MCNAMARA-AUSSCHUSS Luft raus
Ob und wann, wie und wo im Kriegsfall die Nato-Streitkräfte Atomwaffen einsetzen werden - dies mitzubestimmen ist das höchste militärpolitische Ziel der Bonner Bundesregierung.
Denn nur die Furcht Moskaus vor einem frühen Atom-Schlag gewährt nach Ansicht des westdeutschen Verteidigungsministers Kai-Uwe von Hassel den Bundesbürgern Sicherheit vor sowjetischen Angriffs-Gelüsten.
Und eben diese Bereitschaft Amerikas, einen Überfall aus dem Osten in Europa notfalls auch mit Atomwaffen abzuwehren, erscheint den Bonner Strategen immer zweifelhafter, seit die beiden Weltmächte einander gegenseitig mit Megatonnen-Bomben auslöschen können*.
Bonns einleuchtende Lösung in diesem Dilemma: ein deutscher Finger in der Nähe des Abzugs. Dann wäre den Russen, aber auch den Amerikanern ein früher atomarer Knall gewiß. Und deshalb ist es für die Deutschen so wichtig, aber auch so schwierig, ein atomares Mitspracherecht zu erhalten.
Jahrelang galten Bonns atomare Hoffnungen einer Geisterflotte - dem Projekt einer multilateralen Nato-Flotte von Frachtschiffen mit Atomraketen (MLF). Deutschlands atomare Zukunft schien auf dem Wasser zu liegen;
Allein, dem Fliegenden Holländer gleich lösten die Schemen der Atomschiffe sich in nichts auf, noch ehe gemischte Nato-Besatzungen die Anker lichten konnten. Der Plan verstaubt in historischen Archiven.
Statt ihren atomaren Endzielen näher zu kommen, wurde die Bundesrepublik immer weiter vom Drücker abgedrängt: Amerika und die Sowjet-Union begannen Verhandlungen für einen Vertrag über die Nichtweiterverbreitung (Nonproliferation) von Atomwaffen. Nicht genanntes, aber weltweit erkanntes Opfer der atomaren Diskriminierung: die Bundesrepublik.
In dieser Position des Abgedrängten erspähten Bonns Strategen eine Seitentür zum Vorhof atomarer Macht - den sogenannten McNamara-Ausschuß der Nato.
Das Gremium wurde auf Betreiben des amerikanischen Verteidigungsministers Robert McNamara während der Nato-Ratstagung im Dezember 1965 als Sonderausschuß des Atlantikpaktes zum Studium atomarer Fragen gegründet.
Es wurde in drei Arbeitsgruppen aufgeteilt, in denen die Verteidigungsminister oder deren persönliche Vertreter aus USA, England, Westdeutschland, Italien, Türkei, Griechenland, Belgien, Holland, Kanada und Dänemark darüber berieten:
- wie im Ernstfall die Mitgliedsregierungen mit Hilfe geheimer Konferenzschaltungen im Dauerkontakt stehen können (Arbeitsgruppe I);
- wer nach den Richtlinien der Mitgliedsregierungen befugt ist, an Entscheidungen über atomare Fragen des Bündnisses teilzunehmen (Arbeitsgruppe II);
- wie die atomare Planung der Nato in den Zeitläufen sich wandelnder strategischer Auffassungen den Sicherheitsbedürfnissen der Mitgliedsstaaten angepaßt werden kann (Arbeitsgruppe III).
Die Arbeitsgruppen I und II haben ihre vornehmlich technischen Aufgaben inzwischen gelöst. Die wichtigste Arbeitsgruppe III - so beschlossen es Ende September die Nato-Verteidigungsminister auf einer Tagung in Rom - soll bei der bevorstehenden Nato-Ministerratssitzung im Dezember in eine ständige, zur Bündnisstruktur gehörende Körperschaft der Nato umgewandelt
werden mit dem klingenden Namen: »Atomare Sonderberatungsgruppe«.
Diese Woche treffen sich die Vertreter der Verteidigungsminister - in den meisten Fällen die bei der Nato akkreditierten Botschafter - in Paris, um ein letztes Hindernis zu beseitigen: die Uneinigkeit über die Ausschuß-Besetzung.
In Rom hatte McNamara vorgeschlagen, das neue Gremium in einen inneren und einen äußeren Kreis zu teilen: Nur vier Länder sollten der inneren »Nuklearen Planungs-Gruppe« (NPG) zugehören - die USA, Großbritannien, Deutschland und Italien.
McNamara: »Die dort zur Sprache kommenden Probleme sind so ernst, daß vier schon viel zuviel sind.«
Den übrigen Nato-Staaten, die bisher im McNamara-Ausschuß saßen - die Türkei, Griechenland, Belgien, Holland, Kanada und Dänemark - müßten sich mit einem Sitz im Ausschuß-Plenum begnügen.
Sogleich legten sich die Türken quer. Sie bestanden auf sieben Mitgliedern des inneren Zirkel. Schließlich brachte England einen Kompromißvorschlag vor: Jeweils ein fünfter Mann solle von der Gruppe der Außenseiter am Tisch der exklusiven inneren Runde zugelassen werden.
Welche Lösung die Vertreter der Verteidigungsminister diese Woche in Paris auch immer akzeptieren werden -Bonns Militär-Diplomaten werden in jedem Fall dem inneren Kreis angehören. Und in dieser Runde hofft die Bundesregierung, die bisher noch immer unangetastete atomare Allmacht des US-Präsidenten zu unterhöhlen. Bonn will versuchen, dort durch Kategorisierung aller möglichen Konflikt-Situationen in Europa eine möglichst frühzeitige Auslösung des Atomwaffen-Einsatzes festzulegen.
Die Chancen, das Planziel zu erreichen, sind jedoch gering. Schon heute steht fest, daß der neue Nato-Ausschuß ein Tabaks-Kollegium bleiben wird, ohne Direkt-Schalter für Atomraketen. Nach dem Willen Amerikas soll das Gremium
- weder,die Gesamtstrategie des Bündnisses bearbeiten oder gar festlegen
- noch die Einsatzentscheidung des
US-Präsidenten für Atomwaffen auf
die Nato verlagern.
Im Gegenteil: Der Ausschuß, der ursprünglich ins Leben gerufen wurde, um den Nicht-Atomwaffenbesitzern unter den Nato-Mitgliedern, besonders den Deutschen, einen Hauch atomaren Selbstvertrauens zu bescheren, wird heute bereits von den Amerikanern in ihren Verhandlungen mit den Sowjets über einen Nonproliferation-Vertrag als Indiz dafür angeführt, daß Washington die Westdeutschen niemals an den atomaren Drücker kommen lassen will.
Harlan Cleveland, Amerikas Botschafter bei der Nato, hat es den Mitgliedern des Ständigen Nato-Rates unumwunden erklärt: Die Vollmachten des neuen Ausschusses würden zu keiner Zeit die atomaren Entscheidungen der Vereinigten Staaten präjudizieren können.
Einer der höchsten deutschen Nato -Diplomaten in Paris über die bevorstehende Bildung der »Nuklearen Planungs-Gruppe": »Da ist die Luft schon wieder 'raus.«
* Eine Megatonne = eine Million Tonnen herkömmlicher Sprengstoff.
Atom-Strategen von Hassel, McNamara: »Vier sind schon zu viele«