Länder Loch in der Mitte
Die Unterhändler, eine Frau und neun Männer, trafen sich diskret in einem Büro in Ku''dammnähe. Das Protokoll der Unterredung, »Vertraulich! Nicht öffentlich!«, dokumentiert Wortwechsel wie aus dem Kalten Krieg.
Die Forderungen der einen Seite lehnt die Gegenseite, so das Protokoll, »kategorisch ab«. Gegenvorschläge nehmen die Kontrahenten diplomatisch eisig »mit der gebotenen Zurückhaltung zur Kenntnis«.
Eingeweihte kennen diesen Ton schon: So klingt es, wenn sich die Verhandlungsdelegationen von Brandenburg und Berlin über die geplante Fusion ihrer Bundesländer unterhalten.
Das protokollierte Treffen zu Finanzfragen Ende November war das bislang böseste - und möglicherweise eines der letzten. Am Ende mußten die beiden Chefs des Verhandlungskommandos, der Berliner Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) und der Potsdamer Finanzminister Klaus-Dieter Kühbacher (SPD), passen. Nach zweijährigem Schachern um die finanziellen Bedingungen ist der Versuch, zu einem Kompromiß zu kommen, an elfstelligen Geldbeträgen vorläufig gescheitert.
Der Zeitplan der ursprünglich für 1999 geplanten Fusion ist wohl nicht mehr zu halten. Nach dem Verhandlungsflop schoben Berlin und Brandenburg die noch vor Weihnachten fest terminierte Vorlage des Entwurfs für einen Vereinigungsstaatsvertrag auf unbestimmte Zeit ins neue Jahr.
Damit geriet auch ein weiteres sensibles Datengeflecht in Unordnung: der Countdown für die Ratifizierung des Vertragswerks in den jeweiligen Parlamenten und die Volksentscheide an Havel und Spree.
Beide Länder stehen vor Parlamentswahlen, Brandenburg in diesem, Berlin im nächsten Jahr. Der Wahlkampf könnte den Vereinigungsgegnern Auftrieb geben. Und vereinigt kann nur werden, wenn zwei Drittel der Abgeordneten und der Bürger zustimmen.
Ressentiments machen sich neuerdings unter Berliner Politikern breit: Nach dem ernüchternden CDU-Ergebnis um 20 Prozent und den PDS-Erfolgen bei der Brandenburger Kommunalwahl zeigt eine Mehrheit der Hauptstadt-Union »wenig Lust, Berlin geschlossen in den Postsozialismus zu überführen« (Fraktionsvize Uwe Lehmann-Brauns).
Unverzagt werben allein die beiden Regierungschefs für das neue Bundesland. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) beschwören das Zusammengehen im Gleichklang als »geradezu zwingend notwendige Korrektur der Fehlentwicklung vieler Jahrzehnte«.
Tatsächlich sprechen nicht nur historische Gründe für die Ehe von Berliner Bären und märkischem Adler, die einst gemeinsam mehr als 700 Jahre das Kernland Preußens repräsentierten. Rationalisierungseffekte und gegenseitige Abhängigkeiten machen die Vereinigung plausibler als irgendwo anders in der Republik.
Schon jetzt behandeln viele Organisationen Berlin und sein Umland als Einheit. Die evangelische Landeskirche, der Unternehmensverband, die Akademie der Künste, das Landesarbeitsamt, der TÜV, der ADAC machen die Zwei-Länder-Wirtschaft nicht mit.
Die Fusion des Molochs Berlin mit Brandenburg (Stolpe: »Ein Land mit einem Loch in der Mitte - Berlin") würde die Länderkonkurrenz abbauen. Eine koordinierte Entwicklungsplanung, sowohl für den Großraum um Berlin wie für das unterentwickelte Hinterland, würde die krassen Strukturunterschiede in der von sechs Millionen Menschen bewohnten Region eindämmen.
Berlin müßte sich etwa der Lausitzer Braunkohle annehmen oder der Sanierung der märkischen Spree, die der Hauptstadt Trinkwasser liefert. Zugleich bekäme die Großstadt Mitsprache bei der wilden Zersiedelung im nahen Speckgürtel um die Stadt.
