Lust und Laune
(Nr. 18/1972, Österreichs Kanzler gegen Österreichs Rundfunk-Chef)
Die mir in geradezu ehrender Quantität zugeschobenen Brüche der Menschenrechtskonvention, der Verfassung. des Betriebsräte-Gesetzes und einzelner Dienstverträge wurden von mir nicht begangen, sondern von einem Bezirksrichter aus dem schönen niederösterreichischen Ort Gänserndorf erfunden; freilich nicht in seiner amtlichen, sondern in parteipolitischer Eigenschaft. Wir stehen uns darob vor Gericht gegenüber. der »Herr Rat« nimmt die ihm ungewohnte Position des Beschuldigten ein. Was die Arbeitsgerichtsprozesse anlangt, die ich angeblich zu Hunderten führe und fast im gleichen Umfang verliere, darf ich Ihnen ebenfalls eine bessere Information geben:
Bei meinem 1967 erfolgten Eintritt in den österreichischen Rundfunk erfuhr ich die mir bis dahin aus keinem anderen Unternehmen geläufige Besonderheit, daß Dienstnehmer in Massen ihren Dienstherrn klagen, um zu höherer Einstufung und besserer Gage zu gelangen. Betrug der Jahresdurchschnitt einschlägiger Verfahren vor meinem Amtsantritt weit über hundert, so reduzierte ich diese Zahl sofort auf einen Bruchteil. Beispiel 1971: Insgesamt 22 Klagefälle vor Einigungsämtern und Arbeitsgerichten. Wieviel davon gewonnen oder verloren, läßt sich noch nicht sagen. Allgemein steht der »Prozeß-Saldo« von 1967 bis heute positiv für die Geschäftsführung. Dieser Umstand scheint allein schon das mir gewidmete Motto »Lieber zu viele falsche Entscheidungen als zu wenige richtige« in Frage zu stellen. Posten vergebe ich nicht »nach Lust und Laune«, sondern nach Eignung. Die Verwaltungsdirektion schwoll nicht von 116 auf 409 Mitarbeiter, sondern wurde überhaupt erst geschaffen, da früher jeder der drei Direktionsbereiche (Hörfunk, Fernsehen und Technik) mehr oder minder große Eigenadministrationen unterhielt. Der ORF kommt von allen deutschsprachigen Rundfunkanstalten mit vergleichbarem Programm- und Versorgungsauftrag mit dem kleinsten Personalstand aus: Drei Hörfunk-, zwei Fernsehprogramme, mehr als 600 Sender, die wir in der aufwendigen österreichischen Topographie selbst zu bauen und zu betreiben haben (im Ausland vielfach von der Post besorgt). Dafür beschäftigt der ORF rund 3000 Fixangestellte, das ZDF etwa mit einem Fernsehprogramm und von der Post betriebenen Sendern 3200.
Wien GERD BACHER
Österreichischer Rundfunk Generalintendant