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PRIESTER / BERUFSWECHSEL Lose Sitten

aus DER SPIEGEL 14/1971

Jeder Priester, der seinen Beruf aufgibt, bleibt für die Kirche zeit seines Lebens ein Katholik zweiten Ranges -- auch dann, wenn der Papst und sein Bischof ihn in Ehren entlassen haben.

Das geht aus einem Erlaß hervor, den die Kongregation für die Glaubenslehre (früher: Heiliges Offizium) allen katholischen Bischöfen und Ordensoberen zugestellt hat und der streng geheimgehalten werden sollte. Absender ist der jugoslawische Kurienkardinal Franjo Seper, der den Italiener Alfredo Ottaviani als obersten Glaubens- und Sittenwächter des Vatikans abgelöst hat.

Das geheime Dokument wurde jüngst erst in Holland, dann in Deutschland publik. Es löste unter Priestern und Ex-Priestern einen Proteststurm aus wie seit langem kein anderes Schriftstück des Heiligen Stuhls.

Der Erlaß »atmet einen Geist, der mit Jesus von Nazareth nichts mehr zu tun hat«, erklärte der Saarbrückener katholische Theologieprofessor Karl -- Heinz Ohlig öffentlich. »Auf dem geheimen Verordnungsweg« werde, wie die »Arbeitsgemeinschaft Priester ohne Amt« -- eine Vereinigung ehemaliger Geistlicher -- monierte, »eine Praxis verschärft, die gegen Menschenwürde und Menschenrechte verstößt«. Und die katholischen Dekane Frankfurts schrieben ihrem Bischof nach Limburg: »Angesichts eines solchen Dokuments wird es immer weniger verantwortbar, jungen Leuten bei der Berufswahl zur Vorbereitung auf den Priesterberuf zu raten.«

Das katholische Fußvolk freilich wurde verwirrt. Denn während beispielsweise der »Freckenhorster Kreis«, eine Gemeinschaft progressiver Priester im Bistum Münster, den »Rückschlag gegenüber der in Deutschland sich anbahnenden Praxis« bedauerte, sagte der Münsteraner Generalvikar Reinhard Lettmann fast das Gegenteil: Mit den neuen römischen Richtlinien seien »wesentliche Wünsche der deutschen Bistümer verwirklicht« worden.

Zahlreiche Priester hatten gehofft. daß der Vatikan die aus dem Jahre 1964 stammenden Vorschriften über die Rückstufung von Priestern in den sogenannten Laienstand lockern würde. Und einige Optimisten hatten sogar darauf spekuliert, daß vielleicht heiratenden Priestern sogar erlaubt würde, im Amt zu bleiben.

Denn die katholische Kirche verliert so viele Priester, daß auch nach Ansicht von Bischöfen, beispielsweise den holländischen, die gesetzliche Vorschrift des Zölibats -- der Ehelosigkeit --nicht mehr zu halten ist. Zwar ist der Vatikan bemüht, die Zahl der Abtrünnigen geheimzuhalten. Doch dürften nach sorgfältigen Berechnungen und Schätzungen in den letzten acht Jahren etwa 25 000 Priester ihr Amt aufgegeben haben, meist aus Liebe zu einer Braut, nicht selten aber außerdem auch aus Unbehagen an der Mutter Kirche. Das bedeutet, daß etwa fünf Prozent des katholischen Klerus den Beruf gewechselt haben. Es gibt gegenwärtig fast so viele Abgänger aus der Priesterschaft wie Angehörige des Jesuitenordens.

Aber der Papst und seine Glaubenswächter haben aus den Verlustzahlen gegenteilige Schlußfolgerungen gezogen. Paul VI. und seine Umgebung leben in dem Irrglauben, sie könnten die »Fahnenflucht« aus dem Priesterheer (wie der Papst es nennt) durch Strenge verhindern. Statt den heiratsfreudigen Geistlichen entgegenzukommen, haben sie die rigorosen Bestimmungen über die Laisierung von Geistlichen bekräftigt und sogar verschärft.

