Lohn der Angst
Die Silvesterparty ist in vollem Gang: Die Sektkelche sind gefüllt, ein Mann klimpert am Klavier, seine Freundin beginnt, ihn halb kokett, halb zweifelnd anzusingen: »Will you still love me tomorrow?« Eine Frau - Ruth - tritt hinzu, umarmt die Sängerin: Olga. Und plötzlich ziehen die beiden alle Blicke auf sich. Blicke wie Dolche.
Mit wenig oder nur banalem Dialog und trotz einer konventionellen Party-Choreographie gelingt es Margarethe von Trotta in dieser Szene ihres neuen Films »Heller Wahn«, der auf den Berliner Filmfestspielen vorgestellt wurde, das wirre Beziehungsgeflecht der handelnden Personen bildhaft-sinnlich einzufangen - durch Augenkontakte und Gesten. Die Beteiligten an diesem Reigen aus Zuneigung, Eifersucht, Neid und Angst sind: Olgas Freund, ihr Ex-Mann, Ruths Ehemann, ihre Mutter und Freunde.
Nach ihrem großen, vielfach prämierten Film »Die bleierne Zeit«, in dem sie das Schicksal der Ensslin-Schwestern schilderte, hat die Trotta nun wieder einen Film über private Beziehungen gedreht - zwischen Männern und Frauen, vor allem zwischen Frauen. Angeregt von Christa Wolfs Essay über die Brentano-Freundin Karoline von Günderrode, analysiert die Regisseurin eine Frauenfreundschaft, die an männlicher Eifersucht zu zerbrechen droht.
Ein sehr parteiischer Film: Im Gruselkabinett menschlicher Schwächen bewegen sich bei der Trotta fast ausschließlich Männer. Sie sind, so ließe sich die Botschaft auf eine simple Form bringen, unfähig, eine Verbindung zwischen Frauen zu tolerieren, geschweige denn zu verstehen und zu begreifen, daß eine Verbindung zwischen Frauen etwas substantiell anderes bedeutet als zwischen Mann und Frau oder unter Männern. »Was gibt sie dir, was ich dir nicht geben könnte?« fragt Franz, Ruths Ehemann, verletzt. Die Bedrohung seiner Domäne durch einen Mann hätte ihn (weil sich die besser bekämpfen läßt) kaum so erschüttern können.
Olga, eine Dozentin, lernt im Urlaub in der Provence Ruth kennen, eine unsichere, verängstigte Frau, die malt, aber anscheinend keine eigenen Bilder; sie kopiert Werke alter Meister, und das nur in Schwarzweiß. Die beiden Frauen freunden sich an, und Ruth, sonst von einer extremen Angst vor Menschen besessen, lebt auf. Man faßt sogar den Plan, eine Ausstellung ihrer Bilder zu organisieren, denn wie sich im Laufe ihres Zusammenseins zeigt, malt sie sehr wohl Originäres - geradezu explodierend Farbiges wie phantastische Sonnen in fernen Galaxien, die sie bis dahin nur versteckt gehalten hat.
Die starke Annäherung der beiden Frauen weckt Fragen und Ängste in den S.189 beteiligten Männern, allen voran in Franz. Er ist »Friedensforscher« - aber offenkundig unfähig zu einer friedvollen Zweierbeziehung. Ruths Emanzipationsversuche beantwortet er mit anfangs subtiler, später unverhüllter Repression.
Auch Olga, die von ihrem Mann getrennt lebt, bleibt nicht unbehelligt vom Machismo: Der Ex-Mann macht ihr ständig Vorwürfe, daß sie sich zuwenig um ihn und um den gemeinsamen Sohn kümmere; der Freund - ein erfolgloser Musiker - verläßt sie, angeblich weil sie ihn »erdrückt«, wie er ihr in einer letzten Botschaft mitteilen läßt.
Auf den ersten Blick ist dies ein Film aus der Frühzeit des Feminismus: Die Rolle der Männer ist erbarmungswürdig, die Anklage gegen sie unerbittlich.
Aber die siebziger Jahre sind, natürlich, an den Filmemacherinnen nicht spurlos vorübergegangen. Bei der Trotta sind es alles mehr oder minder sanfte Männer, die wegen ihrer Wehleidigkeit und Ichbezogenheit entweder eine starke Frau nicht ertragen und sich aus dem Staube machen oder ihr äußerlich jede Freiheit lassen und doch, so insistierend wie beleidigt, auf die Priorität der eigenen Ansprüche pochen. Oder die - so in der jämmerlichsten dieser Männergestalten, Franz - eigene Ängste und Unsicherheiten in einem Unterdrückungsmechanismus sublimieren, der die Frau in Abhängigkeit und Unmündigkeit halten soll.
Wer, läßt sich fragen, hat hier eigentlich emanzipatorische Nachhilfe nötig? Ruth, die ihre Konflikte viel weniger verdrängt als der sanfte Franz, oder er mit seinen Anklammerungsängsten und seiner Trennungsphobie?
