Liebesgrüße nach Washington
Frank-Walter Steinmeier ist erst seit einigen Wochen Außenminister, und das kann man seinem Büro ansehen: Den Schreibtisch hat der SPD-Mann von seinem Vorgänger Joschka Fischer übernommen. Für den Terrakottaboden hat der Minister noch keinen Teppich gefunden, und die Wände sind bislang leer - kein Bild hängt hier im zweiten Stock des Auswärtigen Amtes.
Steinmeier glaubt, dass er den Job noch eine Weile behalten kann und dass es sich für ihn durchaus noch lohnen könnte, das Büro einzurichten. Am Freitagnachmittag vergangener Woche wirkte er ruhig und zugleich kämpferisch. Er hat schon viele Krisen gemeistert, er glaubt, dass er auch diese überstehen wird.
Diese Berichte über eine Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes (BND) an der amerikanischen Irak-Offensive 2003 seien doch nur der Versuch, »das damalige Nein zum Krieg jetzt umzulügen in eine Unterstützung«, zürnte er in seinem kargen Zimmer.
Er werde gegen jeden Vorstoß kämpfen, die Geschichte der rot-grünen Außenpolitik umzuschreiben.
Steinmeier ist als Gerhard Schröders ehemaliger Kanzleramtschef so etwas wie dessen Nachlassverwalter, und er weiß, dass er jetzt gefragt ist: »Wir haben ja damals nicht gesagt, wir brechen die Beziehungen zu den USA ab und treten aus der Nato aus«, sagt er. »Wir haben gesagt: Wir beteiligen uns nicht an diesem Krieg.«
Sicherheitshalber hat der Sozialdemokrat sich blitzschnell bei seinen wichtigsten politischen Partnern umgehört, ob er sich auf sie verlassen kann. Er hat mit Parteichef Matthias Platzeck gesprochen, Vizekanzler Franz Müntefering und Fraktionschef Peter Struck. Auch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel hat er telefoniert.
Steinmeier wird in den nächsten Tagen wohl kämpfen müssen: um seinen Posten, um den Ruf der SPD, um den größten außenpolitischen Erfolg der alten rotgrünen Bundesregierung und um das Image von Gerhard Schröder als Friedenskanzler.
Denn der jetzige Außenminister ist die Schlüsselfigur in einer Affäre um gefährliche Doppelbödigkeit im deutschen Wahlkampf und den höchst gewagten Einsatz von BND-Agenten im umkämpften Bagdad Anfang 2003: Ende vergangener Woche berichtete das ARD-Magazin »Panorama«, zwei Spezialisten des Dienstes hätten während der US-Invasion in Bagdad spioniert - und ihre Informationen habe dann der US-Militärgeheimdienst Defense Intelligence Agency (DIA) bekommen.
Ein ehemaliger Pentagon-Mitarbeiter erzählte »Panorama«, die Deutschen hätten die US-Militärs direkt unterstützt. »Sie haben uns Informationen für die Zielplanung geliefert.« BND-Chef Ernst Uhrlau, unter Schröder als Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt bestens eingeweiht, dementierte umgehend. Die beiden Deutschen hätten nur sogenannte Non-Targets identifiziert, Gebäude also, die US-Bomberpiloten hätten verschonen sollen, Krankenhäuser etwa.
Der Einsatz der Geheimen ist politisch brisant. Denn Schröder hatte die Bundestagswahl im September 2002 auch damit gewonnen, dass er den Deutschen versprach, die Republik aus George W. Bushs
absehbarem »Abenteuer« im Irak herauszuhalten. Bei einer Fernsehansprache am 20. März 2003, dem Tag des Kriegsbeginns, sagte Schröder - auch noch nach der Wahl - klipp und klar: »Deutschland beteiligt sich nicht an diesem Krieg.« Hat Schröder also das Wahlvolk belogen? Und was genau haben die Agenten in Bagdad gemacht - und wer in Berlin wusste wann davon?
Die Details der Affäre, die nun Stück um Stück ans Tageslicht kommen, zeigen auf jeden Fall schon jetzt, welchen Drahtseilakt Schröder und sein Außenminister Joschka Fischer vor dem Krieg wagten - und womöglich hielten sie dabei nicht immer die Balance. Sie griffen US-Präsident Bush als Kriegstreiber an, zogen scheinbar klare Grenzen für eigenes Engagement und provozierten die Amerikaner. Sie riskierten gar die transatlantische Freundschaft.
Die Geheimdienste der beiden Länder spielten in der Zeit freilich ein ganz anderes Spiel: Sie kooperierten enger als je zuvor. Dabei ließen sich die Deutschen gleich in mehreren Fällen auf ziemlich zweifelhafte Geschäfte ein. Und genau das verleiht der Affäre um die BND-Männer in Bagdad nun ihre Durchschlagskraft, genau deshalb will die Opposition im Bundestag jetzt einen Untersuchungsausschuss, der das Ausmaß der Kungelei aufklären soll.
Es geht vor allem um die BND-Männer in Bagdad, aber auch um die Entführung eines Deutschen durch die CIA. Es geht um deutsche Geheimdienstler, die im US-Gefangenenlager Guantanamo einen Verdächtigen verhörten, und um die permanente Kooperation der Geheimdienste beider Länder. Grünen-Vorsitzende Claudia Roth: »Alles muss an die Öffentlichkeit. Wir brauchen volle Transparenz.«
In der Bundespolitik wurde die Affäre sofort zum beherrschenden Thema. Kanzlerin Angela Merkel erfuhr davon, kurz bevor sie sich auf den Weg zum Antrittsbesuch in Washington machte. Sie ahnt, dass nun vor allem der SPD eine heikle Debatte bevorsteht - aber bereitete am Donnerstagabend auch schon mal die Amerikaner auf Ärger vor.
