Lustbetonte, liebe Stimmung
Daß Feministinnen »nur mal ordentlich durchgefickt gehören« -- dieses verbreitete Vorurteil wollte die amerikanische Feministin Jill Johnston mit einem »geplanten Coup« ad absurdum führen, auf offener Szene.
Vor Tausenden von Zuschauern, in der New Yorker Town Hall, stürzte sie sich auf ihren Geschlechtspartner -- eine Frau.
»Komm, Jill, benimm dich wie eine Dame«, erschrak Norman Mailer, Schriftsteller und Erzfeind der »Women"s Lib«-Bewegung, der als Diskussionsteilnehmer dabeisaß. Die Provokation, im April 1971, war perfekt. »Nicht jeden Tag kommt es vor«, schrieb Jill Johnston später in ihrem Buch »Lesbian Nation«, »daß der Feind einen ins eigene Lager holt, um sich die Wahrheit vorführen zu lassen.«
Jill Johnstons Wahrheit: »Es wird keine wirkliche politische Revolution geben, ehe nicht alle Frauen lesbisch sind.«
Lesbentum -- als Ziel und Waffe im Kampf der Geschlechter.
»Wie auf Wolken« seien sie durch die Ferientage geschwebt, begeisterten sich letzte Woche in Hamburg junge Frauen: Sie kamen zurück von der dänischen Insel Femo, wo sich etwa 150 Teilnehmerinnen aus mehreren Ländern zu einem Zeltlager getroffen hatten; ein Frauenfest in Kopenhagen krönte die Veranstaltung.
»Etwas ganz Erstaunliches« habe sich da auf der Insel abgespielt, erzählte eine: Die »stock-normale« 35jährige geschiedene Italienerin Anita beispielsweise sei noch sehr zurückhaltend, fast verklemmt angekommen; aber dann, nach vier, fünf Tagen, sei sie plötzlich zu einer Engländerin in den Schlafsack gekrochen, und von Stund an habe sie geschwärmt, wie »toll« das sei und wie glücklich sie das mache. »Die fiel von einer Euphorie in die andere.«
Lesbische Beziehungen als Erweiterung der weiblichen Selbsterfahrung, als neue Kommunikationsform zwischen Frauen.
Beide Episoden, die politische Kampfansage in New York und die sexuelle Begegnung der beiden Frauen auf dem dänischen Eiland, signalisieren eine Entwicklung, die in den letzten Monaten auch in der Bundesrepublik
* Aus dem Film »Emmanuelle«.
immer greifbarer wird: Häufiger als bisher entdecken und bekennen Frauen ihre Hinwendung zum eigenen Geschlecht -- weithin aus Motiven, die mit den herkömmlichen Vorstellungen über weibliche Homosexualität nichts gemein haben.
Lesbische Frauen -- das wären, wollte man solchen Auffassungen glauben, bizarre Abartige, die »vor nichts zurückschrecken«, triebhafte Ungeheuer, deren »Leidenschaft zu den grausamsten Konflikten führen kann: zu verlassenen Kindern und zerrissenen Ehen, zu aller Art Unglück, Tötung, Selbstmord, Mord« -- so zitierte »Bild« letzte Woche den jüngst verstorbenen Kriminologen Hans von Hentig aus seinem 1959 erschienenen Buch »Die Kriminalität der lesbischen Frau«.
Hochgespült wurden derlei hysterische Wahnvorstellungen über lesbische Frauen in den letzten Wochen durch die Berichterstattung über den Mordprozeß in Itzehoe. »Liebe und Haß der lesbischen Frauen« ("Bild") gaben tagelang Schlagzeilen für die Boulevard-Presse her -- wie Monstren aus einer fernen Fabelwelt saßen Marion Ihns, 35, und Judy Andersen, 25, da auf der Anklagebank. »Lesbische Verstrickung« ("Welt"), »Abgründe sexueller Verwirrung« ("Hamburger Abendblatt"), »Bei leiser Musik liebten wir uns ununterbrochen« (Münchner »Abendzeitung"). so oder ähnlich lautete das Vokabular der deutschen Presse.
