Losungswort: »Jesi li te Ante?«
Zuerst meldeten die Erpresser sich schriftlich: Dem Berliner Gastwirt Ante Omrcen, der im »Park-Grill« am Teltower Damm Slibowitz und Cevapcici feilhält, teilten Unbekannte mit, er tue »zuwenig für den kroatischen Befreiungskampf« und habe »deshalb 80 000 Mark zu zahlen«.
Einzelheiten folgten telephonisch: Eine anonyme Stimme gab Omrcen wenig später die Order, anderntags mit der PanAm-Maschine um 11.25 Uhr nach Frankfurt zu fliegen. Erkennungszeichen für die Geldübergabe: je eine »Sportske novosti«, die jugoslawische Sportzeitung.
Während des Gesprächs mit dem kurz angebundenen Anrufer ("Frag nicht so viel, dir kann der Kopf weh tun") lief ein Tonbandgerät mit: Der zahlungsunwillige Omrcen hatte sich nach dem ersten Kontakt mit den Erpressern der Polizei anvertraut.
Berlins Staatsschützer und Experten des Bundeskriminalamtes (BKA) überredeten den Exil-Jugoslawen, den Lockvogel zu spielen und mit Geldattrappen nach Frankfurt zu fliegen. Das Risiko schien ihnen angemessen: Die Fahnder glaubten sich dem wohl mysteriösesten Zweig des organisierten Verbrechens in der Bundesrepublik auf der Spur, einer Art jugoslawischer Mafia.
Der Erpresserbrief, den Omrcen erhalten hatte, nämlich nannte als Absender den »Hrvatska Izvjestajna Sluzba«, einen »Kroatischen Informationsdienst«, abgekürzt »HIS« -- Initialen, die in der Exil-Szene seit Jahren für Terror und Mord stehen.
Nach den Erkenntnissen der rund 40 Kripo-Experten in der Godesberger BKA-Abteilung »ST 33« ("Bekämpfung jugoslawischer Gewalttäter mit politischer Motivation") sind seit 1976 Dutzende von »HIS«-Briefen in Westdeutschland versandt worden, großenteils waren die Erpresserbriefe in Recklinghausen abgestempelt. Etliche der Empfänger -- in den USA, in Kanada, der Schweiz und in der Bundesrepublik -- zahlten schweigend Beträge von 50 000 bis 80 000 Mark. Wer sich weigerte, riskierte sein Leben.
So starb 1978 der Exil-Kroate Krizan Brkic unter Revolverschüssen in Los Angeles, sein Landsmann Ante Cikoja verblutete in New York -- beide hatten sich von »HIS«-Briefen nicht beeindrucken lassen. In Chicago flog die Fabrik eines Dane Nicolic in die Luft, der ebenfalls Post von »HIS« aus Recklinghausen ignoriert hatte.
Spuren der Mörder verloren sich regelmäßig in Südamerika: Als Adresse für Geldsendungen nannten die Erpresserbriefe ein Postfach der Militärakademie von Paraguay in Asuncion ("Casilla de Correo 1511"). Wer sich dahinter verbirgt, war für die Fahnder nicht auszumachen.
Auf eine weitere Spur führte die Ermittler der Berliner Erpressungsversuch. Nachdem der Gastwirt Omrcen in Frankfurt die PanAm-Maschine verlassen und ein Taxi bestiegen hatte, eilte ein Mann auf den Wagen zu, klopfte mit dem serbokroatischen Ruf »Cekaj« ("Warte") an die Windschutzscheibe und ließ sich den Aktenkoffer aushändigen.
Sekunden später war das Fahrzeug von Kriminalbeamten umringt, die den Unbekannten und einen verdächtigen Begleiter festnahmen. Als die BKA-Ermittler bei der Ausweiskontrolle sahen, wer ihnen da in die Arme gelaufen war, verlor ein Kriminalhauptkommissar die Contenance. Mit dem Ruf »Ich S.57 hab''s geahnt, ich hab''s geahnt« führte er neben dem Taxenstand Luftsprünge auf.