Beim festlichen Dinner in der deutschen Botschaft saß sie zwischen Ex-Außenminister Colin Powell und Notenbankchef Alan Greenspan. Bei ihren Gesprächen deutete sie an, dass die Arbeit der Geheimdienste im Irak bald schon en detail diskutiert werden könnte. »Nicht alles, was sie tun, kann ohne parlamentarische Kontrolle bleiben.«
Merkels Gesprächspartner George W. Bush, von der Deutschen erst informiert, zog sich lässig aus der Affäre: Von Journalisten gefragt, was er von der deutschen Hilfe im Irak wisse, sagte er: »Ich weiß von nichts.« Nachfrage eines Reporters: »Sie sind doch der Chef?« Antwort Bush: »Ich habe heute Morgen erst davon gehört, und Geheimdienste heißen deshalb Geheimdienste, weil ihre Operationen geheim sind«, sagte er und lachte. Mag Bush persönlich nichts gewusst haben - hochrangige Regierungsbeamte und Pentagon-Generäle dankten den Deutschen nach dem Krieg immer wieder, weil sie die deutsche Kriegshilfe als so bedeutend ansahen.
Bei der Grünen-Fraktionsklausur in Wörlitz bedrängten Parteifreunde Ex-Außenminister Joschka Fischer, sich zu erklären. Fischer beteuerte, er habe nichts vom konkreten Treiben der beiden Nachrichtendienstler in Bagdad gewusst. Jetzt müsse der »Sachverhalt« aufgeklärt werden. »Wir sind einem Untersuchungsausschuss näher gekommen«, so Fraktionschefin Renate Künast. Womöglich hätten BND-Leute »aktiv die Politik der Bundesregierung konterkariert«.
Das fanden auch die anderen Oppositionsfraktionen. »Wir wollen den Untersuchungsausschuss«, verlangte FDP-Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Koppelin.
Der liberale Parteichef Guido Westerwelle höhnte, der Antikriegskurs sei als »Lebenslüge von Rot-Grün entlarvt«. Linksfraktionschef Oskar Lafontaine nannte einen Untersuchungsausschuss »unvermeidlich«.
Doch die schwerste Verunsicherung dürften die Enthüllungen aus dem Jahr 2003 in der SPD auslösen: War die Antikriegsstrategie von Schröder und Fischer in den Jahren 2002 und 2003 ein Spiel mit doppeltem Boden?
Steinmeier versuchte, die Lage zu beruhigen, geduldig erläuterte er die Philosophie der damaligen Entscheidung: Als die Botschaft wegen des drohenden Kriegs geräumt wurde, habe auch er den Verbleib der zwei Beamten für richtig befunden. Ihre Aufgabe sei es lediglich gewesen, »in deutschem Auftrag ein Mindestmaß an Erkenntnissen über die Lage im Irak und den Kriegsverlauf zu erlangen«.
Nach der gewonnenen Wahl blieb Schröder demzufolge bei seinem Kurs: »Eine aktive Beteiligung Deutschlands wird es nicht geben«, sagte er. Und er präsentierte, was er unter passiver Beteiligung verstand, nämlich die »Gewährung von Überflugrechten für die USA«, den »reibungslosen Transit für Truppen«, »Nutzung der US-Militäreinrichtungen in Deutschland« und »natürlich Schutz von Einrichtungen«. In Kuweit stationierte deutsche Giftgas-Spürpanzer des Typs »Fuchs« stünden zudem eindeutig unter dem Mandat »Enduring Freedom« zur Terrorbekämpfung, würden also in einen Irak-Krieg nicht verwickelt werden. Schröder: »Wir haben nicht vor, über das Gesagte hinaus Mittel zur Verfügung zu stellen, schon gar kein Personal.«
Keine aktive deutsche Beteiligung - das blieb das Credo in den Wochen vor dem Angriff
Doch Schröder gab dem Parlament, so scheint es zumindest heute, auch einen wolkigen Hinweis darauf, dass das deutsche Engagement noch andere, dunklere Facetten haben könnte: »Ich bitte ausdrücklich um Vertrauen in die Sicherheitsorgane und in diejenigen, die die Sicherheit unseres Landes und damit auch der Menschen in unserem Land Gewähr leisten.«
Deutschland - so schien es der Öffentlichkeit aber - war sauber geblieben, konsequent und selbstbewusst. Und dennoch wusste Schröder Bescheid über den Irak. Gefragt nach angeblichen Funden von Massenvernichtungswaffen durch die Amerikaner, prahlte er am 28. März, dass er sich lieber auf die Informationen aus dem eigenen Hause verlasse: »Unsere eigenen Dienste, die vorzügliche Arbeit leisten, geben uns das notwendige Maß an Information.«
Das ist wohl wahr. Was Schröder nicht sagte, war freilich, dass sie Teile dieser Informationen auch dem US-Militärgeheimdienst DIA geben. »Der Eindruck in der Öffentlichkeit und das, was die Bundesregierung exakt gesagt hat, waren nie deckungsgleich«, rechtfertigt sich heute ein Sicherheitsexperte. Zu der Zeit ist der Mann an jener folgenschweren Entscheidung beteiligt, mit der die Affäre beginnt. Die Bundesregierung beschließt, insgeheim doch im Irak zu agieren: »Wir hatten ja trotz der unterschiedlichen Positionen seit dem 11. September den Bündnisfall in der Nato und deshalb Verpflichtungen.«
Wie in einem »Schraubstock« habe man sich vor dem Krieg gefühlt, berichten hochrangige BND-Mitarbeiter. Die amerikanische Regierung und auch die US-Dienste reagieren schließlich immer gereizter auf den politischen Widerstand der Schröder-Regierung. Und Berlin entscheidet, den Streit nicht auf die Spitze zu treiben.