»Die Liebe, die ein Mann nie begreift«, nannte es Mitte letzter Woche wiederum »Bild«. Schon wahr: Angstvoll jedenfalls und häufig auch aggressiv reagieren die meisten Männer auf alles, was mit lesbischer Liebe zu tun hat. »Ich werde euch«, wütete Norman Mailer in jener Debatte mit der Lesben-Führerin Jill Johnston, »meinen Schwanz hier auf den Tisch legen, damit ihr draufspucken könnt.«
Der Schwanz, in der Tat stellvertretend für eine männlich-brutale, auf ihn fixierte Sexualität, wurde gelegentlich zum Hilfsziel feministischer Angriffe. Und die Männer selbst, scheint es, sehen zuweilen in ihm ihre Übermacht verkörpert: Studenten an der Sorbonne, die eine Feministinnenversammlung sprengen wollten, riefen den Frauen als Schlachtruf zu: »Le pouvoir est au bout du phallus« -- »Die Macht ist in der Spitze des Phallus«, so die Übersetzung des abgewandelten Mao-Zitats.
Einer solchen, wie sie finden, verkrüppelten, auf Übermacht und auf Gewalt gegründeten Sexualität setzen nun Frauen als Alternative eine neue Zärtlichkeit entgegen -- zu verwirklichen allerdings vorerst nur in Beziehungen zwischen Frau und Frau.
»Gegenseitiges Mißtrauen und Rivalität« gelte es abzubauen, »die Zärtlichkeit füreinander wiederzufinden«, hieß es in einer Einladung des West-Berliner Frauenzentrums zur »Rock-Fete im Rock«, zum »Tanz in den Muttertag« im Mai dieses Jahres. Eine Mischung
von Eros und Politik.
1500 Frauen, dreimal so viele wie erwartet, kamen zu diesem ersten deutschen »Frauenfest« in der alten Mensa der Technischen Universität, und sie alle waren hernach auf seltsame Weise angeregt, »eine liebe Stimmung« hatte sich verbreitet, eine ungreifbare Atmosphäre von Zuneigung und erotisch gefärbter Solidarität (SPIEGEL 22/1974).
»Lustbetont« und ohne die üblichen Anlaufschwierigkeiten kamen dann auch beim Pfingsttreffen der »Homosexuellen Aktion Westberlin« (HAW) die rund 200 Teilnehmerinnen in Kontakt; in sogenannten Selbsterfahrungsgruppen wurde über Themen wie »Schwule Frauen im Berufsleben« oder »Beziehungen schwuler Frauen untereinander« diskutiert. --
Wenig später, bei einer Aktion der West-Berliner Frauengruppe »Brot und Rosen« im Zusammenhang mit dem Abtreibungsparagraphen 218, zeigte sich ein weiteres Mal jenes merkwürdige Zusammenströmen von Eros und Politik -- eine Stimmung, die sich dann fast· überwältigend breitmachte ausgerechnet in der puritanisch-kühlen Klosteratmosphäre der Evangelischen Akademie Loccum« wo im Juli dieses Jahres Feministinnen mit Vertreterinnen der etablierten Frauen-Organisationen zusammentrafen.
»Das hier läuft anders«, schrieb damals die Berichterstatterin der »Frankfurter Rundschau« -- keine Tagung wie jede andere, vielmehr: »Das Wunder geschieht ... 120 Frauen, 120 Gesichter, aber alle sagen »wir.
Wunder oder nicht -- verwundert entdecken Frauen jetzt allenthalben diese neue Möglichkeit der Selbstverwirklichung, und das keineswegs nur im engeren Umfeld der feministischen Bewegung.
Ganz generell bestätigt der Gießener Psychoanalytiker Horst E. Richter als »wichtige neue Entwicklung«, daß Frauen »viel häufiger als bisher angenommen« in lesbische Beziehungen eintreten und daß sie sich »nicht mehr angstvoll in eine solche Beziehung hineinschleichen«, sondern dazu stehen.
Häufiger als früher, so läßt sich in Lokalen und auf Partys beobachten, tanzen Frauen -- auch ohne Männernot -- miteinander oder geben zu erkennen, daß sie an Männerbekanntschaften nicht interessiert sind. Und wie einst in der Anfangsphase der Apo-Bewegung »wird man neuerdings als Frau oft von Frauen, die man gar nicht kennt, mit Umarmung begrüßt und mit Küssen verabschiedet« (so die Erfahrung einer Berlinerin).
Nicht immer führt, was da in der Luft liegt, zu homosexuellem Kontakt. Doch auch wenn es dazu kommt, unterscheidet sich die neue weibliche Homosexualität von dem, was sich die Gesellschaft bisher unter lesbischer Liebe vorzustellen vermochte -- schon deshalb, weil diese Vorstellungen, etwa in der Literatur und der Legende, fast ausschließlich von Männern stammen.
