TERRORISMUS Machen wir selbst
Die verschwiegene Herrenrunde, die sich am frühen Morgen im Kanzlerflügel der noch im Halbdunkel liegenden Bonner Regierungszentrale versammelte, war sich einig: Das Leben der seit Mitte Januar in West-Beirut verschleppten deutschen Firmenvertreter Rudolf Cordes und Alfred Schmidt, so die Lageanalyse der Krisenstäbler, könne nur unter einer Bedingung gerettet werden.
Den schiitischen Geiselnehmern, zu denen seit der vergangenen Woche »stabile Kontaktlinien« bestehen, müsse immer wieder plausibel gemacht werden, daß der am 13. Januar festgenommene Libanese Mohammed Ali Hamadei nicht den US-Behörden überstellt werde.
Bonn spielt vorerst auf Zeit. Ende letzter Woche schickte der Krisenstab einen arabischen Mittelsmann, der sich den Deutschen angedient hatte, zum zweiten Mal nach Beirut. Er bekam Order, mit einem neuen Lebenszeichen der beiden Deutschen zurückzukehren.
Vom ersten Lebenszeichen der Entführten, zwei Photos von Cordes und Schmidt mit bundesdeutschen Zeitungen, die der Vermittler mit nach Beirut gebracht hatte, berichtete Krisenstab-Chef Wolfgang Schäuble am Mittwoch dem Kabinett. Der Emissär, so Schäuble, habe auch Briefe an die Angehorigen von Cordes und Schmidt und ein Schreiben an Bundeskanzler Helmut Kohl im Gepäck gehabt.
Darin bestätigten beide, daß die Entführer, im Austausch gegen Geiseln, ihren Gefolgsmann Hamadei aus der Frankfurter U-Haft freipressen wollen - ohne jedes öffentliche Aufsehen.
Doch schon letzten Dienstag war es mit der Verschwiegenheit vorbei. Denn der Beiruter Familien-Clan hatte einen zweiten Bruder in die Bundesrepublik in Marsch gesetzt, um den Druck auf die Bonner Regierung zu erhöhen.
Abbas Hamadei, seit 1984 nach einem Asylantrag deutscher Staatsburger und in Saarlouis mit einer Deutschen verheiratet, hatte Ehefrau Maria seine Ankunft telephonisch aus Beirut angekündigt. In dem - offenbar abgehörten - Gespräch teilte er mit, daß sein Bruder Mohammed als Hijacker einer TWA-Maschine verdächtigt werde (Abbas: »Eine Verwechslung") und er komme, um ihn »herauszuholen«.
Am Montag letzter Woche wurde Abbas auf dem Vorfeld des Frankfurter Flughafens von Beamten des Bundeskriminalamts (BKA) erwartet. Der Fluggast
nannte als Reisegrund, er habe Magenkrebs und wolle zu deutschen Spezialisten in Behandlung. Von dem hochexplosiven Sprengstoff Methylnitrat, den Bruder Mohammed zwei Wochen vorher bei seiner Einreise in drei Flaschen bei sich trug, wisse er nichts. Die schöne Geschichte half nichts, Abbas Hamadei kam in die Haftanstalt Frankfurt-Preungesheim.
Die Brüder änderten ihre störrische Haltung erst, als der Bonner Krisenstab die Eltern der Hamadei-Söhne aus dem Libanon einfliegen ließ. Im Gefängnis stimmten die alten Hamadeis die beiden U-Häftlinge um, und Abbas verriet ein brisantes Geheimnis.
Tags darauf riegelten Saar-Polizisten und BKA-Spezialisten in Beckingen neben der Bahnstrecke Trier-Saarbrücken eine ungemähte Wiese ab: In einer Mulde, 50 Meter von der Bundesstraße 51 entfernt, standen acht Eineinhalb-Liter-Flaschen mit einer Flüssigkeit, verpackt in Tragebeuteln und Reisetaschen und zugedeckt mit einer Wolldecke.