Denn wie in kaum einem anderen Feld der Geheimdienstarbeit war die Kooperation zwischen Amerikanern und Deutschen in Sachen Irak traditionell eng. Etliche der aus dem Irak geflohenen ehemaligen Funktionäre des Saddam-Regimes gingen zunächst nach Deutschland und wurden hier auch von den US-Geheimdiensten befragt.
Bei aller amerikanischer Kritik an dem zerrütteten transatlantischen Verhältnis und den angeblich so unzuverlässigen Deutschen nahm die US-Regierung jetzt kurz vor dem Krieg denn auch einen entscheidenden Bereich stets aus: Die Geheimdienstzusammenarbeit mit den Deutschen, so lobte sogar Bush, funktioniere wirklich gut. Eine »wachsende, stille Kooperation«, nannte das Nicholas Burns, die Nummer drei im US-Außenministerium.
Für den BND war es ein schwieriger Spagat. Die Propaganda-Bemühungen der Amerikaner und Briten, die Saddam andichten, mit al-Qaida zu kooperieren und an der Atombombe zu basteln, bestritt Hanning stets. Auf der anderen Seite findet sich im Lagebild des Dienstes auch viel Belastendes - von dem sich einiges im Nachhinein als ebenso fatal falsch herausstellen sollte wie die Behauptungen anderer Geheimdienste.
Während im Frühjahr 2002, im beginnenden Wahlkampf, die Töne immer schriller werden, bauen Regierung und Geheimdienste ihre Kooperation mit den USA Stück für Stück aus. Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) schickt die Spezialeinheit KSK nach Afghanistan, wo die Elitesoldaten Seite an Seite mit den Amerikanern Qaida-Leute jagen. Vor Afrika
patrouilliert eine Fregatte der Bundeswehr auf der Suche nach Schmuggelrouten militanter Islamisten.
Zu der merkwürdigen Doppelmoral der Bundesregierung zählt auch die Stationierung der sechs »Fuchs«-Spürpanzer in Kuweit - gedacht für den Fall, dass Saddam kurz vor seinem Untergang zum Äußersten, zu Giftgas-Granaten, greifen sollte.
Aber: Die bis zu 250 Soldaten der »Fuchs«-Einheiten in Kuweit werden dann eines der wesentlichen Motive für die besonders gefährliche Geheimaktion in Bagdad selbst. »Wir mussten schon wegen der eigenen Soldaten wissen, ob Saddam biologische und chemische Waffen einsetzen will«, sagt ein Beteiligter.
Im BND gibt es zu dem Zeitpunkt keine offene Sympathie für den Krieg, im Gegenteil: So bekundet der damalige Präsident des Dienstes, August Hanning, er halte den Waffengang »für einen Fehler«.
Aber Hanning ist Realist. Er will den jahrzehntelang von Skandalen geschüttelten BND zu einer pragmatischen, effizienten Behörde umbauen, die auch die dirty jobs, die schmutzige Arbeit, macht, wenn sie aus Sicht des Dienstes getan werden muss.
Die Analyse ist so simpel wie folgerichtig. Hanning weiß, dass die Deutschen Erkenntnisse der Amerikaner brauchen, um die Sicherheit der Bundesrepublik garantieren zu können. Das gilt für keine andere Behörde so sehr wie für den BND. Und er weiß, dass dafür manche Grenzen aus der Zeit vor dem 11. September neu gezogen werden müssen. Dass man sich auf Spiele der Amerikaner auch einlassen muss.
Im Oktober 2002, als die Invasion des Irak immer näher rückt, entwickeln die Experten im BND ein Konzept. Es sieht vor, eine kleine Nachhut in Bagdad zu platzieren. Die Männer, militärisch ausgebildet und bewaffnet, sollen Augen und Ohren Deutschlands sein, damit die Bundesregierung jederzeit Zugriff auf eigene Informationen über den Kriegsverlauf hat.
Die BND-Fachleute legen den Einsatzplan Hanning zur Entscheidung vor. Das Votum, Agenten ins Kriegsgebiet zu schicken, sei nicht leicht gefallen, sagen BND-Beamte heute. Hanning bespricht die Angelegenheit mit dem Kanzleramt. Und schließlich bekommt er grünes Licht. Die Geheimen suchen nun nach den richtigen Männern - und der Plan wird mit den Franzosen abgestimmt, die ihre Botschaft in Bagdad halten wollen.
Die Entscheidung ist »leitungsrelevant«, wie es im Ministerialdeutsch heißt. Soll heißen: Sie wird Steinmeier persönlich vorgelegt. Und auch Joschka Fischer. Es ist eine sogenannte Ministerentscheidung: Beide haben keine Einwände, was sie auch heute einräumen. Die Operation kann beginnen.
Der BND schickt die beiden Agenten am 14. Februar via Jordanien nach Bagdad. Es sind beides ausgebildete Soldaten, die sich freiwillig gemeldet haben. Dass die Männer kommen, bleibt nicht unbemerkt: SPIEGEL-Korrespondent Bernhard Zand begegnet ihnen in Bagdad.