Die Fusion wäre die zweite Ländervereinigung seit 1952, als Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern verschmolzen. Doch das Zusammenwachsen leidet unter denselben Schwierigkeiten, an denen bislang alle potentiellen Vereinigungsregionen, von Hamburg und Schleswig-Holstein bis zu Bremen und Niedersachsen oder dem Saarland und Rheinland-Pfalz, scheiterten. Beim Geld und bei der Verwaltung gibt es keine Einigung.
Finanziell kann die Fusion das subventionsverwöhnte Berlin in den Ruin treiben: Die Stadt, deren Ausgaben derzeit _(* Bei einer Pressekonferenz zur ) _(geplanten Fusion im Dezember 1992. ) nur zu 38 Prozent aus selbsterwirtschafteten Steuern gedeckt werden, müßte künftig drei Viertel ihrer Steuern an die Landeskasse abgeben. Deshalb verlangen die Berliner einen Ausgleich in zweistelliger Milliardenhöhe - mehr als das künftige gemeinsame Land verkraften könnte.
Die Hauptstadt wolle ihre seit Mauerzeiten gewachsenen Altschulden auf Kosten Brandenburgs loswerden, mutmaßt Potsdams Kühbacher. Berlin wirke »wie ein trockener Schwamm, der in eine Wasserschüssel fällt«. Berlin rechtfertigt seine Wünsche mit der Sonderrolle aus der Mauerzeit und seiner Mittelpunktfunktion. Mindestens 60 000 Pendler aus dem Brandenburger Umland nutzen, so die Argumentation, die Infrastruktur der Stadt - etwa Busse und Bahnen.
Teure Sonderleistungen Berlins, einst von Bonn subventioniert, wollen die Brandenburger nicht aus der gemeinsamen Steuerkasse finanziert sehen. So soll die Mietskasernenstadt Berlin nach Brandenburger Votum künftig ihren sozialen Wohnungsbau ebenso allein finanzieren wie die großzügige Subventionierung der Sozialmieten.
Einig sind die beiden Kontrahenten vor allem, soweit es auf Kosten anderer geht: Beide bestehen darauf, daß die Ministerpräsidenten der übrigen Länder den Berlinern, auch wenn sie kein eigener Staat mehr sind, das Stadtstaatenprivileg »für eine Übergangszeit von 15 Jahren« zugestehen. Von 1995 an sind das 4,6 Milliarden Mark jährlich.
Der zweite große Streitpunkt zwischen Berlin und Potsdam ist die Rekrutierung der Landesbeamten. Das dann fünftgrößte Bundesland mit der Hauptstadt Potsdam soll, so die Planung, 155 000 Landesbedienstete beschäftigen.
Nach dem Bevölkerungsschlüssel würde Brandenburg davon 67 000, Berlin 88 000 zu stellen haben. Doch mit der Lösung sind beide Seiten unzufrieden.
Brandenburg wehrt sich gegen Proporzbesetzungen: Es solle wohl, kritisiert Kühbacher, »nicht nach Qualität gehen, sondern danach, wo der Arsch zu Hause ist«.
Berlin hingegen muß überproportional viele Beamte unterbringen. In der aufgeblähten Senatsbürokratie stehen noch immer 125 000 Berliner in Lohn.
Der Streit um Geld und Beamte könnte leicht zu lösen sein, verkündet Berlins CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky, wenn die Hauptstadt endlich Regierungssitz wird: Das bringe nicht nur Wirtschaft und Steuereinnahmen in Schwung, sondern vermehre auch die Arbeitsplätze für Bürokraten.
Mit der Formel »Erst Umzug, dann Fusion« hat der starke Mann der Berliner CDU wohl schon einen neuen Termin für das Projekt in die Diskussion gebracht: den Sankt-Nimmerleins-Tag. Y
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__35b Brandenburg: Einzugsbereiche der Hauptstadt Berlin
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* Bei einer Pressekonferenz zur geplanten Fusion im Dezember 1992.