»Eindeutig«, so konstatierte unlängst das amerikanische Forscherpaar Eberhard und Phyllis Kronhausen, dienen die von Männern verfaßten Darstellungen lesbischer Liebe »dem Zweck, männliche Leser zu stimulieren": Besorgt um ihr Selbstwertgefühl« schildern Männer die Frauenliebe gleichsam als Liebe zweiter Wahl, als dürftigen Ersatz oder als anregendes Vorspiel für den wahren, den Hetero-Sex.
Fanny Hill schon, eine der betagten Primadonnen der erotischen Künste, »spürt die Funken der entbrennenden Natur« erstmalig im Bett »einer erfahrenen Buhlerin«. Und »Emmanuelle«, Titelfigur eines neuen französischen Edelporno, studiert auf Geheiß ihres
* Angeklagte Judy Andersen, Marion Ihns, Anwälte.
Gatten verschiedene Formen körperlicher Lust -- mit der lesbischen Liebe darf sie als Fingerübung anfangen.
Auch wenn neuerdings auf dem Theater oder im Film Lesbierinnen auftreten (und sie tun das spätestens seit Wedekinds »Lulu« und seit »Mädchen in Uniform«, 1931), dann zumeist als Projektionen männlicher Wünsche. Typisch ist die schöne stolze Pussy Galore in »Goldfinger"« die auf die denkbar einfachste Weise therapiert wird: James Bond springt zu ihr ins Heu und sie schmilzt hin.
In den anspruchsvolleren Filmen, etwa in Chabrols »Zwei Freundinnen« oder Bertoluccis »Der große Irrtum«, endet die Liebe der Frauen jeweils mit Mord und Totschlag. Die Botschaft der Männer ist unverkennbar: Lesbianismus, der nicht als Vorspiel oder Stimulans für den traditionellen Akt taugt, ist von Übel; Lesben, die sich vom Mann nicht zur Heterosexualität bekehren lassen, werden ein trauriges Ende nehmen. »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« -- so ein Lesben-Film von Rainer Werner Fassbinder -- schwemmen die Verirrte in den Ehehafen zurück.
Deshalb wohl tritt auch in der heilen Welt des dänischen Hart-Pornos nach lesbischem Tun gewöhnlich der männliche Erlöser auf: Die Funktion der Frauen schrumpft zu der von Altarkerzen, der Kerl als Tabernakel in der Mitte.
Gewiß hat auch die Kirche, die alles sogenannte Abartige in ihrer Geschlechtsfeindlichkeit unter Feuer und Schwert stellte, zur Ächtung lesbischer Liebe beigetragen. Aus Furcht vor dem Wiederaufleben heidnischer Kulte, die Gleichgeschlechtliches duldeten, wurden im vierten nachchristlichen Jahrhundert die Gedichte der Sappho von Lesbos -- die der Frauenliebe ihren Namen gab -- zum erstenmal verbrannt. Und später verfälschten dann ihre (männlichen) Übersetzer das Geschlecht der Gespielinnen -- sie wurden zu Jünglingen umgedreht.
Authentisches aus der Feder lesbischer Literatinnen ist rar geblieben. Lesbische oder bisexuelle Autorinnen wie Gertrude Stein, Colette oder Victoria Sackville-West haben ihre sexuellen Erfahrungen zumeist nicht zum zentralen literarischen Thema erhoben.
Freilich: Licht in das Dunkel lesbischer Beziehungen hat auch die moderne Wissenschaft bis heute nicht gebracht: Von 1263 wissenschaftlichen Arbeiten, die zwischen 1940 und 1968 in englischer Sprache zum Thema Homosexualität erschienen sind, befassen sich nur etwa hundert mit der weiblichen Variante.
Dabei wird die ganze Wahrheit über Verhaltensweisen und Erlebniswelt lesbischer Frauen ohnehin fürs erste verschlossen bleiben. Durch Umfragen und Erhebungen zu erfassen sind immer nur die Bekennerinnen, die über Lesben-Bars oder Homosex-Organisationen Erreichbaren. Zwangsläufig unbefragt bleiben die Stillen im Lande: »Die sozial lebensfähigen Repräsentantinnen der Lesbierinnen«, so umschrieb es der West-Berliner Gynäkologe Helmut Kellerhoff, »sind unsichtbar, weil integriert.
Von der Liste der
Krankheiten gestrichen.
Fest steht noch nicht einmal, wie viele Frauen eigentlich lesbisch sind und in welchem Maße: Jede vierte Frau von 30 ist sich nach Kinsey bewußt, daß sie schon einmal mit sexueller Erregung auf eine andere Frau reagiert hat. Eindeutig lesbisch (in dem Sinne, daß sie eine ausgeprägte Vorliebe für das eigene Geschlecht hegt) ist wahrscheinlich eine von 25 Frauen -- in der Bundesrepublik immerhin eine Minderheit von einer Million.