Der deutsche Chefdiplomat im Irak, Claude Robert Ellner, empfängt das Duo und führt es in der Botschaft ein. Als Ellner und die Diplomaten Bagdad am 17. März verlassen, begleitet das BND-Kommando
den deutschen Konvoi in einem Mercedes-Geländewagen bis an die Stadtgrenze Bagdads. Dort verabschieden sich die Männer und drehen um. An dem Tag war die Entscheidung gefallen: Sie sollen in Bagdad bleiben.
Die meiste Zeit wohnen die beiden Geheimen in der französischen Botschaft, gemeinsam mit ebenfalls zurückgebliebenen Agenten aus Paris - nach dem Krieg werden sich die Franzosen über die durch die Gäste stark dezimierten Weinvorräte beschweren. Einmal ziehen sie um, auch im Haus des langjährigen BND-Residenten am Tigris halten sie sich zeitweise auf.
Einer der beiden Männer ist ein jüngerer Beamter mit kurzgeschorenen Haaren, einer Nickelbrille, er heißt Volker H. Der andere ist ein erfahrener BND-Mann namens Reiner M.
Der Geheime ist ein unauffälliger Mittvierziger, Seitenscheitel, Brille, verheiratet. Ein lockerer Typ, einer, der sich bei seiner Tochter mit »dein Alter« meldet und eine private Homepage ins Netz stellt, auf der alte Kollegen »Grüße aus Pullach« im Gästebuch hinterlassen. Er ist aber auch einer, der mit der Waffe umzugehen weiß, zum Eigenschutz. Das war eines der Kriterien für den Einsatz. Der BND will auf keinen Fall seine Männer verlieren.
Ihr Job ist »Kärrnerarbeit«, wie ein beteiligter Sicherheitsbeamter sagt. Über verschlüsselte Satellitentelefone melden die Späher alles, was sie über die Lage in der umkämpften Hauptstadt in Erfahrung bringen können: die Stimmung der Bevölkerung, den Standort der Verteidigungsanlagen, die Passierbarkeit von Brücken, den Machtverfall des Regimes. Schon die Technik ist schwierig. Immer wieder brechen die Satellitenverbindungen zusammen.
Volker H. und Reiner M. sind oft mit den Franzosen in Bagdad unterwegs, halten aber nach dem Fall Bagdads auch Kontakt zu Amerikanern. Und sie reden mit Männern des Saddam-Regimes. Das ist ein unschätzbarer Vorteil gegenüber den im Irak verhassten Yankees.
Dass die Amerikaner bereits im Vorfeld von dem Einsatz des deutschen Kommandos erfahren haben, ist bisher nicht bestätigt. Klar ist aber, dass der BND seine US-Partner unmittelbar nach dem Eintreffen der Agenten in Bagdad informiert. Der Grund ist simpel: Es soll eine versehentliche Bombardierung ihres Quartiers verhindert werden.
Die Deutschen gehören damit international zu den ersten Geheimdienstlern, die die »Stiefel auf dem Boden« (ein US-Militär) haben, und sie haben damit einen entscheidenden Vorsprung gegenüber anderen Alliierten. Bald, so berichten es BNDler, hätten die Amerikaner ihnen deshalb »die Bude eingerannt« und um Informationen gebeten.
Immer wieder bitten die USA den BND nun angeblich um Klärung ihnen wichtiger Details, so ging es um den Zustand der angeblich rund um Bagdad gefüllten Benzingräben, die beim Anrücken der US-Armee in Flammen gesetzt werden sollten. Allerdings laufen alle Anfragen über die Zentrale, direkten Zugang zu den deutschen Agenten haben die US-Geheimen nie. Und was Volker und Reiner melden, wird in Pullach gefiltert. Auf dem gleichen Weg über die BND-Zentrale werden auch die Antworten übermittelt - als verschwiegene Liebesgrüße an Washington.
Im Gegenzug offerieren die Amerikaner geheime Details über geplante Operationen der US-Armee - wertvolles Wissen für die ansonsten politisch abgeschnittene Bundesregierung. Der BND ist stolz darauf, der rot-grünen Regierung mit dem Wissen aus Bagdad eigene, und zwar gute Lageberichte vortragen zu können.
Aber war der BND mit dieser Operation nicht nur Ohr und Auge der Deutschen,
sondern auch eine Art Hilfsleitstelle der Amerikaner, inmitten eines Krieges?
Die offizielle Version Pullachs lautet, dass es nur darum gegangen sei, die Bombardierung ziviler Ziele zu verhindern und »Informationen zur tatsächlichen Entwicklung des Kriegsverlaufs« zu beschaffen.
Das stimmt, zumindest teilweise: Der Aufklärungstrupp meldete etwa die Verlegung von Botschaften, um zu verhindern, dass die US-Flieger wie im Balkan-Krieg noch einmal versehentlich eine diplomatische Vertretung in Trümmer legen. Eine arabische Botschaft etwa soll zuvor auf keiner Non-Target-Liste gestanden haben.
Auf der anderen Seite, räumen BND-Insider ein, seien natürlich auch militärisch sehr gut verwendbare Informationen geflossen - etwa über Truppenbewegungen in der Hauptstadt. Gegenüber dem ARD-Magazin »Panorama« behauptete ein ehemaliger Pentagon-Mann, die Deutschen hätten eindeutig bei der Erfassung von Zielen geholfen. Diese politisch brisantere Variante bestätigten ehemalige US-Militärs vergangene Woche gegenüber dem SPIEGEL nicht. Allerdings hätten die Deutschen überhaupt nicht gewusst, wofür ihre Informationen im Einzelnen genutzt wurden. Ohne es zu wissen und zu wollen, hätten sie so mögliche Ziele für die US-Armee identifiziert.
