SCHWARZE KÄSTEN Lieber rot
Der Schwede Björn Malmgren, 33, Erfinder aus Passion und technischer Redakteur der Nachrichten-Agentur Tidningarnas Telegrambyra (TT) in Stockholm, vor wenigen Monaten noch als Sonderling bespöttelt, hat in den Lauf der Weltpolitik eingegriffen.
»Der Autor«, so schrieb Erfinder Malmgren in gleichlautenden Briefen an die in Genf debattierenden Abrüstungsdelegierten der Atommächte USA, Sowjet-Union und Großbritannien, »präsentiert als Privatmann ein seismographisches System für die Feststellung unterirdischer Atomexplosionen. Dieses System könnte sofort in Funktion treten, nachdem der Vertrag über ein Atomtestverbot unterzeichnet ist.«
In seinem Memorandum vom 2. Mai 1962 wies der Amateurpolitiker, der seine technische Ausbildung in Schweden und Großbritannien erhalten hat, einen Ausweg aus der Sackgasse, in die bislang alle Gespräche über ein Verbot der Atomtests geraten waren. Denn es schien unmöglich, unterirdische nukleare Explosionen exakt zu kontrollieren - ohne die vorn den Westmächten geforderten, von der Sowjet-Union jedoch als »Spionage« abgelehnten Inspektionen durch Experten am Ort.
Malmgrens Vorschlag: Errichtung von mindestens 18 automatischen seismischen Kontrollstationen auf dem Gebiet der beiden Atom-Supermächte. Die Automatstationen habe er, so teilte der Journalist den Diplomaten der Weltmächte mit, bereits selbst konstruiert.
Ende Januar 1963 erhielt der Schwede, dessen Erfindung zuvor von Wissenschaftlern aus Ost und West gelobt worden war, indirekte Antwort von kompetenter Stelle: In einem Brief an US -Präsident Kennedy erwähnte Sowjetpremier Chruschtschow Malmgrens Roboter und erklärte sich bereit, in der Sowjet-Union drei derartige Apparaturen zur Überwachung eines Test-Stopps aufstellen zu lassen. Malmgrens Kommentar: »Ein Witz! Mindestens' zwölf Stationen sind nötig.«
Der Brief Chruschtschows, der in Washington günstig aufgenommen wurde, brachte die Genfer Abrüstungsgespräche wieder in Gang. Obschon sich Ost und West bisher nicht über die Zahl der zusätzlichen Inspektionen einigen konnten, gehört die Erfindung des Schweden nun unter der Bezeichnung »Schwarze Kästen« zum ständigen Konferenzvokabular.
Der Erfinder aus dem Haus Slanbärsvägen 5. im Stockholmer Vorort Danderyd hält von diesem Begriff, den ein britischer Journalist prägte, freilich nicht viel. Malmgren: »Ich möchte die Kästen lieber rot anmalen.«
Auf die Idee mit den Kästen verfiel Malmgren, der seit 1949 mehr als hundert technische Erfindungen angemeldet hat, als die Genfer Abrüstungskonferenz im Jahre 1959 den Gedanken unbemannter Kontrollstationen zur Entdeckung unterirdischer Kernwaffenversuche als »unrealistisch« abtat.
Der TT-Redakteur mobilisierte interessierte Freunde - darunter Schwedens bekanntesten Seismologen, Markus Bath von der Universität Uppsala - und begann zu basteln.
Das Ergebnis seines Freizeit-Fleißes war zwei Jahre später ein Stahlkasten im Ausmaß von 4 mal 2 mal 1,80 Meter, der vier Hauptbestandteile umschließt: einen Seismographen, ein Ferrit-Gedächtnis (magnetischer Datenspeicher), ein Tonbandgerät und Nickel -Kadmium-Batterien.
Der Roboter, dessen Serienherstellung etwa 320 000 Mark kosten würde, ist mit einer Fülle technischer Feinheiten ausgestattet. Die durch eine unterirdische Atomexplosion ausgelösten seismischen Störungen werden bei Malmgrens Kontrollgerät - Typenbezeichnung ASS-2 - zunächst von einem empfindlichen Seismographen registriert und in elektrische Impulse umgewandelt.
Über einen elektronischen Filter, der natürliche Erschütterungen aussondert, werden diese Informationen an das Ferrit-Gedächtnis weitergegeben, das sie speichert und jede Stunde automatisch an ein Tonbandgerät übermittelt.
Das Tonbandgerät - eine Spezialkonstruktion, die 80 000 Mark kostet arbeitet mit 16 Spuren und kann auf einer Bandspule 690 Millionen Teil-Informationen festhalten, was einer Laufzeit von 140 Tagen entspricht.
Mit Hilfe eines Zeitcode können die Seismologen in den von Malmgren vorgeschlagenen Kontrollzentralen in New York und Moskau per Telephon von den Automatstationen jederzeit Informationen anfordern.
Das Tonband speichert darüber hinaus sämtliche Meßwerte für eine Endkontrolle auf. Alle vier Monate sollen die Tonbänder in den plombierten Kästen, so will es Malmgren, von einem neutralen Team ausgewechselt und zum Studium der Informationen an eine in Genf zu errichtende internationale Auswertungszentrale geschickt werden.
»Mogeln läßt sich trotzdem«, urteilte der Schwede über diese ausgeklügelten Sicherungen. Gleichzeitig nannte er
Methoden, die geeignet wären, seine Kästen zu täuschen:
- Eine Atomsprengladung, die in der Mitte einer unterirdischen Kammer von 100 bis 200 Meter Durchmesser und einer Mindesttiefe von 500 Metern zur Explosion gebracht wird, würde nur noch kaum wahrnehmbare Schockwellen entwickeln.
- Ein nahe der Erdoberfläche gelegener Hohlraum könnte mit Millionen Glasflaschen gefüllt werden. Explodierte darin eine Atomladung, so ginge durch das Verdampfen des Glases so viel Energie verloren, daß die Schockwellen vollends absorbiert werden würden.
- Wenn man eine Sprengladung in einem Hohlraum knapp unter der Erdoberfläche explodieren ließe, verlöre der Explosionsdruck beim Anheben der darüberliegenden Erdmassen fast seine ganze Energie und wäre nicht mehr zu registrieren.
Abgesehen von solchen Extremfällen - die beiden ersten wären ungeheuer kostspielig, der dritte würde wahrscheinlich durch andere Kontrollgeräte entdeckt -, hält Malmgren seine Automaten für idiotensicher.
»An den Stationen selbst sind Manipulationen so gut wie ausgeschlossen«, versicherte der Schwede. »Man könnte zwar die Messungen der Roboter stören - etwa, indem man einen schweren Lastwagen um die Stationen rumpeln läßt, aber derartige Störversuche würden nur Mißtrauen erwecken.«
Malmgren will den Atommächten auch noch die praktische Erprobung seines Automaten abnehmen: Ein Prototyp seines Kastens soll demnächst in der Nähe der Erzstadt Kiruna in Schwedisch -Lappland aufgestellt werden.
Erfinder Malmgren
»Mogeln läßt sich trotzdem«