Doch auch warum sie anders als die anderen sind, konnte von der Wissenschaft bislang nicht eindeutig geklärt werden. Daß sie so geboren sind, ist die eine Hypothese, daß sie so geworden sind durch eine leidvolle« bisweilen auch lustvolle Lebensgeschichte, die andere Spekulation. Übereinstimmung herrscht darüber, daß sowohl heterosexuelle wie homosexuelle Tendenzen in jedem Menschen angelegt sind.
So gelang es dem Ost-Berliner Endokrinologie-Professorr Günter Dörner in einigen tausend Tierversuchen, Homosexualität durch vorgeburtliche Eingriffe in den Hormonhaushalt praktisch nach Belieben auszulösen und zu beeinflussen. Den Ursprungsort gleichgeschlechtlicher Neigungen fand Dörner in bestimmten Partien des Zwischenhirns. Ob seine Ergebnisse auf den Menschen zu übertragen sind, steht freilich noch dahin.
Psychologen und Soziologen halten demgegenüber an der Auffassung fest, daß Homosexualität erworben wird, vor allem durch Einflüsse während der frühen Kindheit. Übergroße Mutterliebe und ausgeprägter Vaterhaß können da ebenso im Spiel sein wie -- umgekehrt -- eine überstarke Vaterbindung. »Die plausible Erklärung ist eine konfliktbelastete Eltern-Kind-Beziehung«, so der Hamburger Sexualforscher Eberhard Schorsch, »aber die komplizierten Konstellationen lassen sich schwer auf einen Nenner bringen.«
Weitgehende Übereinstimmung besteht mittlerweile darüber, daß Homosexualität, sei es männliche oder weibliche, nicht als Krankheit einzustufen sei. In einer lange und heftig. umstrittenen Entscheidung strich im Mai dieses Jahres die American Psychiatrie Association Homosexualität von der Liste der seelischen Störungen ("Mental disorders").
Zum Scheitern verurteilt sind demnach auch alle Versuche, Homosexuelle etwa durch eine psychoanalytische oder hormonelle Behandlung zu »heilen« (wie es von Ärzten immer noch versucht wird). Homosexualität läßt sich nicht umpolen -- mehr als drei Viertel aller lesbischen Frauen wären im übrigen daran gar nicht interessiert.
Diese Mitteilung ebenso wie der Hinweis, daß sich knapp 25 Prozent der Befragten doch »lieber zur Heterosexualität umwandeln lassen würden«, ist enthalten in einer noch unveröffentlichten Studie über lesbische Frauen, der ersten ihrer Art in der Bundesrepublik. Sie stammt von der Sexologin Siegrid Schäfer; rund 150 Lesbierinnen wurden befragt*.
»Lesbisch zu sein«, so resümiert die Autorin ihre Befunde, »bedeutet sozial abweichend zu sein, ein unübliches Leben führen zu müssen, Rollen zu übernehmen, die nicht von früh auf eintrainiert sind, wenig Verständnis zu finden, diskriminiert, bestenfalls toleriert zu werden.«
Mehr als 50 Prozent der befragten Lesbierinnen erklärten, sie würden sich am liebsten offen zu ihrer sexuellen Orientierung bekennen -- »weil man unter dem Versteckspiel seelisch leidet, weil lügen oder mit Männern zum Schein flirten blöde ist und weil Homosexualität nichts Zweitrangiges ist« (so eine der Befragten). Am Arbeitsplatz unter Druck gesetzt.
In ihrem täglichen Leben aber sehen sich die meisten Lesbierinnen fast ständig zur Tarnung ihrer Neigungen gezwungen (siehe Seite 64). Jede siebte der befragten Lesbierinnen gab an, wegen ihrer Homosexualität schon einmal Schwierigkeiten am Arbeitsplatz bekommen zu haben.
Unter Druck gesetzt wird vor allem die lesbische Vorgesetzte; man unterstellt ihr, sie würde die von ihr Abhängigen verderben. Einer lesbischen Abteilungsleiterin im Berliner KaDeWe
* Die Untersuchung erscheint in: G. Schmidt und E. Schorsch (Hrsg.): »Ergebaisse zur Sexualmedizin II«. Wissenschaftsverlag, Köln.
wurde gekündigt -- sie vermutet, weil sie als moralischer Störfaktor gegolten habe. Eine Röntgenassistentin in einem Berliner Krankenhaus wurde zum Innensenator beordert, weil sie einem sexuell aufdringlichen Chef gegenüber hatte durchblicken lassen, daß sie lesbisch sei.