Vehement dementiert allerdings der heutige BND-Präsident Ernst Uhrlau, der damals als Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt die Entsendung ebenfalls autorisierte, den brisantesten Vorwurf: nämlich, dass die Agenten den Amerikanern bei der Bombardierung eines vermeintlichen Aufenthaltsorts von Saddam Hussein am 7. April 2003 geholfen hätten.
An jenem Tag hatten die US-Streitkräfte einen Hinweis erhalten auf das Restaurant al-Saa, Ramadanstraße, Stadtteil Mansur. Eine Kolonne von schweren Mercedes-Wagen sei dort in der Nähe gesichtet worden, vielleicht handele es sich um ein Geheimtreffen Saddams mit engen Vertrauten. Die DIA, so behauptet die amerikanische »Panorama«-Quelle, habe den BND um eine Kontrollfahrt gebeten, zur Verifikation, die die Deutschen auch unternommen hätten: »Sie sind vor und nach dem Angriff vorbeigefahren.«
Der Angriff der U. S. Air Force an jenem 7. April, früher Nachmittag, war tödlich: Vier satellitengesteuerte GBU-31-Bomben, sogenannte Bunkerknacker, gingen über Mansur nieder, sie rissen einen tiefen Krater, sie töteten mindestens zwölf Menschen, alle Zivilisten. Saddam und seine Getreuen waren nicht darunter.
Der heutige BND-Präsident Uhrlau sagt nachdrücklich: »Das ist falsch. Deutschland war nicht auf der kriegführenden Seite. Wir haben keine Zieldaten für die Amerikaner geliefert.« So wiederholte er es auch am Freitagmittag gegenüber den Abgeordneten des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags, das die Dienste überwacht und den BND gegen die Stimmen der Grünen und der Linkspartei entlastete.
Amerikanische Medien berichteten in den Tagen nach dem Angriff, die US-Truppen hätten einen »irakischen Spion, CIA-Offiziere und Kommandos der Delta Forces, die als Iraker verkleidet waren«, vor Ort gehabt.
Aus diesem Kreis sei über eine verschlüsselte Leitung in das CIA-Quartier in Langeley auch der Tipp gekommen, Saddam halte sich in der Nähe des Restaurants auf. Die CIA-Zentrale habe dann das US-Hauptquartier in Doha, Katar, eingeweiht. Nach dieser Version wäre der BND nicht beteiligt gewesen.
Intern räumt der BND eine Fahrt an den Ort der Detonation ein - allerdings erst nach dem Angriff. Die Haushälterin der früheren BND-Residentur - Villa Nummer 6 in der Straße 32 des Andalus-Viertels und nur vier Häuser neben dem Bombenkrater gelegen - habe sich verzweifelt bei der französischen Botschaft gemeldet, nur knapp sei sie dem Tod entronnen und auch nur, weil sie sich im hinteren Teil der Residenz aufgehalten habe. Die Franzosen hätten die Meldung weitergegeben, und die Deutschen hätten sich auf den Weg gemacht, um den Schaden zu inspizieren. Die Villa, eines der gepflegtesten Häuser mit einem brandneuen Stromgenerator davor, war tatsächlich schwer demoliert.
Zu den letzten Aufträgen der beiden Deutschen in Bagdad gehörte die Plünderung des untergegangenen Saddam-Regimes. Die BND-Beamten mischten sich unter die Horden, die nach dem Fall Bagdads Ministerien und Bürogebäude leer räumten. Statt Fernsehgeräten und Stereoapparaturen schleppten sie Akten ab.
Bis zum Mai, kurz nach Ende der Hauptkampfhandlungen, währte die Mission des Duos. Ein paar Wochen später, im Juni, fuhr Reiner M. mit zwei deutschen Zivilisten noch mal von Amman nach Bagdad, per Auto. Den Kofferraum hatten die drei Männer mit Beck's Bier gefüllt, im CD-Spieler lief klassische Musik, der BND-Mann hatte sie ausgesucht. In der Wüste machte die Reisegruppe einen Zwischenstopp, die Männer zogen ihre Handfeuerwaffen und machten ein paar Schießübungen - ein bisschen Spaß nach dem Stress im Krieg. In Bagdad begrüßte Volker H. das Trio mit einer Salve aus der Maschinenpistole.
Lange Zeit galt die Operation der beiden als Erfolgsstory. Mit breiter Brust informierte der BND später die Abgeordneten im Kontrollgremium des Bundestags. Dass Reiner M. und sein Kollege der US-Armee zur Hand gingen, während der Kanzler sich vom Krieg distanzierte, hätte auch heute wohl kaum eine derart durchschlagende Wirkung, wenn es der einzige Fall einer dubiosen Zusammenarbeit der Schlapphüte wäre. Doch es gab mehrere heikle Aktionen der Amerikaner - bei denen Deutsche wegschauten, profitierten oder halfen. Manchmal, ohne es zu wollen, wie im Fall »Curveball«.
Ausgerechnet der BND war es, der auf diese Weise mit seinen Informationen maßgeblich zur Rechtfertigung des politisch so vehement abgelehnten Kriegs beigetragen hat. Der Dienst war auf einen Exil-Iraker in Deutschland gestoßen. Und der sprach von mobilen Biowaffenlabors Saddam Husseins. Die Amerikaner verpassten der Quelle der Deutschen den Decknamen »Curveball« - im Baseball ist das der Begriff für einen Ball, der mit derart heftigem Drall geworfen wird, dass er eine schwer berechenbare Kurve fliegt.
