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HOCHSCHULEN Lindes Lüftchen

Den bundesdeutschen Hochschulen steht ein heißer Sommer bevor. Auf dem Campus droht ein sozialer Numerus clausus, die Studenten fühlen sich von Bonn verladen.
aus DER SPIEGEL 3/1977

Acht Jahre lang standen an Deutschlands Universitäten die roten Kader bei ihren Polit-Aktionen meist allein. Jetzt, so fürchtet der SPD-Bundestagsabgeordnete Manfred Schmidt, braut sich dort eine »neue Apo« zusammen.

Die alte Furcht vor einem neuen hei-Ben Sommer ist nicht unbegründet, seit Bundesbildungsminister Helmut Rohde letzte Woche seinen Bericht über die künftige Ausbildungsförderung des Bundes (BAföG) vorlegte, der bei Parteifreunden wie politischen Gegnern gleichermaßen auf Ablehnung stieß.

Für »völlig unzureichend« hält Juso-Führer Ottmar Schreiner Rohdes Rezepte. Die Kommunisten von den Vereinigten Deutschen Studentenschaften (VDS) bezeichnen sie ebenso wie der CDU-nahe Ring Christlich-Demokratischer Studenten schlichtweg als »Betrug«, und der freidemokratisch orientierte Liberale Hochschulverband sieht sich bereits nach »relevanten Kampfmaßnahmen« um.

Gegen den kommenden Rabatz wird vom Auftrieb her womöglich gar die studentische Revolte der 60er Jahre verblassen. Denn anders als der rebellierenden Minderheit um Rudi Dutschke geht es den Hochschülern von heute Im vergangenen Dezember in Hamburg.

nicht um gesellschaftliche Veränderungen, Linken wie Rechten geht es um die eigene Existenz.

Die staatliche Förderung für Studenten aus einkommenschwachen Familien reicht schon seit langem nicht mehr aus. Jeder achte der rund 800 000 bundesdeutschen Hochschüler hat Schulden. Immer mehr müssen ihr Studium aus finanziellen Gründen abbrechen -- auf dem Campus droht ein sozialer Numerus clausus, und dies zur gleichen Zeit, in der das Kabinett Schmidt die Parole von der Öffnung der Hochschulen für alle Studienbewerber zum politischen Grundsatz erhoben hat.

Vom Streit um Zulassungsbedingungen und Zulassungsquoten verdeckt, hat sich die soziale Lage der Hochschüler in den letzten Jahren rapide verschlechtert.

Die Kosten für Ernährung, Lernmittel und Miete stiegen steil an. Während 1973 noch knapp die Hälfte aller Hochschüler mit Zimmerpreisen bis zu 120 Mark im Monat rechnen konnte, hat heute -- so recherchierte das Deutsche Studentenwerk -- nur noch jeder fünfte die Chance, eine preiswerte Bleibe zu finden. 28 Prozent der Jungakademiker zahlen schon mehr als 170 Mark für ihr Zimmer. Und jeder fünfte muß inzwischen 60 Mark allein für die Fahrtkosten zur Uni berappen.

Verständlich, daß bei solchen Daten mit dem BAföG-Höchstbetrag von 550 Mark, den ohnehin nur ein kleiner Teil der insgesamt geförderten rund 330 000 Hochschüler erhält, immer mehr in finanzielle Verdrückung geraten. Das Studentenwerk und der Deutsche Gewerkschaftsbund halten deshalb auch eine monatliche Subvention in Höhe von 690 Mark für angemessen -- was freilich selbst wohlmeinenden BAföG-Kritikern angesichts der knappen Kassenlage des Bundes eine überzogene Forderung scheint.

Besonders fatal wurde die Lage für viele BAföG-Bezieher im letzten Jahr, als die turnusmäßig vorgesehene Angleichung der Zuschüsse und Elternfreibeträge (wer mehr als 960 Mark monatlich verdient, muß die akademischen Ausbildungskosten anteilig mittragen) an die Lebenshaltungskosten im Gitternetz des Haushaltsstrukturgesetzes hängenblieb. Allein im letzten November fielen aufgrund der Bonner Sparmaßnahmen nach Experten-Schätzungen fast 40 000 Studenten aus der Förderung, weiteren 200 000 wurden die Zuschüsse empfindlich gekürzt.