Wie individuell sich solche Probleme im Einzelfall immer stellen mögen, sie haben, wie Siegrid Schäfer resümiert. eine kollektive, gesellschaftliche Ursache: »die Diskrepanz zwischen gesellschaftlich gefordertem Verhalten (und den daraus resultierenden verinnerlichten heterosexuellen Moralvorstellungen) einerseits und den eigenen homosexuellen Triebwünschen andererseits«.
Dieser Hintergrund prägt das traditionelle Lesben-Milieu -- mit seinen rotbeleuchteten, plüschigen Lesbierinnen-Bars, mit zweireihigen Herrensackos und Pudel -- oder auch in der schwulen Bürgerlichkeit einer blitzsauberen Wohnung, als Kompensation für den Dreck, für den man sie hält.
Es ist eine nachgemachte Männerwelt. Der »kesse Vater« hat seine hübsche Freundin als Prestigeobjekt ("Ich muß unentwegt eine Frau verwöhnen"). Er läßt sich seine »Püppi« etwas kosten und erfüllt auch sonst das Klischee des Playboys: »Sie halten sich eine hübsche Motte, die doof ist, aber einen dicken Busen hat«, so beschrieb es eine Berliner Lesbierin. »Die brauchen einfach aus Werbegründen immer irgendwelche Tittenfrauen um sich.« Und wenn es gelingt, einem Mann ein Mädchen wegzunehmen, ist die Hochstimmung vollkommen. »Dadurch werde ich bestätigt. Denn das ist ein schönes Gefühl, wenn die Männer futterneidisch werden.«
Gerade weil Selbstakzeptierung und Selbstwertgefühl bei diesen lesbischen Frauen derart »verletzbar, labil und bedroht sind« (Siegrid Schäfer), bedarf es auch in festen Bindungen der ständigen Absicherung durch immer neue Vertrauensbeweise und Treueschwüre -- das zeigte sich auch beim Prozeß in Itzehoe.
Der Vorsitzende Richter Selbmann konnte sich keinen Reim darauf machen, daß die bloße Trennung von dem ungeliebten Mann, ohne Mordplan, nicht genügt hätte -- »das gibt es doch in normalen Ehen auch, daß man sich so verständigt«.
Arrangements, wie sie die heterosexuelle bürgerliche Welt für solche Konfliktfälle bereithält, konnten für Marion Ihns und Judy Andersen nicht funktionieren -- aber nicht weil sie Lesbierinnen sind. Ultimaten wie in ihrem Fall -- Judy Andersen: »Ich merkte, daß mich Frau Ihns mit ihrem Mann betrog, da sagte ich zu ihr: Wolfgang oder ich« -- gibt es allenthalben auch bei den Heterosexuellen, und auch dort nicht selten mit tödlichem Ausgang.
Bis ins Jahr 1922 mußte der Kriminologe von Hentig zurückgehen, als er nach einem Lesbierinnen-Mord aus Eifersucht fahndete. Damals wurde der Berliner Tischler Klein von seiner Frau und deren Freundin umgebracht, mit kleinen, über zwei Jahre verteilten Prisen von Rattengift.
Gequält und gedemütigt hatte der Tischlermeister seine Frau, schon ehe sie die lesbische Beziehung einging -- und vielleicht tat sie es gerade deshalb. Parallele in Itzehoe: Judy Andersen, mit viereinhalb Jahren vergewaltigt, Augenzeugin, wie wechselnde Freier ihre Mutter verprügelten; Marion Ihns, mit neun Jahren vergewaltigt, seither beim Geschlechtsverkehr mit Männern mitunter von Schmerzen gepeinigt, verlacht von dem Mann, der sie mit einem Eheversprechen ins Bett lockte, verheiratet mit einem Mann, der sich weigerte, Verhütungsmittel zu nehmen und ihr eine Abtreibung nach der anderen aufzwang. BLieb, mit Männern ist defizitär.«
»Nicht so sehr um das Sexuelle«, erklärte Judy Andersen auf die bohrenden Fragen des Gerichts, sei es ihr in der Beziehung zu Marion Ihns gegangen, sondern um Zärtlichkeit und Geborgenheit. Mag sie derart zur Verleugnung ihrer Sexualität sich eher gedrängt gesehen haben -- ihre Aussage verweist auf einen Sachverhalt, den die Sexualwissenschaft bestätigt.