Heute nennt ein US-Regierungsbericht die »Curveball«-Affäre »einen der schmerzlichsten Fehler« des ganzen Irak-Desasters. Und der frühere US-Sonderbeauftragte David Kay, der ebenso lange wie erfolglos nach Massenvernichtungswaffen im Irak gesucht hat, nennt den Iraker einen »ausgemachten Lügner«.
Doch zunächst galt »Curveball« auch im BND als »Goldkorn« - obwohl er verwandtschaftliche Beziehung ins Umfeld von Ahmed Tschalabi hatte, jenem zwielichtigen Exil-Iraker, der unbedingt Saddams Sturz wollte und mithin ein klares Interesse hatte.
»Curveballs« Angaben benutzte Bush in einer Ansprache im Februar 2003: »Der Irak könnte in wenigen Monaten Hunderte Pfund biologischen Gifts produzieren.« Auf den Angaben des Irakers beruhten auch wichtige Teile des entscheidenden Vortrags von US-Außenminister Colin Powell vor dem Weltsicherheitsrat am 5. Februar 2003: Powell behauptete, »dass Saddam Hussein biologische Waffen hat und die Möglichkeit besitzt, schnell mehr, viel mehr herzustellen. Meine Kollegen, jedes Statement, das ich heute mache, ist belegt durch Quellen, solide Quellen«.
Diese Rede war es, die Amerikas Bevölkerung auf die Seite der Kriegsplaner zog. Dabei stützte sich Powell auf die Geschichten des BND-Informanten, die komplett erfunden waren, wie sich später herausstellte - eine der größten Fehleinschätzungen der Geheimdienstgeschichte.
Der junge Iraker, auf den die US-Regierung ihre Anklage vor der Weltöffentlichkeit gebaut hatte, kam Ende der neunziger Jahre als Asylbewerber nach Deutschland, er war Chemiker. Der BND geht routinemäßig die Listen von Flüchtlingen durch, eine BND-Außenstelle sucht unter den Ankömmlingen nach neuen Zuträgern. So kam der Geheimdienst auch auf ihn. Und schnell begann »Curveball« zu plaudern - in einem Mix aus Arabisch und Englisch, Hunderte Stunden lang. Seine Familie, erzählte »Curveball«, sei in Bagdad geblieben, er aber sei geflohen, weil er sich bedroht gefühlt habe. Saddam sei unberechenbar. Und dann erzählte er eine wundersame Geschichte.
Als Bester seines Studienjahrgangs sei er von dem irakischen Regime auserkoren worden, an einem geheimen Forschungsprogramm teilzunehmen, als Konstrukteur. 1997 sei er dabei an der Produktion eines rollenden Biowaffenlabors in einer irakischen Kleinstadt beteiligt gewesen.
Der BND war mächtig stolz auf seinen ausgezeichneten Zugang. Das Kanzleramt, das Auswärtige Amt und der geheime Kontrollausschuss im Bundestag wurden informiert.
Und der BND wollte diesen Fund teilen. Im Januar 2000 wurden die Amerikaner eingeweiht. Bis September 2001 erhielt der US-Militärgeheimdienst fast hundert Berichte mit Angaben von »Curveball«. Die US-Geheimen reichten sie weiter bis ins Weiße Haus.
Die Deutschen schickten sämtliche Befragungsergebnisse - sogar Zeichnungen der vermeintlichen Labors. Nur den Wunsch der Amerikaner, die Quelle persönlich vernehmen zu dürfen, erfüllten sie nicht.
Parallel suchte der BND dringend Bestätigung der spektakulären Aussagen - bei den Israelis, den Franzosen, bei den
Briten. Aber niemand hatte von den rollenden Laboren gehört. Ein Bluttest, den der BND bei »Curveball« vornahm und mit dem mögliche Antikörper gegen B-
Waffen-Erreger nachgewiesen werden sollten, blieb ohne klares Ergebnis.
Eine Fraktion in Pullach begann schließlich, vorsichtig an der Starquelle zu zweifeln. Andere waren nach wie vor überzeugt - selbst dann noch, als deutlich wurde, dass die CIA aus »Curveball« jene »Smoking Gun« machen wollte, die die Bush-Administration zur Rechtfertigung eines Kriegs so dringend suchte.
Als der Countdown zum Krieg immer mehr vorrückte, wurde die CIA erneut beim BND vorstellig und verlangte noch einmal alles zu »Curveball«, darunter auch direkten Zugang zur Quelle.
»August, that is very important«, sagte der damalige CIA-Chef George Tenet in einem Telefonat zu BND-Chef August Hanning.
Statt direkten Zugangs kam aber eine späte Warnung aus Pullach: Schriftlich teilte der BND mit, dass sich »Curveballs« Angaben bislang nicht bestätigt hätten. Gleichzeitig stimmte das Kanzleramt aber der Verwendung der Angaben im Weltsicherheitsrat zu.
Von massiven Vorbehalten der Deutschen erfuhr Powell nichts und behauptete, neben »Curveball« gebe es noch drei weitere Quellen für die rollenden Labore - alles falsch, wie der Ex-Minister mittlerweile bedauernd eingestanden hat.
»Wenn Powell gesagt hätte, wir haben dafür eine einzige Quelle, mit der wir selbst aber nie gesprochen haben und deren Namen wir nicht kennen, hätten ihn die Leute ausgelacht«, urteilte Kay.