Und wie sich bei solchem Raster selbst eine bescheidene Steigerung des elterlichen Einkommens als zusätzliche Belastung auswirkt, dokumentieren die Allgemeinen Studentenausschüsse der Fachhochschule Münster, an der fast die Hälfte aller Studenten aus Arbeiterfamilien kommt, und der Universität an beispielhaften Einzelfällen.

Als der inzwischen 22jährige Roland Frey, einziges Kind eines Baufacharbeiters (Monatsverdienst: derzeit 1350 Mark netto), das Studium zum Bauingenieur begann, förderte ihn der Staat mit einem Stipendium von 150 Mark. Doch als der Vater 140 Mark mehr in der Lohntüte hatte, wurde seinem Sohn der Förderungsbetrag gestrichen. Vater Frey muß jetzt die Ausbildung voll aus eigener Tasche bezahlen.

Dem Germanistik-Studenten Siegfried Störzer, der noch zwei jüngere Geschwister hat, wurde zum Wintersemester das Studienhonorar rigoros von 319 auf 141 Mark gekürzt, weil sein Vater, ein Bergmann (Netto-Einkommen: derzeit 2200 Mark), zwei Jahre zuvor ein 13. Monatsgehalt und eine Lohnerhöhung erhalten hatte.

Sich durch Ferienjobs oder gar täglichen Nebenerwerb das Studium ganz oder teilweise zu finanzieren, fällt Hochschülern zunehmend schwerer. Jeder dritte, der sein Stipendium als Werkstudent aufbessern wollte, fand im letzten Jahr keine Stelle.

Bund und Länder profitierten erwartungsgemäß vom Sparen an der Bildung. Laut Rohdes Bericht sank das Förderungsvolumen trotz gestiegener Studentenzahl von 2,63 Milliarden 1975 auf 2,46 Milliarden Mark, in die sich neben den Studenten auch noch 285 000 Oberschüler teilen. Bei der Korrektur nach unten soll es offensichtlich noch eine Weile bleiben.

Zwar befürwortet das Bonner Bildungsministerium eine baldige Erhöhung der BAföG-Stipendien auf 580 Mark und der elterlichen Freibeträge von 960 auf 1100 Mark; wann jedoch die längst überfällige Anpassung wirksam wird, ist völlig offen. Denn Rohdes Kabinetts-Kollege Finanzminister Hans Apel möchte die Zulagen bis zum nächsten Wintersemester, am liebsten sogar bis 1978 aufschieben. Jeder Monat Verzögerung, so seine Argumentation, entlaste die Bundeskasse um Millionen-Beträge.

Doch ob solcherlei Ersparnis tatsächlich lohnt, scheint zweifelhaft. Jedes weitere Warten bei der Stipendien-Aufstockung verstärkt das studentische Protest-Potential, das vor allem wegen der ungesicherten Berufsaussichten für Akademiker und der in allen Bundesländern anstehenden Anpassung der Hochschulgesetze an die rigiden Richtlinien des Bonner Hochschulrahmengesetzes größer ist als jemals zuvor.

Wenn jetzt noch zusätzliche staatliche Zuschüsse ausbleiben, droht all den Studenten der vorzeitige Abgang von der Hochschule, die sich bislang ihr Studium durch Nebentätigkeiten mitfinanzieren konnten und die deshalb meist wesentlich länger als Kinder betuchter Eltern studieren müssen. Da das Bonner Rahmenrecht künftig feste Regelstudienzeiten vorschreibt, wird rausgeschmissen, wer sein Abschluß-Examen nicht nach einer vorgeschriebenen Semesterzahl abgelegt hat.

Rund 270 000 Studenten beteiligten sich Anfang Dezember an Demonstrationen oder dem Boykott von Lehrveranstaltungen, Proteste gegen die ständige Verschlechterung der Studienbedingungen. »Wenn Bonn uns mit BAfÖG wieder verlädt«, beschreibt ein Berliner Studentenfunktionär die Lage, »war dies nur ein lindes Lüftchen.«

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