Der Flascheninhalt erwies sich als so explosiv, daß der herbeigeflogene BKA-Sprengstoffexperte Peter Köhler den Abtransport nicht riskierte. Als die Beamten einen Roboter einsetzen wollten, um das Methylnitrat noch auf der Wiese von langer Hand zu zünden, versagte die Technik wegen der Kälte. So robbten ein Mann mit weißer Pelzmütze und zwei Kollegen heran, trugen die Flaschen einzeln ins Gelände und legten Zündschnüre mit Haftladungen. Es war Mittwoch, 13.42 Uhr, als die erste von acht Detonationen zur abgesperrten B 51 hinüberdrang.
Lange schon, so heißt es in einer internen Analyse des Saarbrücker Innenministeriums, sei der Raum Dillingen/ Merzig/Saarlouis ein »Ruheraum« für »Schläfer« der arabischen Terrorszene, die in einer scheinbar bürgerlichen Existenz leben und bei Bedarf als Terroristen aktiviert werden.
Auch Hamsa Kassim, 49, aus Tarbikha/Libanon, der mit seiner siebenköpfigen Familie in Merzig-Brotdorf wohnt zählte zu den Verdächtigen. Um 23.20 Uhr in der Nacht zum vorigen Dienstag drang ein Spezialkommando des BKA in Kassims Haus ein; auf den Sohn Adnan, der erschrocken das Licht anknipsen wollte, wurde geschossen. Die Kugel eines Polizisten, der die Bewegung falsch gedeutet hatte, durchschlug die Schulter, eben an der Lunge vorbei.
Der junge Mann, um den sich alles dreht, der 22jährige angebliche Flugzeugentführer Mohammed Hamadei, war seinem Bruder Abbas 1982 an die Saar gefolgt und hatte dort ebenfalls um politisches Asyl ersucht. In einem Türkenlokal lernte der scheue junge Libanese Birgit Löbenrück kennen, eine Verwandte der Schwägerin Maria; 1984 kam Tochter Lydia zur Welt.
Erst in der Familie taute Mohammed etwas auf, erzählte auch von daheim: daß ein Bruder Sicherheits-Chef der schiitischen »Partei Gottes« (Hisb Allah) sei, ein anderer »reicher Millionär« in Beirut, der gelegentlich Schecks spendiere.
1984 zog der junge Hamadei seinen Asylantrag zurück und ging desillusioniert wieder in den Libanon. Am 11. Juni 1985 meldete er sich bei Birgit auf einer Postkarte aus Athen, am 13. Juni ("Heute mein Geborstag") schrieb er noch einmal an Birgits Vater. Offenbar
bedrückte ihn etwas, er fürchtete um das Kind Lydia: »Pass auf for mein tochter«.
Am Tag danach wurden amerikanische Geiseln auf dem TWA-Flug 847 von Athen nach Rom von radikalen Schiiten gekidnappt. Daß einer der beiden Hijacker Mohammed Hamadei gewesen sei, ist seither für die US-Justizbehörden erwiesen.
Auch die Explosion in der Flughalle B des Rhein-Main-,Flughafens, bei der im Juni 1985 drei Menschen getötet wurden, könnte nach Ansicht von Terrorspezialisten des BKA mit Flaschen-Transporten der Hamadei-Brüder zu tun haben: ein Sprengsatz, der sich ins Nichts auflöste, Spuren gab es kaum.
Für die deutschen Behörden haben die neuesten Erkenntnisse die Lage Mohammeds verändert, aber nicht erschwert. Er ist jetzt nicht nur wegen Sprengstoffbesitzes in U-Haft, sondern mit der Anlage eines kompletten Sprengstoffdepots und womöglich weiteren Terrordelikten in Verbindung zu bringen. Damit ist auch, und vielleicht ist das vom Hamadei-Clan so gewollt, der deutsche Strafanspruch gewichtiger geworden.
So wachsen die Chancen der Bonner, das US-Auslieferungsersuchen gegen Mohammed Hamadei wegen der Flugzeugentführung abzuwehren. Je höher der Strafanspruch der deutschen Justiz schließlich werde, so die Einschätzung, desto unwahrscheinlicher die Auslieferung Hamadeis an Amerika.
Seit dem Tausch Geiseln gegen Waffen an den Iran, erläutert ein Bonner Regierungsmitglied, seien die Amerikaner ohnehin »weit ab von politischer und sachlicher Glaubwürdigkeit«. »Unsere Linie lautet«, umschreibt ein hoher Beamter das Krisenmanagement zwischen Bonn und Beirut: »Das machen wir selbst.«