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»Männer, die nie erwachsen wurden«

SPIEGEL-Redakteur Helmut Sorge über die professionellen Pokerspieler von Las Vegas *
Von Helmut Sorge
aus DER SPIEGEL 43/1988

So manche Nacht schläft der Gast aus Zimmer 215 des »Golden Nugget«-Hotels in Las Vegas nicht in seinem Bett.

Trotz verstopfter Arterien und vier Herzinfarkten hockt Johnny Moss, 81, dann bis zum Morgengrauen am grünen Filz. Manchmal erzählt er dabei von früher, als er noch drei, vier Tage hintereinander am Pokertisch saß.

In diesen Momenten scheint es so, als wollte Johnny weiterzocken, bis der Tod ihm den »Royal Flush« aus der Hand zerrt: »Ich werde wohl am Tisch sterben«, prophezeit der Alte.

Es wäre der Heldentod für den dreimaligen Pokerweltmeister, der sich vor Jahren einmal ein 18-Millionen-Dollar-Vermögen zusammengespielt hatte, aber heute »wirklich keine Ahnung mehr hat, wie arm oder reich ich tatsächlich bin«.

So manche Nacht nämlich ist er »völlig pleite ins Bett gegangen, nicht einmal eine Busfahrkarte konnte ich mir kaufen«, dann wieder zockte er drüben im »Flamingo«-Hotel in einer Nachtschicht gleich 840000 Dollar zusammen.

»Er war der größte aller Pokerspieler«, behauptet Benny Binion, Kasinobesitzer in Las Vegas, »Johnny ist eine absolute Ausnahmeerscheinung.«

Wahrscheinlich ist Binion voreingenommen. Er ist 83, ebenfalls herzkrank und mit Moss befreundet seit gemeinsamen Falschspielertagen, damals, vor 60 Jahren im texanischen Dallas, als Binion mit Pferdehändlern, Cowboys und Maultierabhäutern pokerte »und keiner der Typen je mit sauberen Karten spielte« - natürlich auch Binion nicht.

Auf den Fremdling wirken Johnny und Benny höchst verwirrend. Beide sind ganz wirklich und scheinen zugleich aus Dutzenden von Western zu stammen. Meist saß er, erzählt Binion, mit einer geladenen Pistole am Tisch.

Heute zockt er nicht mehr. Die Augen sind ermattet, an Dollars freilich fehlt es ihm nicht. Er hat, im Gegensatz zu den Spielkameraden, die »meist im Armengrab verscharrt werden«, mit dem Glücksspiel Glück gehabt, ist Multimillionär »oder vielleicht noch mehr«.

Im schwarzen Rolls-Royce läßt sich der Kasinoboß in Las Vegas von seinem kantigen Leibwächter chauffieren. Benny Binion trägt goldene Knöpfe am Cowboyhemd, aus Antilopenleder und Pfauenhaut gefertigte Cowboystiefel und einen breitkrempigen Stetson. Sein Denkmal, ein metallener Cowboy zu Pferd, wurde für ihn in der Glücksspieler-Metropole bereits errichtet. Bei seiner letzten Geburtstagsfeier, im vergangenen November, trat Willie Nelson auf, und Benny bewirtete außer dem Country-Sänger »noch weitere 17999 meiner allerengsten Freunde«.

So groß etwa muß wohl die Gemeinde der Pokerfans sein, die im Zockerparadies von Las Vegas ihren Stammsitz hat. In Binions »Horseshoe Saloon«, wo die Pokerprofis im Dezember den »Hall of Fame Poker Classic« auskämpfen, dem »Golden Nugget«-Hotel und den anderen Etablissements am Ort zocken die

professionellen Spieler untereinander oder mit pokerverrückten Gästen.

Hinter einer kugelsicheren Glasscheibe hat Binion in einer Ecke seines Kasinos einhundert 10000-Dollar-Scheine ausgestellt, damit »die Leute wissen, wie soviel Geld aussieht«. Kostenlos können sich Touristen vom Kasinophotographen davor ablichten lassen.

Johnny Moss erhält - nahezu - jeden Kredit vom Kumpel Benny, obgleich der schon mal mahnt: »Er muß endlich einsehen, daß auch er älter wird und die Konzentration nachläßt.« Sein Rat: »Drei, vier Stunden tägliches Spiel, das reicht.«

Doch Pokern, argumentiert Moss, der an seinem Arbeitsplatz stets eine weiße oder blaue Schiebermütze trägt, »ist mein Geschäft, mein Leben. Etwas anderes habe ich nie gelernt«. Und: »Was mache ich ohne Pokern?«

Die Großen der Welt haben Moss während des Spiels beobachtet. Der sonderbare Milliardär Howard Hughes saß oft hinter dem Champion und durfte ihm sogar in die Karten sehen. Als Gegenleistung lieh Hughes dem Kartenprofi sein Flugzeug, wenn in Houston oder anderswo die Glücksspieler auf ihren Meister warteten. Johnny Moss ist der Senior der amerikanischen Zockerzunft, einer seltsamen Bruderschaft von rund 200, vielleicht 300 Pokerprofis, die nach dem Motto leben, das der legendäre Glücksspieler Nick ("The Greek") Dandolos prägte: »Das zweitbeste nach Spielen und Gewinnen ist Spielen und Verlieren« - 1966 starb er total verarmt.

