ALKOHOL Lords der Fässer
Wenn ich warte vor dem Himmelstor, Steh ich bestimmt
nicht lang davor; Ich ruf Petrus heraus und sage sacht:
Hab dir ein Glas Guinness mitgebracht.
Irisches Volkslied
In Londons Royal Opera House sollte unlängst Placido Domingo seinem Sangeskünstlertum Genüge tun. Doch kurz vor seinem Auftritt mußte der Tenor absagen - doppelter Leistenbruch. Der Gewebeschwäche des Meisters verdankt Großbritannien möglicherweise eine der spektakulärsten Firmenübernahmen seiner Wirtschaftsgeschichte.
Enttäuscht über den entgangenen Kunstgenuß hatten sich viele der unter den Besuchern anwesenden Banker und Börsianer in die Crush Bar des Opernhauses verfügt, dort kam nach einigen Drinks das Gespräch aufs Geschäft: Ob er denn niemals dran gedacht habe, fragten sie den Manager Ernest Saunders, die Aktienmehrheit der »Distillers Company« zu erwerben.
Saunders ist Chef der berühmten anglo-irischen Brauerei Guinness, die den biertrinkenden Teil der Menschheit mit dem gleichnamigen schwarzen Bittergebräu beglückt: In 140 Ländern werden täglich acht Millionen Glas Guinness ausgeschenkt - das einzige irische Exportgut, katholische Missionare ausgenommen, das weltweit verbreitet ist.
Distillers hingegen ist die größte Brennerei schottischen Whiskys, in den Fässern der Firma reifen unter anderem Traditionsmarken wie »Black & White«, »Haig« und »Johnnie Walker«; daneben produziert die Firma Gin der Sorten »Tanqueray« und »Gordon's«.
Schon sechs Tage nach dem Plausch im Opernhaus machte Saunders den Distillers-Aktionären ein verlockendes Angebot. Fünf Pfund Sterling und 84,8 Pence in bar für jede Distillers-Aktie oder acht Guinness-Aktien und sieben Pfund obendrauf für fünf Distillers-Papiere - eine Mischarithmetik, die den Wert der Brennerei auf 2,2 Milliarden Pfund (7,4 Milliarden Mark) hochtreibt. »Rekord«, meldete die »Financial Times« enthusiastisch: »Noch nie wurde in Großbritannien so viel für eine Firma geboten.«
Mit dem aufsehenerregenden Übernahmeangebot geriet, wieder einmal, eine Familie in den Blickpunkt, deren Chronik mit dem Titel »Malz, Milliarden und Marotten« überschrieben sein könnte: Kaum ein Clan hat so viele brillante Geister und gleichzeitig so viele eigenartige
Naturen hervorgebracht wie die Guinness, in kaum einer Familie sind Scheidungen so häufig und die Abgänge durch Freitod so zahlreich. »Es ist«, sagte Winston Churchill, »eine der bemerkenswertesten Familien überhaupt.«
Seit nunmehr 227 Jahren braut die Guinness-Familie jenes »Bier voll schwarzem Mythos« (so der irische Dichter Patrick Kavanagh), dessen Genuß Novizen erst einmal den Gaumen in Falten legt. Der Welt bescherten sie damit ein »göttliches Getränk« (Queen Victoria), sich selbst Reichtum und gesellschaftliches Ansehen und den Iren wenigstens etwas, worauf sie stolz sein können: »Guinness«, spottete der irische Schriftsteller Brendan Behan, »das ist unser Beitrag zur Kultur.«
Ihren Aufstieg verdankt die exzentrische Sippe Arthur Guinness, der 1759 eine kleine Brauerei am St. James's Gate in Dublin übernahm. Wie die meisten anderen Brauer auch, nahm er Gerste und mälzte sie, braute sie mit Hopfen ein, vergor sie mit Hefe und ließ sie dann reifen. Sein Kunstgriff bestand darin, daß er einen Teil der Gerste röstete - was dem »schwarzen Wein von Irland« (so Charles Dickens, der die ehrenwerten Mitglieder des »Pickwick Club« dann und wann ein Glas Guinness leeren ließ) die dunkle Farbe und den typisch herben Geschmack verlieh.
