SAUDI-ARABIEN Macht der Dynastie
Ich bin nur gekommen, weil mein Bruder König Chalid mich gebeten hat«, murrte Ägyptens Präsident Sadat, als er im Oktober zu einem kleinen arabischen Gipfeltreffen in der saudiarabischen Hauptstadt Riad eintraf. Dann lobte er seinen Gastgeber Chalid: »ich betrachte sein Haus als großarabisches Haus, in dem wir unsere Zwistigkeiten offen diskutieren können.«
In Chalids Haus wurde nicht nur diskutiert: Unter den Fittichen des Saudi-Herrschers versöhnte sich Sadat mit seinem syrischen Amtskollegen Assad, wurde der Plan zur Beendigung des Bürgerkriegs im Libanon beschlossen. Denn die auf Stabilität bedachten Saudis überzeugten ihre Gäste, daß die Metzelei in Beirut zu einer Gefahr für die gesamte Region geworden war.
Saudi-Arabien ist heute längst nicht mehr nur das reiche Ölland. das sich mit Geldgeschenken seine Ruhe erkaufen und den atheistischen Kommunismus aus der arabischen Welt fernhalten will. »War seine Außenpolitik unter Feisal durch Vorsicht geprägt«, schrieb die »New York Times«, »so ist sie heute zuweilen recht lebhaft.«
Die Saudis flogen im vorigen Jahr den in Beirut eingeschlossenen Palästinenser-Chef Arafat zu Verhandlungen aus dem Kessel. Sie lieferten den Syrern Geld für ihre Intervention im Libanon, hinderten sie aber daran, Arafat als PLO-Chef durch Suheir Muhssin, den Chef der syrischen Saika, zu ersetzen. König Chalid reiste Ende Oktober selbst zu einem Libanon-Gipfel nach Kairo. Seine Soldaten wachen als Mitglieder der panarabischen Truppe über den brüchigen Frieden in Beirut.
Ihren größten Coup landeten die Saudis dann, als sie auf der Opec-Konferenz in Doha die von der Mehrheit geforderten Ölpreiserhöhungen nicht mitmachten und das Kartell praktisch sprengten . »Ölminister Jamani legte es darauf an, die Organisation als Instrument für Nahost-Friedenspläne zu benutzen«, schimpfte der irakische Ölminister Tajeh Abd el-Karim.
Jamani bestätigte das: »Wir erwarten, daß der Westen, besonders die Vereinigten Staaten, zu schätzen wissen, was wir für sie getan haben« (siehe auch Seite 38). Im Klartext: Die USA sollen Israel zwingen, die 1967 eroberten arabischen Gebiete aufzugeben und eine von den gemäßigten Araberstaaten erdachte Nahostlösung mit einem palästinensischen Staat in Westjordanien unterstützen. Dann werden Ölstaaten wie Saudi-Arabien auch Rücksicht auf die Wirtschaftsnöte der westlichen Industrienationen nehmen.
Enttäuschte Opec-Mitglieder versuchten das saudische Verhalten auf der Doha-Konferenz als Alleingang des Ölministers Jamani abzutun. So warf die persische Zeitung »Ajandegan« Jamani vor, er habe nicht nur seine Opec-Kollegen verraten, sondern auch sein Land und seinen König.
In Wahrheit aber hatte König Chalid selbst den zögernden Ölminister beauftragt, energisch und bis zum Bruch gegen zu starke Preiserhöhungen zu kämpfen. Denn Chalid, 64, ist keineswegs die schwächliche Figur, für die ihn viele Araber und speziell Saudis gehalten hatten, als er nach der Ermordung Feisals im März 1975 vom Ältestenrat des aus rund 3000 Prinzen bestehenden Saudi-Clans zum König berufen wurde.
Sein Bruder Fahd, obschon unter Feisal der einflußreichste Mann, erhielt damals nur die Kronprinzenwürde. Er fügte sich zwar, soll aber enttäuscht erklärt haben, daß er »nicht noch einmal auf seine Rechte auf den Thron verzichten« werde.
Die Armee der Prinzen hatte offenkundig geglaubt, mit dem bis dahin eher passiven und kränklichen Chalid leichteres Spiel zu haben als mit Fahd.
Zu aller Überraschung aber profilierte sich der neue König recht bald. Er wechselte unfähige Prinzen durch Technokraten aus und kürzte einigen Angehörigen des Herrscherhauses die Apanagen. Auch umgab er sich mit Männern, die nicht zum Königs-Clan gehören wie Kamal Adham, der schon Feisal beraten hatte, sowie mit den »bürgerlichen« Ministern Alawi Kajjal (Telekommunikation) und Jamani (Erdöl).
Der bei Mekka geborene und in Harvard ausgebildete Jamani hatte gehofft, mit Hilfe seiner engen Beziehungen zu Fahd Außenminister zu werden -- aber Fahd wollte oder konnte ihm nicht die erwartete Unterstützung geben. Gleichwohl gehören Fahd wie auch Jamani nach wie vor zum inneren Machtzirkel, ebenso wie die Prinzen Abdallah, Oberbefehlshaber der 20 000 Mann starken Nationalgarde, Sultan, der Verteidigungsminister, und Saud, der Außenminister.
König Chalid konnte mithin die Macht der Dynastie entgegen allen Voraussagen durchaus auf der Höhe seines Vorgängers Feisal halten. Er genießt außerdem noch die Unterstützung des Emirs von Riad, eines Bruders, der wiederum über eine beachtliche Hausmacht verfügt.
Schwierigkeiten könnten ihm -- wie einst auch Feisal -- allenfalls die Emire der Ostprovinzen am Golf machen. Sie verfolgen insgeheim separatistische Ziele und setzen dabei wohl auf den Schah von Persien, der mit seiner hochgerüsteten Armee die neue Ordnungsmacht in ganz Mittelost sein möchte.
Bislang freilich agitiert der Autokrat vom anderen Golfufer nicht gegen den Saudi-König, sondern nur gegen dessen Ölminister Jamani. Teherans Presse und Rundfunk nannten ihn einen »Lakaien des Imperialismus«, den der »Haß der Dritten Welt und aller antikolonialistischen Kräfte« treffe.
An der Schlüsselmacht Saudi-Arabien kommen aber auch die Matadore des Antikolonialismus nicht vorbei: Ende Dezember reiste PLO-Chef Jassir Arafat wieder einmal in König Chalids Reich.