Als »defizitär«, so die Hamburger Sexologin Schäfer, würden von homosexuellen Frauen ihre Liebesbeziehungen mit Männern empfunden. Hingegen beschrieben die meisten Frauen ihre lesbischen Erlebnisse als »befriedigender, leidenschaftlicher, aufregender, zärtlicher, partnerbezogener, vertrauter, einfühlsamer, rücksichtsvoller. weniger aggressiv und häufiger orgastisch«.
Weibliche Homosexualität, so der Berliner Gynäkologe Kellerhoff, werde »oft ausgelöst durch eine frustrane Erlebniskette mit dem anderen Geschlecht«. Der Phallus werde von Frauen empfunden als »etwas Instrumentelles, etwas, das zur Armierung des Mannes gehört«. Kellerhoff: »Die Frau funktioniert als Reibungswiderlager für sein libidinöses Stakkato.«
So ähnlich hätten es auch Germaine Greer oder Kate Millett sagen können -- denn genau hier, bei der Infragestellung männlich geprägter Sexualität, trifft sich die politische Aussage der feministischen Bewegung mit den wissenschaftlichen Befunden über lesbische Liebe: Da Frauen im Namen ihres Geschlechts, ihrer Sexualität unterdrückt und definiert werden, mußte jede Frauenrevolte Hand in Hand gehen mit einer Revolte gegen die herrschende Sexualität.
»Das kannst du gar nicht schaffen«, sagte eine Frankfurter Feministin, »was du da alles sein mußt: schön, aber auch wieder nicht zu schön, weil das dann nuttig wäre ... Gefordert wird praktisch das ganze Spektrum von der Nutte bis zur Madonna.«
In einer Gesellschaft, so die Feministen-These, in der Männer das Machtmonopol halten wollen und Frauen durch den legalisierten Dienst im Bett ihren Unterhalt sichern müssen, ist Heterosexualität keine freiwillige Angelegenheit. Das freilich stellte die Feministinnen vor beunruhigende Fragen.
Von Anfang an war die Auseinandersetzung mit der Homosexualität in der Frauenbewegung mit Ängsten besetzt und konfliktgeladen. Durften Frauen überhaupt noch mit Männern schlafen? Viele, die mit Männern zusammen lebten, fühlten sieh attackiert, unfähig und nicht willens, ad hoc die Forderung zu erfüllen, nebenher oder sogar ausschließlich Frauenbeziehungen einzugehen. Andererseits galt es, das Wiederaufleben der alten Diffamierung zu bekämpfen, Frauenrechtlerinnen seien ein hysterischer, unbefriedigter Haufen lesbischer Weiber, die die Männer hassen. »Qualitativ bessere Orgasmen.
Unterdes bewegten sich Frauen an der Basis unaufhaltsam aufeinander zu. In Diskussions- und Selbsterfahrungsgruppen, aber auch im Zuge der politischen Zusammenarbeit -- so etwa um die Abschaffung des Paragraphen 218 -- entwickelten sie ein immer persönlicheres Verhältnis zueinander.
Gerade beim Thema 218 schien es auch unabweisbar, offen über die eigene Sexualität zu diskutieren. Es entstand eine intellektuelle und emotionale Intimität, eine Atmosphäre der Zuneigung zwischen Frauen, wie es sie zuvor nie gegeben hatte. In dieser Situation den Schritt zu homoerotischem Kontakt noch abblocken zu wollen machte kaum mehr Sinn (siehe Interview Seite 68).
Auf einmal ließ sich auch dem angelernten Minderwertigkeitsgefühl von Frauen etwas entgegensetzen: »In dem Maße«, so eine Hamburger Feministin, »in dem es mir gelingt, andere Frauen zu lieben, gelingt es mir, mich selbst zu akzeptieren.«
So etwas zu sagen, würde einem »kessen Vater« wohl kaum einfallen. Hier, in der Tat, wird ein Unterschied greifbar zwischen den beiden nun entstandenen Gruppierungen innerhalb der Lesbenwelt: zwischen den »Traditionslesben«, die sich mit der herkömmlichen maskulin-femininen Rollenverteilung identifizieren, und den »Bewegungslesben«, die sich in der lesbischen Beziehung in ihrem Frausein akzeptieren.