Ertappt hatten die Fahnder zwei Schlüsselfiguren unter den rund 1400 kroatischen Extremisten, die, in der Bundesrepublik in acht Vereinigungen organisiert, »zum Teil auch unter Gewaltanwendung« (Bundesamt für Verfassungsschutz) gegen die Belgrader Regierung und für ein selbständiges Kroatien kämpfen:
* Der in Frankfurt festgenommene Damir Petric, 32, zählt zu jenen acht Exil-Kroaten, deren Auslieferung Jugoslawien 1978 im Austausch gegen vier in Zagreb verhaftete mutmaßliche westdeutsche Terroristen verlangt hatte, weil er »an Sprengstoffverbrechen und einer Flugzeugentführung beteiligt« gewesen sei;
* Josip Ledic, 30, ist Assistent des Kölner Kroatenführers Stjepan Bilandzic, der jahrelang Vorsitzender des in der Bundesrepublik verbotenen »Kroatischen Nationalen Widerstandes« ("HNOtpor") war.
Die Frankfurter Festnahmen schienen, im April letzten Jahres, den letzten Beweis dafür zu liefern, wer bei der weltweiten Mord- und Erpressungsserie unter dem Signum »HIS« Regie geführt hat: die politische Führung der jugoslawischen Exil-Opposition, der sich nationalkommunistische Anhänger des »Kroatischen Frühlings«, einer von Petric mitgetragenen Protestbewegung in den Jahren 1970 und 1971, ebenso zurechnen wie die antikommunistischen Nationalisten um den Ledic-Chef Bilandzic.
Doch die BKA-Fahnder hatten sich über ihren Fang zu früh gefreut. Der in Frankfurt festgenommene Petric parierte die Vorhaltungen von Polizei und Staatsanwälten so geschickt, daß der Ermittlungsrichter in Karlsruhe ihn nach wenigen Monaten wieder laufen ließ; Begleiter Ladic hatte nur 58 Tage in U-Haft verbringen müssen.
Petrics Erzählungen führten die Ermittler in ein schier undurchdringliches Dickicht von Exilanten-Intrigen und Geheimdienst-Rankünen. Einige Fahnder hielten schließlich alles für möglich -- sogar die Petric-Version, daß unter der Bezeichnung »HIS« drei verschiedene Organisationen operieren:
* kroatische Extremisten, die das Nach-Tito-Regime sprengen möchten, um an der Adria wieder einen autonomen Staat wie zu Hitlers Zeiten zu errichten, und die mit Erpressungen Waffenkäufe, Guerilla-Ausbildung und Kuriernetz finanzieren;
* eine Gruppe kroatischer Krimineller, die teils von Jugoslawien, teils vom Ruhrgebiet aus nach Mafia-Art »Schutzgelder« von reichen Landsleuten in aller Welt kassiert und den Zahlungsunwilligen gekaufte Killer ins Haus schickt;
* der Belgrader Geheimdienst »UDBA«, der Straftaten in der Bundesrepublik begehen lasse und »Falschspuren« lege, um damit »kroatische Freiheitskämpfer bei der Polizei zu diskreditieren«.
Der ertappte Petric, selbstredend, sieht sich als UDBA-Opfer. »Ich bin nicht Kassierer der HIS«, gab er den Vernehmern zu Protokoll. Und: »HIS ist ein Unternehmen der UDBA.«
Schutzbehauptung oder nicht -- die Staatsanwaltschaft vermochte die Version Petrics bislang nicht schlüssig zu widerlegen. Die Strafverfolger konnten aber auch nicht hinreichend erhärten, was ihnen eher schon möglich scheint: daß Petric Werkzeug einer mächtigen Jugo-Mafia ist, hinter deren politischer Fassade sich ordinäre Gangster verbergen, oder aber daß er selber als Chef extremistischer Erpresser fungiert.
In den polizeilichen Vernehmungen gab sich der Linguistik-Student als Opfer eines großen Unbekannten aus; der habe ihm eines Tages einen weißen Umschlag in seinen Hausbriefkasten in Bochum-Querenburg geworfen oder werfen lassen. Das Kuvert habe eine brisante Botschaft enthalten: Die »Operativ-Abteilung« der »Kroatischen Befreiungskräfte« ("Führung für Europa -- Paris") beauftragte Petric, im Namen von »HIS« mit der »Übernahme der Geldbeträge« des Berliner Gastwirts Omrcen.
Ein paar Stunden nachdem er angeblich den »HIS«-Brief aus seinem Briefkasten geholt hatte, will Petric, wie täglich, im Wald hinter dem Bochumer Unicenter spazierengegangen sein. Da traf er nach eigenem Bekunden einen Mann mit »Perücke, mittellang und gelbgrau« (Vernehmungsprotokoll), und Sonnenbrille, der fünf Porträtphotos in Postkartengröße aus der Tasche zog.
