TRANSVESTITEN Männchen machen
Zunächst schien der Fall durchaus alltäglich: Im Münchner Arbeitsamt, beim Sachbearbeiter Jörg Müller für das Hotel- und Gaststättengewerbe, sprach die stellungslose Kellnerin Gerda Wolters* vor. Das Fräulein, rotblond und nicht unansehnlich, wollte sich vermitteln lassen und einstweilen einen Antrag auf Arbeitslosen-Unterstützung stellen.
Erst beim Blick in den Personalausweis kam dem Beamten der Verdacht, daß es sich um keine gewöhnliche Bedienung handeln konnte: Es war nicht Gerda, sondern Gerhard Wolters*, 20, ein Transvestit. biologisch fortgeschritten auf dem Hormon-Trip zum femininen Transsexuellen. der schon mehrfach als Kellnerin gejobt hatte und partout in der Branche weiblich bleiben will, vor dem Gesetz aber noch immer männlich ist.
Befremdet nahm Sachbearbeiter Müller Rücksprache mit Vorgesetzten und beschied dann seinem Klienten, der Antrag auf Arbeitslosen-Unterstützung sei zwecklos, weil für das Arbeitsamt ohnehin keine Verpflichtung bestehe, »so was wie Sie zu vermitteln«. So jedenfalls erinnert sich Gerhard ("Gerda") Wolters an die ablehnenden Argumente: Man könne das den Gästen in einem Lokal »nicht zumuten«; kämen sie dahinter, würde der Wirt seine Stammkundschaft verlieren; nur »wenn Sie wieder ganz normal auftreten«, könne man weitersehen. Wolters: »Der meinte, ich soll wieder auf Männchen machen.«
Die Experten im Münchner Arbeitsamt beriefen sich bei der Behandlung des Außenseiters auf ein Urteil des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein vom August 1968 (Aktenzeichen L 1 Ar 22/67), das auch von der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg für solche Fälle zur Maßgabe empfohlen wird. Danach sei ein echter Transvestit« *Name von der Redaktion geändert.
der es »als eine unverständliche Grausamkeit der Natur empfindet, in einen männlichen Körper gebannt zu sein« (so definierten die Sozialrichter) von der Arbeitsvermittlung generell auszuschließen, weil als Frauen nur solche Personen vermittelt werden könnten. »bei denen es sich tatsächlich um Frauen handelt«.
Und dabei orientiert sich das für die Arbeitsämter offenbar verbindliche Urteil insbesondere an der »Verantwortung gegenüber dem Arbeitgeber": Die Beschäftigung eines Transvestiten sei »weder zumutbar noch zulässig oder auch nur möglich«, so heißt es umschweifig, »allein schon im Hinblick auf die in der Regel für beide Geschlechter zumindest rein räumlich voneinander getrennten, darüber hinaus vielfach aber auch unterschiedlichen sanitären Betriebseinrichtungen«.
Transvestit Wolters, der mit einem 30jährigen Möbelvertreter zusammen lebt und ihn »meinen Mann« nennt, ist -- so interpretiert Müllers Vorgesetzte, die Abteilungsleiterin Dr. Christa Mantel -- »für uns nicht verfügbar"« weil er nicht den »üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes« entspreche, wie es das Arbeitsförderungsgesetz vorschreibe. Aber nur wer unter diesen Voraussetzungen dem Arbeitsamt »zur Verfügung steht«. hat laut Gesetz auch »Anspruch auf Arbeitslosengeld«.
Für den renommierten Frankfurter Sexualforscher Professor Volkmar Sigusch, dem auch die arbeitsrechtlichen Probleme der sexuellen Minderheiten vertraut sind« ist der Münchner Fall »fast ein Skandal«. Sigusch: »In der Schärfe der Abweisung ist das für mich neu. Die Behörden können sich offenbar nicht vorstellen, was das für einen Betroffenen bedeuten kann.«
Für »Gerda« Wolters, die sich schon als Kind in ihrem Heimatdorf Wadern im Saarland nur mit Puppen und den Kleidern der Mutter abgab, mit 17 nach ärztlicher Konsultation und psychiatrischer Beratung eine Hormonbehandlung begann, bedeutet es womöglich erst mal die Zwangsrückkehr zum ungeliebten Geschlecht. von dem sie sich schon ziemlich weit entfernt hatte.
Schwarzarbeiten als Serviererin, was sie »bis oben ran satt« hat, endeten meist spätestens nach vier Wochen -- fast nie« weil Wirt oder Gäste den Transvestiten von selbst entdeckten (Wolters: »Das passierte nur mal, wenn eine Tunte aufkreuzte und blöd daherredete"), sondern fast immer, weil die Arbeitgeber, von Wolters selber nach einer gewissen Einarbeitungszeit informiert, die Anmeldung bei der Krankenkasse verweigert und den Sonderling »schikaniert und rausgeekelt« (Wolters) hatten. Der Transvestit, der zwar gern als Hobbysängerin Daliah Lavi imitiert, sonst aber »keine Show abziehen«, sondern ein gutbürgerliches Berufsleben »mit Versicherung und so« führen möchte: »Richtig ordentlich hat es noch nie geklappt.«
Wenn es so aber nicht klappt und auch keine Arbeitslosenunterstützung gewährt wird, muß Wolters, so fürchtet er, die wöchentlich notwendigen Östrogen-Spritzen aufgeben. Folgen: Bart und Körperhaare sprießen, der Brustansatz schrumpft, die Gesichtszüge werden härter -- der Mann im Manne regt sich wieder.
Solchem Dilemma hat sich die Rechtsprechung offenbar noch nicht ausreichend genähert. Immerhin entschied das Bundessozialgericht in Kassel unlängst in einem weit weniger drastischen Fall -- einem Damenstrumpf-Fetischisten war gekündigt und keine neue Stelle vermittelt worden -, es gebe »keinen allgemeinen Grundsatz«, wonach Männer, die Frauenkleider bevorzugen. nicht mehr als Arbeitnehmer zu vermitteln sind. Und die Kasseler Richter ließen -- »dahingestellt«, ob die von den Arbeitsämtern herangezogene Auffassung des schleswig-holsteinischen Landessozialgerichts für echte Transvestiten überhaupt »zutrifft« (Aktenzeichen: 7 Ar 87/74).
Aber eine »echte Lösung« brächte, so jedenfalls sieht es der Sexualwissenschaftler Sigusch, nur die Änderung des Personenstandsgesetzes, für die sich der Professor und die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung derzeit in Bonn einsetzen: Transsexuelle oder solche, die es werden wollen, sollten nach eingehender medizinischer und psychiatrischer Untersuchung den gewünschten weiblichen (oder männlichen) Vornamen auch von Amts wegen führen dürfen.