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BARZEL Liebenswerter Panther

Als Oppositionsführer tat Rainer Barzel alles, um die Ostvertrage der Bundesregierung nicht scheitern zu lassen -- so steht es in seinem neuen Erinnerungsbuch.
aus DER SPIEGEL 8/1978

Im Frühjahr 1965 erlebte der CDU-Politiker Rainer Barzel, damals noch ohne große weltmännische Erfahrung, in New York einen denkwürdigen Abend: Zusammen mit Ehefrau Kriemhild erhielt er eine Einladung zum Diner bei der Präsidenten-Witwe Jacky Kennedy und ihrer Schwester Lee Radziwill.

Barzel, der in den USA seinen Antrittsbesuch als neuer Fraktionsvorsitzender der Union machte, war von der Jet-set-Atmosphäre ungemein beeindruckt. Vor den Damen verwickelte er den ebenfalls geladenen Außenpolitiker der »New York Times«, Sidney Gruson, in einen langen Disput über die Oder-Neiße-Grenze.

In der Erinnerung daran schweigt er noch heute: »Lee Radziwill -- ein liebenswerter Panther in einer weißen Nerzbluse -- hörte von der Couch aus interessiert zu; Jacky setzte sich zu uns als Schiedsrichter, verfolgte das Streitgespräch wie einen Tenniswettkampf und entschied schließlich höflich und mit gehauchter Stimme zu meinen Gunsten. Dann ging sie -- traurig, einsam, zerbrechlich -- mit großen, tiefen Augen; eher ausgezehrt als schlank.«

So steht es in Barzels neuem Erinnerungsbuch »Auf dem Drahtseil«, das nächste Woche auf den Markt kommt**. Wie schon in seinem Bestseller »Es ist noch nicht zu spät« (1976) mischt der frühere Kanzlerkandidat der Union Anekdotisches und Grundsätzliches, Politisches und Persönliches in einem Stil, der zwischen gewollter Ironie und ungewollter Komik, echter Ergriffenheit und peinlichem Pathos hin und her tappt (siehe Kasten Seite 41).

Gleichwohl enthält das Buch mehr als belanglose Feuilletons. Zum erstenmal nämlich legt ein führender Unionspolitiker minuziös dar, mit welchen Finten und Tricks, aber auch mit wieviel Überzeugung um die Ostverträge zwischen Regierung und Opposition 1970 bis 1972 gekämpft wurde -- und daß die CDU/CSU, eine der Folgen dieser Auseinandersetzung, die Dauerfehde mit der FDP, bis heute nicht überwunden hat.

Zu Beginn der sozialliberalen Koalition, im Januar 1970, so erinnert sich Barzel, hoffte er, die neue Ostpolitik, die er als notwendig erkannt hatte, »zur gemeinsamen Sache von Regierung und Opposition« zu machen. Kanzler Brandt, gestutzt auf eine rasch bröckelnde Mehrheit von nur 12 Stimmen, war diesem Bündnisangebot anfangs keineswegs abgeneigt. Doch, so Barzel: »Herbert Wehner wollte es nicht.«

Noch bevor der SPD-Fraktionsvorsitzende am 26. Januar 1970 in einem und vereinbarte mit dem -- wie er meinte -- neuen Kanzler politische Gespräche.

Um so größer war der Schock, als Barzel drei Stimmen aus der eigenen Fraktion fehlten. »Drei Männer und Frauen hatten Geschichte gemacht.« Da weibliche Abgeordnete nie im Verdacht standen, gegen Barzel gestimmt zu haben, mutet seine Formulierung merkwürdig an. Doch Barzel beteuert, er habe sich an der Suche nach den Verrätern »nie beteiligt«.

Am Ende war Barzel damals freilich noch nicht. Weniger das gescheiterte Mißtrauensvotum als drei Wochen später die Abstimmung über die Ostverträge bereiteten seinen Sturz in der Fraktion vor.

Barzel heute: »Es wäre richtig gewesen, nun ja (zu den Verträgen) zu sagen und mit dem durch uns verbesserten Vertragswerk in die bevorstehenden Neuwahlen zu gehen« -- die Autorität des Kanzlerkandidaten wäre erhalten geblieben, der Graben zur FDP nicht unüberbrückbar geworden.

Doch die Rechnung war ohne Strauß gemacht. Vor der Schlußabstimmung im Bundestag suchte der CSU-Vorsitzende zusammen mit seinem Landesgruppenchef Richard Stücklen den Fraktionsvorsitzenden auf und verlangte die einhellige Enthaltung der Opposition, »sonst werde die CSU einstimmig mit Nein stimmen«.

Barzel beugte sich der Erpressung -- und besiegelte damit seine Entmachtung. Zwar habe er mit dem Gedanken gespielt, so schreibt er, »trotzig das Ja zu empfehlen und die Abstimmung darüber mit der Frage meines weiteren Vorsitzes zu verbinden«. Doch fürchtete er, nicht mehr als 60 Prozent der Fraktion um sich scharen zu können -- zu wenig, um Strauß kaltzustellen und einen überzeugenden Wahlkampf zu führen.

»Der Weg vom Ja zur Enthaltung«, erkannte der vom Drahtseil gestürzte Taktiker, »war kürzer als der vom Nein zur Enthaltung.«

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