AM RANDE Literarischer Ausflug
Vor vielen, vielen Jahren, als deutsche Dichter von einem amtierenden Bundeskanzler noch als »Pinscher, Uhus und Banausen« geschmäht wurden, konnten sie sich wenigstens in dem Gefühl sonnen, ernst genommen zu werden: von den einen als subversive Elemente, von den anderen als literarische Wahlhelfer, die im Sonderzug von Willy Brandt mitreisen durften. Dann waren sie eine Weile für den Erhalt des Weltfriedens verantwortlich, weswegen sie immerzu an Friedenskonferenzen teilnehmen und Friedensresolutionen unterschreiben mußten.
Doch seit dem Fall der Mauer wissen viele Dichter nicht mehr, was sie mit sich und ihren Energien anfangen sollen. Die einen zürnen der Geschichte, weil die sich nicht an ihre Ratschläge gehalten hat, andere stählen ihre Leidenswilligkeit im Pen-Zentrum, wo die Frage, wer Präsident wird, wer beitreten darf und wer rausgeekelt wird, die literarische Geschäftsordnung bestimmt. Das ist nicht viel, aber mangels größerer Projekte die einzige verbliebene Option, eine Art Seifenkisten-Derby für ehemalige Grand-Prix-Fahrer.
Doch nun sollen wieder bessere Zeiten anbrechen. Außenminister Klaus Kinkel hat angekündigt, er werde demnächst auf seinen Auslandsreisen neben Vertretern der Wirtschaft auch Künstler und Literaten mitnehmen. Deutschland sei nicht nur ein Industriestandort, sondern auch »eine Kulturnation«. Als erste Reisebegleiter sind Martin Walser und Erich Loest im Gespräch.
Das zerstreut endlich alle Zweifel am Sinn der auswärtigen Kulturpolitik. Den Goethe-Instituten werden weltweit die Mittel gekürzt, »unrentable« Filialen geschlossen. Und um den Image-Schaden wieder wettzumachen, wird Minister Kinkel seinen Gastgebern demnächst praktizierende Dichter vorführen. Die Moldawier werden für eine Begegnung mit Hera Lind ewig dankbar sein, die Mongolen eine Soirée mit Friedrich Schorlemmer nie vergessen. Schwierig wird es nur, wenn Kinkel mal wieder in den Iran fährt, wo der von ihm gepflegte »kritische Dialog« so stimulierend auf das Verhältnis zwischen Politik und Literatur gewirkt hat. Dann wird er ein Buch von Salman Rushdie mit auf die Reise nehmen und es heimlich vor dem Einschlafen lesen - als Beweis dafür, daß kluge Kulturpolitik auch in heiklen Situationen nicht verzagt.