Andererseits freilich verstärkt diese Braumethode die ohnehin harntreibende Wirkung des Bieres: »Tröpfelnd«, beschrieb der irische Wortmetz James Joyce (im »Ulysses") das ewige Leid des Guinness-Trinkers, »kam stille Botschaft von seiner Blase.«
Diese bekannte Eigenart des Guinness war es wohl auch, der die Zeitungsgeschichte einen ihrer schönsten Setzfehler verdankt. Als Königin Victoria anläßlich eines Dublin-Besuches öffentlich ein Glas Guinness leerte, stand anderntags in der »Irish Times": »Queen Victoria pisses over Carlisle Bridge« - es hätte natürlich, offenbar war ein republikanisch gesinnter Witzbold am Werk gewesen, »passes« heißen sollen.
Ebenso geschickt wie im Geschäft verfuhren die Guinness auch bei der Auswahl ihrer Ehepartner. Anfangs, als sie Geld brauchten, heirateten sie reich; später, als sie reich waren, heiratete die aufgrund notorischer Fruchtbarkeit (allein Arthur hatte 21 Kinder) weitverzweigte Familie zielstrebig in den Adel ein. Einige Mitglieder des Clans freilich konnten sich die Suche nach einem Sproß von blauem Blute sparen: Sie wurden wegen unermüdlichen Mäzenatentums in den Adelsstand ("Peerage") erhoben - und prompt von der englischen Oberschicht als »Beerage« verspottet.
Allein während der letzten 40 Jahre ergatterten die Guinness bei ihren Streifzügen durch die Adelshäuser dieser Welt einen Enkel des deutschen Kaisers, einige Schock Prinzessinnen vornehmlich ägyptischer, italienischer und deutscher Provenienz, dazu jede Menge Mitglieder des niederen Adels.
Derart haben »die Lords der Fässer« (James Joyce) den internationalen Adel penetriert, daß es bisweilen zu recht kuriosen familiären Konstellationen kommt. So heiratete etwa Patrick Guinness, ein Halbbruder des Prinzen Karim Aga Khan, seine eigene Stiefschwester Dolores Freiin von Fürstenberg, eine Verwandte der flotten Ira. Der Guinness-Sproß Tara Browne ehelichte eine (Fürstenberg-)Tochter aus erster Ehe der dritten Frau seines Vaters - wodurch dieser gleichzeitig sein Schwiegervater wurde. »Die Guinness-Familie«, so das britische Society-Blatt »Tatler« über Leben und Lieben des Iren-Clans, »ist eine Seifenoper mit unbegrenzter Laufzeit.«
Doch immer fanden sich in jeder Guinness-Generation einige Familienmitglieder, die ihre Energien vornehmlich dem Geschäft widmeten - wie etwa Rupert Guinness, der Earl of Iveagh, der das Familienvermögen innerhalb von 35 Jahren verzehnfachte.
Er war es beispielsweise, der 1929 die erste Werbekampagne für Guinness in Auftrag gab. Mutig entschied sich der Bierkönig (der am liebsten Milch trank) für eine damals revolutionäre Anzeigenform mit strenger Graphik und simplen Slogans wie etwa »Guinness is good for you« - sieben Jahre später mußte er, so sehr war die Nachfrage nach dem schwarzen Gebräu gestiegen, in London eine neue Brauerei bauen.
Bei seinen häufigen Inspektionstouren durch die Pubs fiel ihm auf, daß sich das Volk im Zustand fortgeschrittener Alkoholisierung häufig über Art und Urheberschaft vorzugsweise absurder Bestleistungen stritt. Seine Lordschaft empfand dies als »unwürdig« und ordnete die Herausgabe des »Guinness-Buch der Rekorde« an, das 1955 erstmals veröffentlicht und damals an alle Kneipen kostenlos verteilt wurde.
Zumindest »rekordverdächtig«, so die »Financial Times«, sei die »wirtschaftliche Entwicklung des Konzerns": Während der letzten vier Jahre haben sich die Gewinne auf 326 Millionen Mark verdoppelt.
Mit dem vielen Geld erwarb Guinness-Manager Saunders unter anderem die schottische Whisky-Brennerei Arthur Bell ("Bell's"). Ob er auch die Distillers Company bekommt, hängt vor allem davon ab, ob die staatliche Monopol-Kommission der Übernahme zustimmt. »Ich bin sicher, daß wir es schaffen werden«, so Saunders vorletzte Woche, demonstrativ ein Glas »Johnnie Walker« trinkend.
Merke: »Mit einem Glas in der Rechten wendet sich nichts zum Schlechten« (irische Lebensweisheit).
Wenn ich warte vor dem Himmelstor, Steh ich bestimmt nicht lang
davor; Ich ruf Petrus heraus und sage sacht: Hab dir ein Glas
Guinness mitgebracht. Irisches Volkslied