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Presse Los Jungs, packt sie

Englands Boulevardzeitungen, allen voran das rechte Massenblatt The Sun, heizen den Kriegspatriotismus an.
aus DER SPIEGEL 6/1991

Der irakische Schnauzbart Saddam Hussein tut gut daran, niemals nach Wapping zu kommen. In dem östlichen Stadtteil von London residiert das britische Massenblatt The Sun; das will den »Bastard von Bagdad« nicht einfach nur »hängen«, sondern »hoch und langsam« baumeln lassen.

The Sun - mit einer Auflage von über 3,8 Millionen erreicht sie fast ein Viertel der britischen Zeitungsleser - ist der journalistische Vor- und Tiefschlaghammer des erzkonservativen australischen Medienzaren Rupert Murdoch, 59; »Rupert's shit-sheet« (Klopapierblatt) heißt The Sun im Londoner Pressejargon.

In Normalzeiten lebt die Millionen-Postille von Sex-Storys und Schnüffelgeschichten aus dem Leben Prominenter von Elton John bis Lady Di. Als langjähriger Herold eines »Super-Thatcherismus« (Financial Times) führt das Blatt wüste Rundumschläge gegen Linke, Europafreunde, Gegner der Todesstrafe oder Homosexuelle. Seit am Golf Krieg herrscht, hat das Murdoch-Blatt aufgerüstet - militärisch und moralisch.

Die gesamte Londoner Boulevardpresse vom Daily Mirror über Today bis zum Star erfreut ihre Millionen von Lesern Tag für Tag mit Geschichten über britische »Heldenpiloten« und »Kriegsasse« oder feuert in Schlagzeilen die Soldaten im Kampfgebiet an: »Los Jungs, packt sie.«

Die Deutschen hingegen, vor deren »Viertem Reich« und aggressiver Unberechenbarkeit die britischen Blätter noch vor einem halben Jahr warnten, gelten nun als angstschlotternde »Feiglinge«, die statt zu kämpfen »nur ihr Geld zählen wollen«.

Doch keiner der Konkurrenten reicht an Murdochs Druckwerk heran in der hohen Kunst des »Jingoismus«; so heißt im Königreich seit dem russisch-türkischen Krieg von 1877/78 ein überdrehter Chauvinismus.

Zunächst konnte The Sun den Kriegsausbruch schier nicht abwarten. Als es endlich soweit war, grüßte das Blatt den ersten Bombenhagel mit einer die ganze Titelseite bedeckenden Nationalflagge, dem Union Jack.

Seither erinnern die täglichen Frontberichte an die gehechelten Wochenschautexte des Zweiten Weltkriegs: »Glory boys«, »heroische Wüstenratten«, »Beherrscher des Himmels« schlagen siegreich den »Madman« Saddam, den »Barbaren«, den »Schlächter«, der schon »auf den Knien« liegt: »Oh, what a lovely war«.

Tag für Tag erscheint das Lieblingsblatt der Londoner U-Bahn-Fahrgäste mit der britischen Flagge auf Seite eins. Die barbusigen Girls im Innenteil tragen nun statt Modefummel Marinemützen und Stahlhelm. The Sun ist, wie sie täglich trompetet, die »Zeitung, die unseren Helden den Rücken stärkt«.

Klar, daß da alle Weichmänner Saures beziehen. Pazifisten, in Anspielung auf die Hitler-Beschwichtiger von München 1938 als »Appeasement-Brigade« denunziert, will die Sun in Internierungslager stecken; den kriegsfeindlichen Labour-Abgeordneten Tony Benn gar in eine »Klapsmühle«.

Weil die Franzosen am Golf nicht gleich hemmungslos mitbombten, verlachte die Zeitung sie als »rückgratlose Froschfresser« und fragte ihre Leser: »Was ist schlimmer als ein französischer Feind?« Antwort: »Ein französischer Freund.« Das knauserige »Deutschland über alles« beschimpften die Sun-Kommentatoren als Staat, der »seine Freunde betrügt«.

Wie schon im Falkland-Krieg gegen Argentinien 1982 scheinen die chauvinistischen Orgien der Masse der Briten zuzusagen - The Sun hat die Tagesauflage seit Ausbruch des Golfkrieges um 40 000 bis 50 000 gesteigert. Kenner der Briten-Mentalität deuten die Faszination am Kriegführen historisch: Seit Wilhelm der Eroberer 1066 ins Inselreich einfiel, haben die Briten nie mehr eine Invasion erlebt. In zwei Weltkriegen standen sie auf der Siegerseite.

Im Falkland-Krieg hatte The Sun Maggie Thatcher zur Nationalheldin hochgejubelt; jetzt pries das Blatt ihren Nachfolger John Major, der wegen einer Unfallverletzung nie Uniformen getragen hat: Der blasse Brillenträger sei »supercool«, »ein Mann aus Stahl«.

Selbst ein Lieblingsfeind der Sun, Labour-Führer Neil Kinnock, wird neuerdings pfleglich behandelt. Der Sozialdemokrat hat die Opposition auf Kriegskurs gesteuert und Blut für künftige Kriegsverletzte gespendet. Sozi-Blut in Heldenadern - den Frevel hätte die rechte Sun zu Normalzeiten kaum geduldet.

Um die Stimmung der kämpfenden Truppe zu heben, vermittelt ein vom Blatt ins Leben gerufener »The Sun's Lonely Hearts Club« Soldatenbräute an einsame Kämpfer. Daß die patriotischen Damen zwischen 16 und 50 Jahren - angeblich melden sie sich zu Tausenden - neben Haarfarbe und Hobbys auch ihre Oberweiten an die Front melden müssen, hat die Anglikanische Staatskirche befremdet: »Völlig unangebracht«, kritisierten die Geistlichen.

Kein Verständnis haben die journalistischen Liebes-Makler für Soldatenfrauen, die durch Seitensprünge die Kampfmoral der Truppe untergraben. Als ein Soldat in einem Brief an die Kummertante der Sun barmte, seine Frau könnte während seines bevorstehenden Einsatzes am Golf fremdgehen, erklärte die Dame ihn für kriegsuntauglich und kommandierte ihn zum Einsatz an die Heimatfront: »In einem solchen Zustand kann Ihre Frau Sie nicht ziehen lassen.« o

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