Auf serbokroatisch habe der Perückenträger verlangt, Petric solle sich »übermorgen, am Mittwoch, nach Frankfurt« begeben und von einer der Personen auf den Photos eine Plastik-Tüte mit Geld in Empfang nehmen. Das Losungswort laute: »Jesi li te Ante?« -- »Bist du der Anton?«
Nach dem Treffen im Wald, behauptet Petric, habe er sogleich Freunden berichtet, daß er sich bedroht fühle. Er habe in dem Perückenträger nämlich einen Abgesandten des Belgrader Geheimdienstes vermutet, der ihm nach dem Leben trachte. Voller Angst sei er daher nach Köln ins Kroaten-Cafe »Okrugli« gefahren, um sich gleichgesinnten Landsleuten anzuvertrauen.
Zufall oder nicht: Vor dem Lokal habe er (den später gemeinsam mit ihm in Frankfurt festgenommenen) Josip Ledic getroffen, den er noch aus seinen Jugendjahren in Split kenne. Ausgerechnet Ledic wiederum hatte -- so klein ist die Welt -- ein paar Wochen zuvor in Berlin die Bekanntschaft des Gastwirts Omrcen gemacht: Mal bei der Tauffeier eines Ledic-Neffen im »Balkan-Eck«, mal bei einem Slibowitz-Plausch in Omrcens »Park-Grill« war es ihm gelungen, Einblicke in Eigenarten und Einkommensverhältnisse des Gastronomen zu gewinnen.
Nun, da es ums Abkassieren bei Omrcen ging, habe sich Ledic kameradschaftlicherweise S.59 spontan als Begleiter angeboten. Petric: »Er hat mich beruhigt, indem er sagte, daß eine ganze Menge Kölner solche Briefe bekommen hätten und daß ich der erste wäre, der sich so darüber aufregen würde.«
Am nächsten Morgen hätten ihn Josip Ledic sowie ein Unbekannter mit einem hellen »Audi« zur Fahrt nach Frankfurt erwartet. Der dritte Mann habe sich »Willy« nennen lassen und mit französischem Akzent gesprochen.
Im Frankfurter Flughafen vertrieb sich Petric die Wartezeit bis zur Ankunft der PanAm-Maschine aus Berlin im Porno-Kino und mit Spaziergängen in der Halle. Ledic habe ihn dabei kontrolliert und darauf geachtet, bei dem bevorstehenden Treffen mit seinem Berliner Bekannten außer Sichtweite zu sein.
Seit der Verhaftung von Petric und Ledic -- einen »Willy« hatte die Polizei nicht entdeckt -- mühen sich die Ermittler, die Frage zu beantworten, ob der Bochumer Linguistik-Student nun Bandenchef, Gangsterwerkzeug oder, wie er selber beteuert, UDBA-Opfer ist: kriminalistische Schwerarbeit in einem Milieu, in dem sich jugoslawische Geheimdienstler bisweilen als Dissidenten tarnen, in dem kroatische Terroristen auch schon mal Geheimdienst-Attentate vortäuschen und wo Desinformation zum Handwerk gehört.
Ob der schillernde Balkanese nun erpreßter Erpresser oder Erpresserchef ist, in seinem kurvenreichen Lebenslauf fanden die Ermittler Anhaltspunkte für jede dieser Theorien -- und noch für etliche mehr.
Einiges deutet darauf hin, daß Petric in die Fänge einer verzweigten Gastarbeiter-Gang geraten ist. Kontakte zur kriminellen Szene hatte er schon einst in Jugoslawien -- Anfang der siebziger Jahre, nachdem er als Vize-Vorsitzender des Kroatischen Studentenbundes wegen einer Rede gegen die serbische Hegemonie zu dreieinhalb Jahren strengem Kerker verurteilt, bis zur Rechtskräftigkeit des Urteils aber wieder freigelassen worden war.
In dieser Phase, als er weder sein Jura-Studium fortsetzen noch arbeiten durfte, lebte Petric vom Schwarzhandel mit Kinokarten. »Freunde« aus der Unterwelt, sagt er, hätten ihm damals einen falschen Paß und ein »schnelles Boot« für die Flucht aus Jugoslawien angeboten. Fortan hatte er nach eigenem Bekunden »Angst, daß ich den Kriminellen für diese Hilfe eines Tages den Gegenpreis zahlen muß«.
