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GESELLSCHAFT / EHESCHLIESSUNG List des Amtmanns

aus DER SPIEGEL 25/1967

Die Kinder kamen im Mai: Domingo 1963, sein Bruder Antonio 1965. Der Kieler Standesbeamte registrierte die Geburt der Knaben, doch er lehnte es ab, Domingos und Antonios Eltern zu trauen.

Denn die evangelische Mutter Gerda Reiche ist eine geschiedene Deutsche, der katholische Vater Paulino Gallardo lediger Spanier*. Wie daheim durfte Paulino auch in Deutschland seine Gerda nicht heiraten.

Im katholischen Spanien gilt die Ehe als unauflöslich, es gibt keine Ehescheidung. Wer im Ausland eine geschiedene Frau heiratet, kann in Spanien als Bigamist verurteilt werden. Und auch in der Bundesrepublik bleibt -- so entschied der Bundesgerichtshof -- das spanische Eherecht für die Spanier verbindlich.

Doch der aus dem nordspanischen Dorf Valmaseda stammende Autolackierer Paulino mochte sich damit nicht abfinden. Er drängte auf reputierlichen Familienstand. Während er

* Die Namen wurden durch Pseudonyme ersetzt.

noch mit Kieler Ämtern herumstritt, erfuhr er, daß sich das protestantische Dänemark nicht an Spaniens katholische Ehegesetze hält. Dort wird getraut, wer sich im Lande aufhält, volljährig ist und heiraten will. Einzige Bedingung: Die Papiere müssen in Ordnung sein.

In der dänischen Amtsstadt Tondern, drei Kilometer von der Grenze entfernt, hat sich der Kommunalsekretär und Heiratsvogt Heinrich Sönnichsen, 67, darauf spezialisiert, als Nothelfer für spanisch-deutsche Paare zu fungieren. 267 derartige Ehen hat er bisher geschlossen. Den 15. Trauschein, den er -- am 27. Oktober 1965 -- unterschrieb, händigte er dem Kieler Gastarbeiter Paulino Gallardo aus.

Mit diesem Dokument erschien Gerda Reiche de Gallardo im Dezember 1965 wiederum auf dem Kieler Standesamt. Sie beantragte, ihre Ehe zu registrieren.

Dem evangelischen Kieler Standesamts-Chef Karl Möller kam dieser Antrag gelegen. Den in 21 Dienstjahren ergrauten Amtmann hatte es schon häufiger verdrossen, daß er sich streng nach den katholischen Gesetzen Spaniens richten muß, während sich die Spanier um deutsche Ehegesetze wenig scheren.

Um »dieser Schizophrenie« (Möller) beizukommen, griff der Amtmann zu einer bürokratischen List: Er fragte beim Amtsgericht an, ob er eine solche nach deutschem und spanischem Recht ungültige Ehe denn überhaupt eintragen dürfe.

Das Amtsgericht mochte sich nicht entscheiden und bat die Kieler Universität um ein Rechtsgutachten. Die Hochschulexperten aber bejahten Möllers Frage. Denn: Die Ehe sei formgültig im dänischen Tondern geschlossen worden und mithin auch in Deutschland als gültige Ehe zu werten. Zwar hätte ein deutscher Standesbeamter diese Trauung ablehnen müssen, da sie gegen die spanischen Ehegesetze verstoße. Nachdem die Ehe aber dennoch formgültig zustande gekommen sei, könne die Frage, ob Bigamie vorliege, nicht nach spanischem Eherecht bejaht, sondern nach deutschem Eherecht verneint werden.

Das Urteil des Amtsgerichts entsprach diesem Gutachten. Aber das Kieler Innenministerium, das sich mittlerweile eingeschaltet hatte und sichergehen wollte, legte Beschwerde ein. Erst vom Oberlandesgericht Schleswig wurde der Fall rechtskräftig entschieden -- wiederum zugunsten des Paares.

Frau Gerda war rehabilitiert: Sie gilt nicht mehr als Konkubine eines spanischen Junggesellen, sondern ist rechtmäßige Ehefrau des spanischen Vaters ihrer Kinder. Eine Bescheinigung des Standesbeamten heftete sie in ein ledergebundenes Familienstammbuch, das sie für 19,50 Mark im Kieler Standesamt erstand.

Es war das teuerste Exemplar des behördlichen Sortiments. Ein Beamter riet vergebens ab: »Für das Geld bekommen Sie doch eine Kinderhose.«

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