Und ein reuiger CIA-Mann sagt: »,Curveball' war der Nagel, an dem das ganze Bild hing.«
Bis heute unterschlägt die deutsche Regierung allerdings auch, dass noch lange nach dem Krieg viele im Geheimdienst nicht wahrhaben wollten, dass sie offenbar einem Hochstapler aufgesessen waren, der, wie US-Geheimdienstler aktuell streuen, gezielt von der irakischen Opposition geschickt worden sei.
Kurz vor dem Krieg, Anfang 2003, intensivierten der BND und die CIA im Geheimen auch ihre Zusammenarbeit an einer weiteren Front: beim Kampf gegen den Terrorismus. In Paris gründeten die Dienste mehrerer Länder heimlich ein gemeinsames Operationszentrum, das die Jagd auf al-Qaida koordinieren sollte - und dessen Existenz brisant ist. »Camolin« heißt die geheime Einrichtung, die bis heute existiert und die transatlantische Kooperation auf eine bisher nicht gekannte Ebene gehoben hat.
In einer Militärkaserne am Stadtrand der französischen Hauptstadt tauschen BND, CIA sowie die Geheimdienste der Franzosen, Briten, Kanadier und Australier seitdem ihre intimen Erkenntnisse aus - selbst sonst sorgsam gehegte Abhörprotokolle. Die Runde ist kein Debattierclub: Es geht um »Manhunt«, um direkte, vielleicht auch tödliche Aktionen gegen islamistische Terrorverdächtige. Für die Deutschen ist »Camolin« eine heikle Angelegenheit: Der BND kennt die Praxis der Amerikaner, Verdächtige zu kidnappen und in Folterstaaten zu bringen, um so möglichst weitgehende Aussagen zu erhalten.
Der BND weiß auch, dass deutsche Beamte in Paris mit ihren Informationen zum Bruch des Völkerrechts und der Menschenrechte beitragen können. Doch in der Geheimdienstwelt nach dem 11. September gilt eine einfache Regel: Wer keine dummen Fragen stellt, bekommt auch keine falschen Antworten. Bestimmte Fragen werden in der Runde also einfach ausgespart.
Die Entscheidung, an »Camolin« teilzunehmen, fiel in Berlin, in der Bundesregierung. Es gehört zur rot-grünen Geheimdienstpolitik, dass kein parlamentarisches Gremium über die Details der transatlantischen Kooperation informiert wurde. Im vergangenen Sommer noch dementierte das Innenministerium unter Otto Schily (SPD) sogar die Existenz eines solchen Zentrums in Paris.
Schily war bereit, weit zu gehen, um die Amerikaner im »Kampf gegen den Terror« zu unterstützen - auch wenn er in der Bundesregierung zugleich ein scharfer Kritiker Guantanamos war. Der Law-and-Order-Minister im Kabinett Schröder empfand es als eine natürliche Verpflichtung, den US-Behörden weitgehend zu helfen. Mit versteinerter Miene hatte Schily im Oktober 2001 neben dem damaligen US-Justizminister John Ashcroft gesessen, der anklagend verkündete, der schlimmste Terroranschlag der Geschichte sei ausgerechnet im sonst so friedlichen Hamburg ausgeheckt worden. So etwas, schwor sich Schily, sollte die Bundesregierung nie wieder erleben. So sah es auch der Kanzler.
Als US-Armee und CIA deshalb wiederholt im Sommer 2002 anboten, deutsche Geheime könnten trotz des öffentlichen Donnerwetters doch in das umstrittene US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba fliegen und dort Verdächtige vernehmen, zögerte die Bundesregierung nicht grundsätzlich. Die CIA hatte sogar eine Liste mit Namen von rund 200 Gefangenen übermittelt, eine Art Speisekarte, auf der die Deutschen wählen konnten, wer für sie von Interesse war. Die Sicherheitsbehörden entschieden sich schließlich für den »Bremer Taliban« Murat Kurnaz und den früheren Duisburger Mohamadou Ould Slahi, einen Mauretanier.
Nur die Frage, wer fliegen durfte, war strittig. Das Bundeskriminalamt (BKA) wollte, doch das Innenministerium hatte Bedenken, weil Polizisten anders als Geheimdienstler dem Legalitätsprinzip unterliegen. Das BKA wäre in Verlegenheit gekommen, hätte es vor Gericht Zeugnis über eine Guantanamo-Reise ablegen müssen.
Schließlich fuhren ein Referatsleiter des Verfassungsschutzes sowie ein stellvertretender Referatsleiter des BND samt einem Mitarbeiter. Sechs Tage lang, vom 21. bis zum 27. September 2002, blieb das Trio.
Die rot-grüne Bundesregierung wusste um die Dimension der Dienstreise, sie wusste, wie heikel Guantanamo auch als Symbol war. Entscheidungen dieser Art hatten in Berlin stets höchste Priorität, sie waren undenkbar ohne Zustimmung des Kanzleramts, das sich für eine klare Linie der engen Geheimdienste-Kooperation mit den USA entschieden hatte und diese Schritt für Schritt umsetzte.
Bei Schröders Leuten wurde im Sommer des Jahres 2002 auch ein Beschluss gefasst, der nun Steinmeier persönlich angelastet wird und derzeit ein parlamentarisches Nachspiel hat: die Vernehmung des Deutsch-Syrers Mohammed Haydar Zammar in einem Folterkomplex in Damaskus.
Das 140-Kilo-Schwergewicht Zammar, ein enger Freund der Todespiloten vom 11. September um Mohammed Atta, hatte Hamburg kurz nach den Anschlägen verlassen. Erst observierten ihn marokkanische Geheimdienstler, dann nahmen sie ihn fest. Nach zwei Wochen wurde Zammar unter Beteiligung der CIA nach Syrien ausgeflogen.