Mit geradezu mittelalterlichen Methoden kann sich die Kirche künftig solcher Priester entledigen, die -- wie es einzelne in Holland bereits versucht haben heiraten und ihr Amt nicht aufgeben wollen. Sie können »wegen schlechten Lebenswandels« oder aus einem anderen gewichtigen Grund gegen ihren Willen und ohne Verfahren in den Laienstand zurückversetzt werden, während sie bislang wenigstens angehört werden mußten und gegen ihre Entfernung Rechtsmittel ein legen konnten. Nach amtlicher Ansicht der Glaubens-Kongregation handelt die Kirche so aus »Barmherzigkeit, damit er (der betroffene Priester) nicht in die Gefahr der ewigen Verdammnis gerät«. Der Theologieprofessor Ohlig sieht es anders: »Mit dieser absoluten Kündbarkeit verliert der Priester jede soziale und rechtliche Sicherung:

Aber auch Priester, die mit kirchlicher Erlaubnis (Dispens) ihr Amt aufgeben wollen, werden behandelt, als hätten sie gegen Glauben und Sitten verstoßen.

Der einzige Fortschritt (der von Generalvikar Lettmann und anderen Oberen denn auch hervorgehoben wurde) besteht gegenüber der bisherigen Regelung darin, daß die Prozedur beschleunigt wird. In der Vergangenheit mußten Ex-Priester auf die Dispens mitunter vier oder sogar sechs Jahre warten. Durchschnittlich vergingen zehn bis zwölf Monate. Über die Gründe hatte sich Monsignore Line Lanciotti, der in der Glaubens-Kongregation die Dispens-Abteilung leitet, freimütig geäußert: »Es gibt einige Verfahren, die wir in der Kongregation verzögern oder lange dauern lassen. weil es sich um Individuen handelt, die viel Propaganda und viel Lärm gegen den Zölibat gemacht haben. Da sagen wir uns: Wenn du so gegen die Kirche handelst, dann werden wir dich hinhalten, bis du dich fängst, etwas demütiger und bescheidener wirst.«

Gegenwärtig vergehen zwischen Antrag und Dispens noch drei bis sechs Monate. Aber während dieser verkürzten Fristen soll auch künftig, wie Kardinal Seper den Bischöfen und Ordensoberen präzise vorschrieb, die Intimsphäre des berufsmüden und zumeist heiratsfreudigen Priesters so intensiv wie möglich erforscht werden.

Wie Paul VI. selber (in seiner 1967 veröffentlichten Zölibats-Enzyklika) dem »sehr geringen Prozentsatz« der ausscheidenden Geistlichen die »große Zahl seelisch gesunder und würdiger Priester« gegenüberstellte, so gehen auch die päpstlichen Glaubens- und Sittenwächter davon aus, daß der Wunsch nach Ausscheiden aus dem Priesteramt häufig nur mit einem körperlichen, geistigen oder seelischen Defekt zu erklären ist. Lanciotti: »Die meisten Fälle, wenigstens 90 Prozent, sind ... entweder krank oder zum Priestertum gezwungen worden.« Und: »Manche dieser Leute sind Kinder von Alkoholikern, und der Sohn des Alkoholikers mag erbliche Belastungen haben, die gewiß sein Priestertum beeinflussen.«

Amtlich vorgeschrieben ist, sobald ein Priester das »demütige Bittgesuch« um Laisierung eingereicht hat, eine genaue Untersuchung, angefangen von »Zeit und Ort der Geburt« über »familiäre Verhältnisse, aus denen der Antragsteller hervorgegangen ist, sittliche Bildung« und Studiengang bis hin zu »Defekten":

»Zum Beispiel Krankheiten, fehlende physische oder psychische Reife, Versagen im sechsten Gebot zur Zeit der Ausbildung im Seminar oder in einem Ordensinstitut, der Einfluß seitens der Familie, Fehler der Oberen ... Versagen bei der Anpassung an den Heiligen Dienst, Ängste und Krisen im geistlichen Leben und im Glauben selbst, Irrtümer hinsichtlich des Zölibats und des Priestertums, lose Sitten und anderes mehr«.