Nicht ohne Spannungen kommen diese beiden Gruppen miteinander aus. Den Traditionslesben ("Wir in unserer schicken, sportiven Aufmachung sind da reine Außenseiter") gelten etwa die Diskussionsrunden auf den Sperrmüllmatratzen der HAW ein für allemal als suspekt. »Die wohnen doch alle im Hinterhaus, die haben doch alle keine Badezimmer, das sieht man denen an. Und das Bier trinken sie aus der Flasche.«
Umgekehrt rügen die Bewegungslesben. die »kessen Väter« verhielten sich Frauen gegenüber »genauso sexistisch wie normale Chauvis"*; dagegen ihr eigenes Kredo: »Wir lieben Frauen, weil sie Frauen sind, und nicht als Pseudo-Männer.« Beide Szenen mischen sich im Kölner George Sand Club, wo es vorkommen kann, daß kunstfertig geschminkte, lesbische Bardamen in wechselnder Rede aus den Werken Kate Millets vortragen.
Ober all dem »Gerede von der neuen Zärtlichkeit« aber, bemerkt die Feministin Alice Schwarzer (die gerade an einem Buch über weibliche Sexualität arbeitet), dürfe nicht »unter den Tisch gefegt« werden, »daß es auch auf der rein sexuellen Ebene zwischen Frauen -- ob sie Bewußtsein haben oder keins
* »Chauvis": Abk. für engl. »male chauvinists«, sinngemäß etwa: Männerüberheblichkeit.
-- besser läuft als zwischen Mann und Frau«.
Ende der vierziger Jahre schon habe Alfred C. Kinsey herausgefunden, daß der lesbische sexuelle Kontakt »quantitativ mehr und qualitativ bessere Orgasmen« bringen könne.
Seit den sechziger Jahren ist zudem der Mythos vom, wie Sigmund Freud gemeint hatte, überlegenen und reiferen vaginalen Orgasmus (für den der Mann gebraucht wird) erledigt. Neuere Sexualforschung, etwa von Masters und Johnson sowie Mary Jane Sherfey, bescheinigen überdies der Frau geradezu unerschöpfliche orgastische Potenz: Ganze Serien von Orgasmen vermag sie zu erlangen -- und das auch ohne Zutun des Mannes.
»Ich habe den Verdacht«, ließ sich unlängst auch Herbert Marcuse hören, »in erotischer Hinsicht sind heute lesbische Beziehungen befriedigender« -- und das in Zeitläufen, da offenbar vielen Frauen die Beziehungen zu Männern, auch in sexueller Hinsicht, immer unzulänglicher vorkommen.
Drastisch umschrieb das eine West-Berliner Lesbierin: »Die Männer, das ist doch die reinste Schwanzolympiade, die müßten mal in die Manege. Und daran gehen die alle letzten Endes kaputt. Wenn die Potenz dann wirklich gestört ist, flippen sie aus.«
Impotenz bei Männern, wohl aus Erwartungsangst vor gestiegenen Frauenansprüchen, wird in der Tat immer häufiger (SPIEGEL 16/1973). Aber auch emotionell sehen sich viele Frauen. wie Alice Schwarzer meint, »mit den Männerbeziehungen im Augenblick so am Ende, daß sie es vorziehen, Beziehungen zu Frauen zu haben«.
Männerhaß, prinzipiell, sei es nicht, sagen die neuen Lesben. »Ich habe nichts gegen ihre Körper«, schrieb eine von ihnen in der US-Zeitschrift »Amazon Quarterly«, »aber in ihren Köpfen sind Männer jetzt so durcheinander.«
Auch die Feministinnen verhehlen nicht, daß lesbische Beziehungen »eine der subversivsten Waffen im Frauenkampf« seien -- Lysistrata, aber ohne Konsumverzicht. Naturgemäß erwachsen aus solcher Kunde massive Ängste auf seiten der Männer.
»Von Feministinnen höre ich«, notierte der West-Berliner Schriftsteller Peter Schneider im vorletzten »Kursbuch«, »daß immer mehr Frauen dahin kommen, die Verwirklichung ihrer emotionalen und sexuellen Bedürfnisse von den Männern gar nicht mehr zu erwarten ...« Auch sage man ihm, daß Männer womöglich bald »auf ihr eigenes Geschlechtswerkzeug oder das ihrer Geschlechtsgenossen« angewiesen sein könnten, »einfach deswegen, weil keine Frau mehr bereit sein wird, sich mit ihnen, so kaputt wie sie sind, einzulassen«. Schneider: »Die Vorstellung beunruhigt mich.«
In der Tat: »Reihenweise«, so wird beispielsweise aus Berlin berichtet, seien »die Frauen aus der Frauenbewegung umgefallen«; speziell seit dem letzten Pfingsttreffen verzeichne die HAW, gleichsam als »Durchlauferhitzer«, einen »enormen Zulauf«. In Frankreich, wo sich der Trend schon zwei Jahre früher bemerkbar machte, haben sich nach vorsichtiger Schätzung schon annähernd 50 Prozent der Frauen im Umkreis der feministischen Bewegung dem eigenen Geschlecht zugewendet.