Monate später, im Juli 2002, boten die Syrer den Deutschen Zugang zu Zammar an. Eine hochrangige Delegation aus Damaskus traf im Kanzleramt ein. Wie auf einem orientalischen Basar wurde verhandelt.
Mit Wissen Steinmeiers entschieden Uhrlau und Hanning, das Angebot anzunehmen und eine Gruppe von fünf Sicherheitsbeamten zu entsenden. Im Gegenzug ließ die Bundesregierung unter anderem die Anklage gegen zwei mutmaßliche syrische Spione zurückziehen. Bei der Vernehmung Zammars Ende November 2002, rund ein Jahr nach seiner Entführung, berichtete der Gefangene unter anderem, er sei sowohl in Marokko als auch in Damaskus geschlagen worden.
Die Beamten nahmen die Klage zu den Akten - wo sie seitdem ebenso schlummert wie die geheimen Aussagen. Zammar sitzt bis heute in einem Verlies, ohne Anwalt, ohne Anklage, ohne Perspektive.
Dürfen deutsche Beamte in einem Foltergefängnis vernehmen, in dem Wissen, dass der Häftling Opfer einer Entführung mit amerikanischer Beteiligung ist? Dürfen sie nach Guantanamo?
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wird wohl, so will es die Opposition, die Guantanamo-Reise und die Zammar-Vernehmung genauso examinieren wie den BND-Einsatz im Irak und die Entführung des Deutschen Khaled el-Masri durch die CIA Ende 2003 - die Amerikaner hatten den Mann aus Neu-Ulm als Terrorverdächtigen im Visier, verschleppten ihn auf einer Mazedonien-Reise und verhörten ihn immer wieder, ähnlich dreist, wie sie auch ihre Flughäfen in Deutschland nutzten für Geheimflüge der CIA. In Berlin steht nun die Frage im Raum, wie schmutzig sich die Deutschen die Hände gemacht haben, wie viel sie wann wussten etwa von der illegalen Verschleppung el-Masris - und ob sie im versteckten Geben und Nehmen der Dienste unzulässig profitiert haben von dem skrupellosen amerikanischen »Krieg gegen den Terror«.
Die Opposition will das Thema nutzen, um gegen die Große Koalition und vor allem die SPD zu punkten. Die Linkspartei zögerte keine Sekunde, am Donnerstag vergangener Woche votierten die Sozialisten bei ihrer Fraktionsklausur in Ebendorf bei Magdeburg geschlossen für einen Untersuchungsausschuss. »Es reicht«, schnaubte die innenpolitische Sprecherin Petra Pau, »wir wurden belogen und betrogen.«
Ähnlich empört reagierten die Liberalen. Nach Abstimmung mit Parteichef Guido Westerwelle empfahlen mehrere Freidemokraten ihrer Fraktion, an diesem Dienstag die Einsetzung des Gremiums zu befürworten.
Selbst die Grünen, als ehemalige Regierungspartner der SPD in der Causa nicht unbefangen, haben inzwischen ihre bisherige Scheu vor einer umfassenden Aufklärung abgelegt. Am Freitag schloss sich die Grünen-Fraktionsspitze kurzerhand FDP und Linkspartei an und votierte für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Vorsichtshalber hatten Spitzen-Grüne zuvor mehrfach bei ihrem Ex-Außenminister Fischer nachgefragt, ob er auch wirklich nichts davon gewusst habe, dass die Informationen der beiden BND-Leute an die Amerikaner gingen. »Der Sachverhalt sagt mir nichts«, beteuerte Fischer.
Die Grünen sehen ihre Glaubwürdigkeit als Antikriegspartei in Gefahr. Mit aller Härte wollen sie deshalb aufklären. »Die Vorwürfe sind so ungeheuerlich. Da muss das Parlament mit seiner schärfsten Waffe, dem Untersuchungsausschuss, reagieren«, sagt Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn.
Der grüne Geheimdienstexperte Hans-Christian Ströbele macht sich bereits Gedanken, welche Zeugen im Ausschuss vernommen werden sollten. Neben Außenminister Steinmeier und diversen Beamten aus der Pullacher BND-Zentrale will er auch versuchen, amerikanische Zeugen zu laden. »Wir müssen uns bemühen, aus den USA Informationen zu erhalten«, sagt Ströbele. »In Amerika gibt es sicherlich eine Reihe von Personen, die uns bei der Aufklärung weiterhelfen könnten. Die müssen wir identifizieren.«
Vor allem wollen die Parlamentarier die beiden Bagdad-Spione des BND sprechen, die auch schon an diesem Mittwoch vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium auftreten sollen. Für beide, Volker H. und Reiner M., dürfte das eine unangenehme Reise ins kalte Deutschland sein.
Volker H. dient derzeit an der deutschen Botschaft in Kairo. Und Reiner M., dem die Amerikaner für den Bagdad-Einsatz einen Orden gaben, wurde von den Deutschen als »First Secretary« an die Botschaft ins sonnige Australien versetzt. Was der Agent, wie er sagt, durchaus auch als »Belohnung« versteht. RALF BESTE,
PETRA BORNHÖFT, MATTHIAS GEBAUER, CLEMENS HÖGES, GEORG MASCOLO, ROLAND NELLES, HOLGER STARK, GABOR STEINGART, ALEXANDER SZANDAR, BERNHARD ZAND
* Am 5. Februar 2003 in New York.