Diese »professional card players« sind meist »hochintelligente Leute«, analysierte Pokerprofi Mickey Appleman, »doch unfähig, sich in die normale Welt einzuordnen«. Es sind Hochschulabsolventen wie Chip Reese, der eigentlich Anwalt werden wollte, Einwanderer wie der Chinese Johnny Chan, derzeit Pokerweltmeister, der sich vom Tellerwäscher zum Restaurantbesitzer hochzockte, gläubige Katholiken wie Berry Johnston, der sonntags nie spielt, sondern mit seiner Frau, die »einen König nicht von einer Dame unterscheiden kann«, die Messe besucht.

»Es sind kaltblütige Kerle«, meint Benny Binion, »keine Wahnsinnigen, sondern kühl unter Druck und mit allen Wassern gewaschen.« Für den texanischen Buchverleger und Pokerexperten John Jenkins sind die Spielkameraden »eine Mischung aus Goethe und Metternich, angereichert durch eine Prise Machiavelli«.

Jenkins jedenfalls, Hochschulabsolvent und seit 1982 Teilnehmer bei Pokerweltmeisterschaften, hat »niemals mit Männern an einem Tisch gesessen, die einen derart hohen Intelligenzquotienten hatten wie sie - weder Regierungsmitglieder noch College-Professoren«.

Über ihr Metier hat Hollywood Dutzende von Filmen gedreht - Pokerszenen in verräucherten Cowboykneipen, in denen Haus, Hof und Weib verwettet werden; Pokerszenen wie in »Cincinnati Kid«, in dem Steve McQueen den Altmeister Edward G. Robinson herausfordert (und verliert). In seinem Song »The Gambler« unterrichtet Kenny Rogers die Zocker mit der Karten-Weisheit: »You've got to know when to hold 'em, know when to fold 'em ...« (Du mußt wissen, wann du halten und wann du passen mußt).

Amerika, vermutet Binion-Sohn Jack, sei von Filmschauspielern, Sportstars und all jenen fasziniert, »die eine Existenz am Abgrund leben«, wie Gangster etwa oder eben Pokerprofis, die »Dinge wagen, von denen der Normalbürger zuweilen träumt«.

Die Geschichten werden herumgereicht wie hierzulande die Märchen von den Lottogewinnern. »High stakes players« (Höchsteinsatz-Spieler) heißen die Helden - wie etwa Doyle Brunson,

54, der in einer Nacht einmal 850000 Dollar verspielte, aber dennoch Besitzer einer Fernsehstation in Alabama wurde.

Brunson-Kollege Eric Drache, 45, geriet einmal mit annähernd fünf Millionen Dollar in die Miesen, allerdings nicht wegen seines Pokerjobs allein, sondern »weil ich auch die Würfel nicht in Ruhe lassen konnte«. Heute fährt er einen Jaguar XJ 12, trägt vorzugsweise weiße Leinenanzüge und läßt sich weder durch einen 100000-Dollar-Gewinn noch durch einen ähnlich hohen Verlust aus der Ruhe bringen: »Das erlebe ich im Jahr Dutzende Male.« Nur Kaffee bringe ihn um den Schlaf.

Zuweilen, räumt Walter ("Pug") Pearson, 60, allerdings ein, »ist es ein verdammt deprimierendes Geschäft« - nach 40 erfolgreichen Tagen hintereinander »reichen zwei Niederlagen und du bis pleite«. Sie alle, bestätigt Berry Johnston, 52, kennen »die Achterbahn der Gefühle - mal oben, mal unten«.

Nach durchspielter Nacht sind die Gesichter der Profis gezeichnet. Keine Regung ist zu erkennen, nur Gleichgültigkeit. »Pokerface« heißt dieser Ausdruck, undurchdringlich, leer. Sie schieben die - patriotisch - rot-weiß-blau eingefärbten 5000-Dollar-Chips über den Tisch, als seien es Elemente eines Spielzeugbaukastens.

In den kurzen Spielpausen, etwa wenn die Karten nach einer Stunde ausgewechselt werden, läßt Pearson seine Chips von der einen Hand in die andere fallen, als wollte er zählen, wie viele Porsches, wie viele Rennpferde er von dem Ertrag kaufen könnte. Aber solche profanen Gedanken hat er nicht: Für ihn bedeuten die Chips nichts anderes als ein »Arbeitsgerät, so wie die Harke für den Gärtner«.