Peter Striebeck als Franz stellt glaubhaft dar, wie von solch einem Würstchen Bedrohung ausgehen kann - Angst, mag Margarethe von Trotta beim Psychotherapeuten Horst-Eberhard Richter gelesen haben, ist das entscheidende Motiv für männliches Unterdrückungsgehabe. Aber es scheint, als hielte die Regisseurin auf halbem Wege inne, als sei sie nicht daran interessiert, die Gründe dieser Ängste zu erfahren. Die Männer bleiben folglich eindimensional, nur blasse Folie für die Frauengestalten.
Vorzuwerfen wäre der Trotta, daß sie sich unterschiedliche Mühe mit ihren handelnden Personen gegeben hat, und diese Kritik läßt sich belegen mit der Art, wie sie die Frauencharaktere zeichnet - einfühlsam, stimmig.
Olga, die vermeintlich Stabile, und Ruth, die Schwache, Anlehnungsbedürftige, die an ihren eigenen Fähigkeiten zweifelt - Metaphern für die zwei Seiten einer Frau? Ruth wäre dann das personifizierte Bedürfnis, sich anzuschmiegen, Entscheidungen zu vertagen, Verantwortung abzuschieben, so wie Frauen es seit Jahrhunderten verinnerlicht haben; Olga wäre der fleischgewordene Wunsch, frei und selbstbestimmt zu leben. In einer Person vereint lägen beide Tendenzen im ewigen Kampf miteinander; in zwei Personen gespalten wirken sie als Gegensätze, die sich anziehen - das feminine und das maskuline Prinzip.
Schon in ihrem »Schwestern«-Film und in der »Bleiernen Zeit« hat Margarethe von Trotta Frauen mit gegensätzlichen Charakteren und die sich daraus ergebenden Spannungen dargestellt: Maria und Anna, die tüchtige Sekretärin und ihre labile Schwester, Juliane und Marianne, Töchter aus streng protestantischem Hause - die eine aufsässig, die andere lieb und angepaßt, bis sich dieses Verhältnis verkehrt.
Im »Hellen Wahn« erhofft sich die schwächere der beiden Frauen von der Freundin die Befreiung von ihren Ängsten. Es gelingt - aber nur in der Phantasie. In einem hellsichtigen Wahn am Schluß (oder ist es doch Wirklichkeit?) entledigt sie sich ihres Unterdrückers, indem sie ihn erschießt - ein filmischer Kunstgriff, der die psychische Lösung des Konflikts ermöglicht, obgleich tatsächlich das Ende offenbleibt.
Schön ist als Detail, jenseits formaler Kriterien, die Darstellung des unter Frauen angstfreien Umgangs mit körperlicher Nähe. Die Kamera von Michael Ballhaus verweilt oft bei diesen zufälligen oder gewollten Berührungen zwischen Olga und Ruth, als wolle sie die männliche Sicht verdeutlichen. Der Gegenschnitt auf Franz beweist, daß er diese Kontakte mit Unbehagen verfolgt, wohl auch lesbische Neigungen unterstellt.
Die Qualität vieler Trotta-Filme liegt auch in solchen, genau beobachteten Verhaltensweisen. In anderem Zusammenhang wird die Lust am Detail dagegen arg strapaziert: Die Ausstattung des Films, die Charakterisierung des Milieus, durch Menschen und Gegenstände, ist in den Einzelheiten sicher korrekt, wirkt in der Gesamtheit aber manieriert und künstlich. Die Dozentin war verheiratet mit einem Theaterregisseur und befreundet mit einem russischen Musiker. Ruths Ehemann ist nicht nur Wissenschaftler, sondern eben »Friedensforscher« und wird im Fernsehen interviewt, der Sohn sagt, seine Freundin müsse etwas von Nachrüstung verstehen. Die Einrichtungen - sei es eines Hauses in der Provence, sei es einer Altbauwohnung in Berlin - sind in ihrem erlesenen Wohngefühl schon so sehr zu Abziehbildern einer bestimmten Art von Jung-Großbürgertum geworden, daß sich die Schauspieler darin wie ausgestellt wirkend bewegen.
Hanna Schygulla erscheint am Anfang in ihrer Unnahbarkeit und Distanz wie geradewegs einem Fassbinder-Film entstiegen, doch dann findet sie sich immer intensiver in die Rolle hinein, bis ihr Gesicht am Ende, in einer langen starren Kameraeinstellung, tödliche Verwundung und Ratlosigkeit zeigt. Angela Winkler in der Rolle der leidenden, von Suizidgedanken heimgesuchten Ruth spielt mit durchgehendem Ernst - so sehr, daß der Zuschauer geradezu erlöst ist, wenn sich ihr Gesicht in einigen wenigen Momenten aufhellt.
Barbara von Ihering