicht verheiratet«, hat sich ihnen die »beunruhigende Frage« aufgedrängt: »Ist das die wahre Berufung der christlichen Ehe?« Andere Verfasser von Schlafzimmerberichten für Novaks katholische Sammlung sind weniger zurückhaltend.

Ehemann C. beispielsweise empört sich über einen Priester, der ihm Ratschläge erteilte: »Als er meiner Frau und mir die Freuden und Herrlichkeiten der heroischen Enthaltsamkeit von Ehepaaren beschrieb, die weiteren Kindersegen vermeiden mußten, wurde er außerordentlich beredsam. Er entwarf uns das Bild eines Zustandes, der in seinen Augen ein wahres irdisches Paradies sein mußte. Uns erschien es wie ein Alptraum, denn er verriet einen geradezu erschreckenden Mangel an Verbindung mit dem tatsächlichen Leben.«

Ehemann C. hofft auf den Tag, »an dem zölibatäre Theologen aufhören, uns zur Nachahmung Tugenden vorzulegen, die ganz speziell ihrem eigenen Lebensstand angepaßt sind«.

Pardon

»... das weiß ich selbst! Ich meine nur, gibt man den Babys die Pille vor oder nach dem Essen?«

Katholischer Ehe-Forscher Novak

In elf Jahren zehn Geburten

Michael Novak: »Eheliche Praxis - kirchliche Lehre. Erfahrungsberichte«. Matthias -Grünewald-Verlag, Mainz; 160 Seiten; 9,80 Mark.

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