Mehr noch freilich, sagt er, fürchte er den jugoslawischen Geheimdienst. Petric zweifelt nicht daran, daß er auf einer Todesliste der UDBA steht und daß ein Verkehrsunfall, bei dem seine vierjährige Tochter in Split Hirnschäden davontrug, nicht zufällig geschah.
Von der UDBA redet Petric auch, wenn er sein Hemd aufknöpft und eine daumentiefe Fleischwunde an der linken Brust vorzeigt. Am 10. November 1975, als er auf dem Weg zur Arbeit war, sei ihm ein 20jähriger Landsmann heimlich gefolgt und habe mit einem Messer auf ihn eingestochen -- ein Attentatsversuch, von dem die Staatsschützer in den Jugoslawien-Abteilungen des BKA bislang gar nichts wußten. Petric: »Ja, die Polizei weiß von manchem nichts.«
Mit dem Auftraggeber des Messer-Attentats, laut Petric ein ihm namentlich bekannter Mann in Split, will er eines Tages selber abrechnen, »ohne Presse und Polizei«. Mit dem Täter haben andere längst kurzen Prozeß gemacht: Der ist wenige Wochen nach der Tat, wie Petric wissen will, nach Streitigkeiten »in einer dunklen billigen Kneipe« in Barcelona »von einem Kroaten geschlachtet worden«.
Was immer an solchen Storys stimmt -- belegt ist, daß Petrics Name schon vor Jahren in Verbindung mit der »HIS« gebracht wurde, unter deren Etikett die Erpressungsserie begangen wurde. Das Wort »Kroatischer Informationsdienst« (HIS) steht auf einem 1977 verbreiteten mehrseitigen Druckwerk über »Terror an Kroaten in der BRD«, dessen Impressum Petric als »verantwortlich« ausweist.
Petric also in Wahrheit ein Hintermann der HIS? Er selber hat eine Erklärung parat, die auch die Vorgänge des Jahres 1977 in Nebel hüllt.
Nachdem die Karlsruher Bundesanwaltschaft wegen der HIS-Flugschrift, die deutsche Polizisten der Zusammenarbeit mit UDBA-Killern zieh, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte, war Petric sofort auf Distanz gegangen: Das Manuskript sei auf dem Weg von seinem Schreibtisch zur Druckerei um scharfe Passagen ergänzt worden, auch die Unterschrift »Kroatischer Informationsdienst« stamme von einem ihm unbekannten Autor.
Nicht abstreiten kann Petric indes, in jenen Jahren den Aufbau eines kroatischen Dokumentationszentrums mit dem Arbeitstitel »HIS« geplant und darüber in Paris mit einem prominenten Exil-Führer verhandelt zu haben: mit Bruno Busic, der im »Kroatischen Nationalrat«, einer Art Exilregierung, als »Chef des Amtes für Propaganda« fungierte.
Doch über Pläne und erste Geldzahlungen gedieh dieses Vorhaben nicht hinaus. Busic wurde am 16. Oktober 1978 in Paris ermordet. Für den »Kroatischen Nationalrat« war klar, wer den Täter gedungen hatte: »die verruchte UDBA«, wie es in einer Todesanzeige hieß.
Gegner hatte der ermordete Busic bisweilen allerdings auch in den eigenen Reihen gehabt. Insbesondere Damir Petric -- der nach Frankreich geflüchtet war, nachdem er von dem Belgrader Auslieferungsbegehren gehört hatte -- war auf den Propagandachef nicht immer gut zu sprechen gewesen.
Denn Busic hatte zeitweise den Verdacht gestreut, der Bochumer BAFöG-Empfänger Petric habe Kroaten-Gelder veruntreut, die wohlhabende Landsleute in Übersee -- freiwillig? -an militante Exil-Verbände in Europa überwiesen hatten. Vorgesehen waren die Beträge, deren Unterschlagung Petric bestreitet, laut BKA für »Waffenkauf und Guerilla-Ausbildung«.
S.56Von Petric gefertigte Übersetzung des an ihn gerichteten"HIS«-Briefes.*S.57Im Mai 1978 in Bonn, gegen eine Auslieferung von Landsleuten anJugoslawien.*