Hierüber sollen auch Zeugen befragt werden ("Zum Beispiel Eltern, Brüder und Schwestern, Vorgesetzte und Mitschüler ... und Mitbrüder im Dienst, soweit dies ratsam ist"), und es wird sogar nahegelegt, »medizinische, psychologische und psychiatrische Fachgutachten« heranzuziehen. Alle Zeugen und Gutachter sollten möglichst vereidigt, auf jeden Fall aber zum Schweigen verpflichtet werden.

Je fündiger die Glaubenswächter auf der Suche nach einem Defekt werden. um so eher sind sie geneigt, Dispens zu erteilen und damit aus ihrer Sicht Gnade vor Recht ergehen zu lassen.

Die Dispens wird aber nur unter Auflagen gewährt, die den ehemaligen Priester gegenüber anderen Katholiken benachteiligen. Grundsätzlich soll er »von den Orten fernbleiben, wo sein priesterlicher Stand bekannt ist«, also den Wohnort wechseln. Von Fall zu Fall hat der zuständige Bischof zu entscheiden. ob über die kirchliche Trauung »Stillschweigen bewahrt wird oder ob sie, bei entsprechender Vorsicht, den Verwandten des Antragstellers, Freunden und Arbeitgebern mitgeteilt werden« kann.

Und jedem Ex-Priester wird fast jeder kirchliche Dienst versagt: jede priesterliche Funktion (ausgenommen lediglich die Absolution eines Gläubigen bei Todesgefahr), das Mitwirken bei jeder kirchlichen Feier, etwa als Meßdiener (zumindest dort, wo ihr früherer Beruf bekannt ist), und jede Predigt. Während alle anderen Katholiken so oft wie möglich den Priestern zur Hand gehen sollen, werden ehemalige Geistliche davon lebenslänglich ausgeschlossen.

Besonders beunruhigt deutsche Priester und ihre ehemaligen Berufskollegen, daß ausgeschiedene Geistliche auch als Religionslehrer nur mit Sondererlaubnis des zuständigen Bischofs amtieren dürfen. Nicht wenige Ex-Priester sind nämlich in den Staatsdienst übergewechselt und erteilen Religionsunterricht. Ob diese Möglichkeit auch künftig besteht, liegt im Ermessen der Bischöfe. Sie allein befinden darüber, ob sie (so die Vatikan-Vorschrift) nach ihrem »klugen Ermessen« ausnahmsweise ehemalige Priester als Religionslehrer zulassen wollen: Dann geben sie ihnen wieder die »Missio canonica«, die kirchliche Lehrerlaubnis. die ihnen bei der Laisierung zunächst automatisch entzogen worden ist

In welchem Umfang die deutschen Bischöfe von ihrem Recht Gebrauch machen, die römischen Regeln im Einzelfall aufzuheben, steht dahin.

Verfahren sie allerdings so streng. wie Papst Paul VI. und Kardinal Seper es wünschen, so riskieren sie, daß Ex-Priester in immer größerer Zahl auf die kirchliche Dispens verzichten. Schon heute entscheiden sich etwa 40 Prozent der ausscheidenden Geistlichen (in der Bundesrepublik etwa 20 Prozent) für diesen formlosen Abgang Und wer sich an die Formen hält, tut es -- laut Ex-Priester Friedhelm Luthe, der eine Doktorarbeit über Ex-Priester geschrieben hat -- häufig nur um des häuslichen Friedens willen: »Dispensgesuch und kirchliche Heirat sind oft nur ein Zugeständnis an die Frau, an die Familie etc.«

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