Am Mittwoch letzter Woche diskutierte die Hamburger Feministinnen-Gruppe F.R.A.U. über das Thema »lesbische Liebe«. Am Schluß wurde über die Frage abgestimmt: »Ist Bisexualität für dich denkbar?« Von 46 Teilnehmerinnen antworteten 37 mit »ja«. Vier der sechs Nein-Stimmen kamen von Lesbierinnen. die sich nicht vorstellen konnten, jemals wieder mit einem Mann zusammen zu sein.
Modisches ist da sicherlich im Spiel. Und stellvertretend für manche sprach wohl die Apothekenhelferin in einer westdeutschen Großstadt, als sie über den »Gruppendruck« der da herrschte«, Klage führte: In einer Frauengruppe war es ihr als »Verrat« angekreidet worden, als sie mit einem Mann tanzte. Auch bei dem Frauen-Zeltlager auf Femo, heißt es, kamen sich jene, die beim Hetero-Sex bleiben wollten, schon »wie eine verfolgte Minderheit« vor.
Da auch außerhalb der Emanzipations-Szene die Grenzgängerei zwischen Hetero- und Homo-Sex zunimmt, erfüllen sich wohl auch Männer immer häufiger ihren alten lüsternen Traum vom Dreiecksverhältnis, veranstaltet zur höheren Weihe des Paschas in der Mitte. In der Regel, so berichten amerikanische Sexualforscher, stiften die Männer an zu solcher Konstellation.
Doch es mag ihnen ergehen wie dem unsteten Alexandre in dem französischen Dreiecks-Film »La Maman et la Putain«, der sich plötzlich ausgeschlossen sieht, als die beiden Mädchen zueinanderfinden.
Die amerikanische Psychologin Elisabeth Williams entdeckte als wiederkehrendes Prinzip solcher Dreiecke, daß die Mädchen sich darauf einlassen, um auf dem Umweg über den Mann einander näherzukommen: Pascha als Zwischenträger der weiblichen Lust.
Soll der Mann -- Pendelschlag in der Geschichte des Geschlechterkampfs -- nun zum bloßen Sexobjekt erniedrigt oder gar, als sexloses Leitfossil einer patriarchalischen Epoche, zum Aussterben verurteilt werden?
Ein deutlicher Schwenk, so bekunden Insiderinnen, vollziehe sich gegenwärtig in der europäischen Frauenbewegung: weg von der bloßen Zulieferfunktion zum männlichen Klassenkampf -- hin zu einer feministischen Kulturrevolution, wie sie die Amerikanerin Shulamith Firestone in ihrem Buch »Dialeetic of Sex« anvisierte: Es genüge nicht, die männlichen Privilegien abzuschaffen, vielmehr sei die »Aufhebung der Geschlechtsunterschiede selbst« anzustreben, »das heißt: Die genitalen Unterschiede zwischen den Geschlechtern müssen ihr soziales Gewicht verlieren«.
Offenbar empfinden viele der Frauen, die sich jetzt auf die Homo- oder Bisex-Welle schwingen, dies nicht als Endzustand, sondern eher als Durchgangsphase: Sie können sich vorstellen, nebenher oder später wieder Beziehungen mit Männern einzugehen -- aber wohl nur, wenn die Männer bereit sind, sich zu ändern.
Dafür gibt es erste Anzeichen. »Über die Männlichkeit hinaus« ("Beyond Masculinity") lautete der Arbeitstitel eines Buches von Warren Farrell, zugleich das Losungswort einer ganzen amerikanischen Männer-Selbsterfahrungsgruppe, die neuerdings am Abbau des traditionellen männlichen Rollenverhaltens arbeitet (SPIEGEL 18/1974).
Ähnliches begibt sich, beispielsweise, auch in Frankfurt. Weil die Frauen des Frankfurter Frauenzentrums »abends so oft weg sind« (so die Frankfurter Feministin Margit Eschenbach), finden sich dort nun auch die Männer in Gruppen zusammen.
Mut zu persönlicher Aussage, wie in den Frauengruppen, ist da noch nicht aufgekommen. Statt sich mit den eigenen Problemen zu beschäftigen, so berichten die Frankfurter Frauen nicht ohne sanfte Ironie, hätten die Männer erst mal angefangen, »theoretische Papiere zu lesen«. Und als Nahziel ihres Handelns definierten sie fürs erste: »Unterstützung des Frauenkampfes.«