Polizei Lug und Trug
Alfred Emmerlich, 62, Rechtsexperte der Bonner SPD-Fraktion, wetterte über den Bundesrat, als hätte der einen Staatsstreich geplant: Was die Länderkammer beschlossen habe, sei der »Versuch, den Polizeistaat in der Demokratie zu etablieren«.
Geplant seien »Geheimermittlungen, Geheimverfahren, Geheimpolizisten, Geheimagenten«, erregte sich Emmerlich, alles »Kennzeichen des Spitzel- und des Überwachungsstaates«. Nicht milder urteilen Datenschützer aus Bund und Ländern. Nach einer Sondersitzung in Bonn erhoben sie »schwerwiegende Bedenken gegen die Ausweitung der polizeilichen Ermittlungsbefugnisse«.
Die Warnungen zielen auf einen Gesetzentwurf, der nur Gutes verheißt. Dem Titel nach ist er »zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität« gedacht.
In Wahrheit soll die Polizei mit nachrichtendienstlichen Methoden auf Gangsterjagd gehen dürfen (SPIEGEL 24/1990). Polizisten sollen die Erlaubnis bekommen, mit versteckten Kameras, Minisendern und Richtmikrofonen selbst Unverdächtige zu bespitzeln - wenn nur »aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist«, daß die arglosen Beschatteten »mit dem Täter in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt wird« (Entwurfstext).
Geplant sei eine »Kriminalitätsbekämpfung mit Lug und Trug«, klagt Emmerlich. Der Berliner Datenschützer Hansjürgen Garstka nennt den Gesetzentwurf eine »Mogelpackung«. Was angeblich dazu diene, Schwerkriminelle zu bekämpfen, lasse sich praktischerweise auch im Polizei-Alltag anwenden.
Denn zulässig sollen die Spitzel-Methoden bei allen »Straftaten von erheblicher Bedeutung« sein, eine »schwammige Formulierung« (Garstka), die im Gesetzestext ebensowenig definiert ist wie der Begriff »Organisierte Kriminalität«. Damit, warnt Garstka, werde »bei der Interpretation des Gesetzes der Willkür Tür und Tor geöffnet«.
Den Anschlag auf elementare Bürgerrechte haben allerdings nicht allein rechte Law-and-order-Politiker verübt, bislang waren die meisten Sozis auch dafür. Zwar basiert der Bundesratsbeschluß auf Anträgen des CSU-Freistaats Bayern und der baden-württembergischen CDU-Regierung. Aber Emmerlichs Parteifreunde in der Länderkammer haben, bis auf Bremen und Berlin, dem Vorhaben zugestimmt.
Nachdrücklich engagierte sich für die Legalisierung der Geheimdienstmittel ein früherer Berufskollege der Datenschützer: Hans Peter Bull, 53, von 1978 bis 1983 Bundesbeauftragter für den Datenschutz, jetzt sozialdemokratischer Innenminister in Schleswig-Holstein.
Der Minister findet seine Ex-Kollegen viel zu zimperlich. Eine gesetzliche Regelung, was die Polizei darf, argumentiert Bull, dürfe nicht »aus Sorge« verhindert werden, »wir könnten die Balance zwischen Effektivität und Rechtsstaatlichkeit, zwischen Liberalität und innerer Sicherheit verfehlen«.
Parteifreunde grübeln über Bulls Motive, ein Gesetz mitzutragen, das diese Balance eindeutig nicht hält. Jahrelang etwa stritt der damalige Datenschützer gegen die Rasterfahndung, weil beim elektronischen Abgleich verschiedener Datensammlungen immer auch Unschuldige in Verdacht geraten, ohne sich dagegen wehren zu können.
Jetzt hilft er mit, daß das einst zur Terroristenfahndung ersonnene Instrument für alle möglichen Delikte, nicht nur der organisierten Kriminalität, angewandt werden darf.
Einige SPD-Länder wie Hamburg und das Saarland, die Änderungen im Betäubungsmittelgesetz anstrebten, glaubten, sich auf die Schnüffelgesetze einlassen zu müssen, um die eigenen Konzepte zur Bekämpfung des Drogenhandels durchsetzen zu können. Deren Hilfe kam den unionsregierten Südstaaten gerade recht, gleich die ganze Strafprozeßordnung auf den Kopf zu stellen. Das CSU-Organ Bayernkurier zeigte sich begeistert über die »einheitliche Phalanx der Länder«.
Kritischen Sozialdemokraten dämmert jedoch inzwischen, daß sie sich überrumpeln ließen. SPD-Politiker räumen mittlerweile auch ein, daß der Abstimmungstermin im Bundesrat - der 11. Mai - sie beeinflußt hatte: Zwei Tage später fanden in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen Landtagswahlen statt, und da wollte niemand riskieren, der CDU das Wahlkampfargument zu liefern, die SPD zeige keinen Mumm bei der Bekämpfung des Drogenhandels.
Neuerdings sind die Sozialdemokraten wieder mutiger. Sie rechnen fest damit, daß die neue SPD-Mehrheit im Bundesrat den Vermittlungsausschuß anrufen wird - falls der Gesetzentwurf überhaupt den Bundestag passiert.
Dort könnten ihn zwar SPD und Grüne allein nicht aufhalten, wohl aber mit Hilfe des Unions-Koalitionspartners FDP. Der Radikalliberale Burkhard Hirsch hat schon angekündigt, daß das Gesetz nur »über meine Leiche« zustande komme.
Fatal wären allerdings die Folgen für den Fall, daß die Informationssammelei der Polizei nicht endlich geregelt wird. In seinem Volkszählungsurteil 1983 hatte das Bundesverfassungsgericht verlangt, daß Eingriffe in das Recht auf »informationelle Selbstbestimmung« gesetzlich bestimmt werden müssen.
Der »Übergangsbonus«, den Karlsruhe einräumte, läuft aber am Ende dieser Legislaturperiode ab. Nächstes Jahr könnten Gerichte die Abschaltung staatlicher Datenspeicher verlangen.