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KANZLERAMT Mädchen für alles

Eine Fülle von Aufgaben erwartet Kanzler Schmidts neuen Staatsminister Wischnewski -- nicht zuletzt die Koordinierung der Deutschland- und Berlin-Politik.
aus DER SPIEGEL 1/1977

Kaum hatte der Kaiserslauterer SPD-Bundestagsabgeordnete Adolf Müller-Emmert am Morgen vor der Kanzlerwahl angekündigt, er werde Helmut Schmidt seine Stimme verweigern, saß schon ein korpulenter Mittfünfziger an seiner Seite, ganz hinten an der Heizung des SPD-Fraktionssaales im Bonner Bundeshaus: Hans-Jürgen Wischnewski, damals noch Staatsminister im Auswärtigen Amt. Nachdem Wischnewski eine Zeitlang auf ihn eingeredet hatte, zog der renitente Pfälzer, dem auch noch Parteichef Willy Brandt und der Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner ins Gewissen redeten, sein Veto zurück.

Der Einstand des ausgefuchsten Troubleshooters in seinem neuen Job als Staatsminister im Bundeskanzleramt hätte kaum besser ausfallen können. Denn Helmut Schmidt hat Wischnewski nicht zuletzt deshalb zu sich geholt, damit er ihm in schwieriger gewordenen Zeiten mit knapper Koalitionsmehrheit und einer seit dem versuchten Rentenbetrug selbstbewußteren SPD-Bundestagsfraktion Ärger vom Leib hält.

Entlastung hatte auch Kanzleramtschef Manfred Schüler im Sinn, als er nach der Sommerpause seinem Dienstherrn erstmals die Berufung Wischnewskis als Nachfolger von Marie Schlei vorschlug. Ein eigens dazu bestellter beamteter Staatssekretär oder ein Parlamentarier von der Statur Wischnewskis sollte sich ausschließlich um die in die Zuständigkeit des Kanzleramts fallende Deutschlandpolitik kümmern und darüber hinaus auch ein Gegengewicht schaffen zu den ostpolitischen Extra-Touren des freidemokratischen Außenministers Hans-Dietrich Genscher.

In den Koalitionsverhandlungen setzte sich dann freilich doch der AA-Chef durch, der einen Eingriff in seine außenpolitischen Kompetenzen fürchtete -- Kanzler Schmidt mußte seine Lieblingsidee fallenlassen. Dafür soll sich nun Staatsminister Wischnewski neben vielem anderen auch um die Deutschland- und Berlin-Thematik kümmern dürfen.

Und um der Sache doch noch das richtige Gewicht zu geben, denken die Kanzleramts-Planer daran, die Deutschland- und Berlin-Politik aus der Abteilung für Außen- und Sicherheitspolitik herauszunehmen und -erstmals in der Geschichte der Bonner Regierungszentrale -- in einer eigenen Abteilung zusammenzufassen. Sie soll dem derzeitigen deutschlandpolitischen Berater der SPD-Bundestagsfraktion, Fugen Selbmann, unterstehen.

Von der Berufung des Wehner-Vertrauten Selbmann versprechen sich die Schmidt-Berater überdies günstige Auswirkungen auf die künftige Zusammenarbeit zwischen Wischnewski und dem schwierigen SPD-Fraktionschef. Denn anders als seine Vorgängerin Marie Schlei, die gute zwischenmenschliche Kontakte zu »Onkel Herbert« pflegte, hat Wischnewski das Handikap, ein Intimus des von Wehner verachteten SPD-Chefs Willy Brandt zu sein.

Eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Regierung und Fraktion aber erscheint allen Führungsgenossen, zumal nach der Rentenpleite, dringend geboten. Den Parlamentarischen Staatssekretären, als deren Koordinator Wischnewski kraft Amtes fungiert, will es der Staatsminister entsprechend den Forderungen Wehners deshalb zur Pflicht machen, künftig an allen Beratungen der Arbeitskreise und Obleute der Fraktion teilzunehmen.

Damit nicht genug für den neuen Supermann im Kanzleramt: Schmidt-Berater erhoffen sich von Wischnewski auch noch, daß er intensiver als seine Vorgängerin Marie Schlei die Kontakte zu den großen Verbänden pflegt. Das gilt -- hach DGB-Chef Heinz Oskar Vetters scharfer Kritik am Regierungsprogramm und an der ohne Absprache durchgepaukten Berufung des SPD-Wirtschaftsexperten Herbert Ehrenberg zum Arbeitsminister (SPIEGEL 53/1976) -- vor allem für die Gewerkschaften.

Ob der trinkfeste Ostpreuße mit Berliner Zungenschlag für all das Zeit findet, ist fraglich. Die Kompetenz indes mag ihm niemand abstreiten, denn kaum einer in Bonn kann auf eine so bunte Polit-Karriere zurückblicken. Wischnewski begann 1952 als IG-Metall-Sekretär und hat seither den Draht zu den

Gewerkschaften nie abreißen lassen. Seit 1957 Bundestagsabgeordneter, diente er knapp zwei Jahre als Entwicklungshilfeminister und dann, von 1968 bis 1972 als Bundesgeschäftsführer.

Und ständig war Wischnewski in aller Welt unterwegs. Dank seiner guten Beziehungen zu den Arabern, die ihm in Bonn den Spitznamen »Ben Wisch« eintrugen, konnte er während der Ölkrise erfolgreich zwischen den Erzeugerländern und den westlichen Industriestaaten vermitteln.

Solch diplomatische Gewandtheit lernte auch AA-Chef Genscher schätzen, der seinen ursprünglich als SPD-Aufpasser im Außenamt plazierten Staatsminister nur ungern an das Kanzleramt abgab: gute Voraussetzungen für Wischnewskis neuen Job als Mädchen für alles.

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