»Die Lässigkeit und Unerschütterlichkeit der Elite im Umgang mit den gewaltigen Summen geht über das normale Fassungsvermögen hinaus«, notierte Poker-Autor Al Alvarez in seinem Werk »The Biggest Game in Town«, »ihre Wirklichkeit ist einfach anders.«

Geld, so stellt sich die Realität für Doyle Brunson dar, »bekommt erst Bedeutung, wenn man keines mehr hat«. Wer von den Jungs des harten Kerns pleite ist, erhält von den Spielkameraden Kredit, 50000, 100000 Dollar, selbstverständlich ungedeckt, auf Ehrenwort. »Wir hocken so viel zusammen«, klagt Eric Drache, »daß es mir manchmal scheint, als würden wir hier gemeinsam unsere Knastzeit absitzen« - Tag und Nacht, Nacht und Tag.

Oftmals sitzen sie mit Kopfbedeckung am Tisch, etwa einem Cowboyhut oder einer Baseballkappe, nicht selten tragen sie dazu eine Sonnenbrille. Es ist nicht das Licht, das sie stört, es sind »die Augen, die dich verraten können«, weiß Eric Drache. Unentwegt suchen die Spieler nach einem Zeichen der Nervosität bei den Gegnern, hoffen den Sekundenbruchteil des Zögerns zu erkennen, der Unsicherheit verrät. 75 Prozent des Spiels, glaubt Berry Johnston, der seit einem halben Jahrzehnt in Las Vegas vom Pokern lebt, »ist Psychologie und psychologische Kriegführung«.

Bei langen Nächten, so mußte es dem Gegner scheinen, döste Johnny Moss zuweilen ein, tatsächlich analysierte er heimlich die Reaktionen der Mitspieler. Gelegentlich ließ er - scheinbar versehentlich - eine Zigarette auf den Boden fallen. Unter dem Tisch beobachtete er um so schärfer: »Wer scharrt nervös mit den Füßen?«

Dem Veteranen, und beinah jedem anderen Pokerspieler, ist klar: »Sobald du deine Emotionen telegraphierst, nehmen sie dich aus wie eine Weihnachtsgans.« Dutzende von Vermögen, bedauert Moss-Kollege Pearson, habe er verloren, weil »ich mich manchmal einfach nicht beherrschen kann«. Die Folge: »Die Konzentration ist weg und das liebe Geld natürlich auch.« Pokern bedeutet für die Berufsspieler auch Mathematik, die Fähigkeit, Wahrscheinlichkeiten einzuschätzen - bei 52 Karten existieren insgesamt 2598960 mögliche 5-Karten-Kombinationen.

Pokern, das in der Bundesrepublik - in der Öffentlichkeit um Geld gespielt - als Glücksspiel verboten ist, betreiben die Las-Vegas-Zocker vor allem in zwei Varianten. Beim »Five Card Draw Poker« kann der Spieler von den fünf verteilten Karten drei gegen neue eintauschen. Das von den Profis bevorzugte, weil schnellere »Texas Hold 'Em« besagt, daß jeder Spieler nur zwei verdeckte Karten erhält und fünf als Gemeinschaftskarten offen in der Tischmitte liegen, die von allen Mitspielern zu den eigenen zwei Karten passend gefügt werden können.

Es gilt, möglichst Kombinationen von zwei, drei oder vier gleichen Karten zusammenzubekommen. Absolut siegessicher ist eine Folge von Zehn, Bube, Dame, König, As einer Farbe, der »Royal Flush«, der nach Berechnung von Experten mit der Wahrscheinlichkeit von 1:649740 gegeben wird.

»Auf das Glück allein kann man sich nie verlassen«, weiß Zocker Pearson, »man muß denken und denken und sich konzentrieren und noch einmal konzentrieren.« Der Wüstentemperatur angepaßt sitzt er am Pokertisch: Strohhut, blaue Tennisshorts, weiße Kniestrümpfe. Aus der Tasche seines Golfhemdes ragen ein halbes Dutzend Zigarren wie Miniaturschornsteine.

Die Taschen des Spielers wölben sich: 1000-Dollar-Scheine, Hunderter, mit Gummibändern in Bündeln zusammengehalten. Ein Päckchen Dollar, vielleicht ist es 20000 wert, womöglich 30000, wirft Pearson einem Kollegen vor die Kaffeetasse: »Let's flip a coin for it«, laß uns 'ne Münze werfen, Kopf oder Adler sollen über das Geld entscheiden. Der Herausgeforderte lehnt ab.

Der 2-Zentner-Mann Pearson, der sich ein Einkaufszentrum zusammenspielte und Cadillac fährt, bekennt: »Spieler sind Männer, die nie erwachsen wurden. Sie sind nichts anderes als Kinder. Sie spielen den ganzen Tag, die ganze Nacht, ihr ganzes Leben.«

Pearson, der früher mit seinen Eltern immer dann umzog, wenn die Miete fällig war, verdankt seine Karriere dem Pentagon. Fünf Jahre diente er in der Navy, »meine Zocker-Lehrjahre«. Meist verdiente der Matrose durch das Glücksspiel auf hoher See mehr als die Befehlshaber seiner Schiffe Sold bekamen - »Flugzeugträger eingeschlossen«. Diese

Erfahrung, verbunden mit der kargen Kindheit, mischte sich zur Gewißheit: »Beim Glücksspiel ist das Geld leicht verdient, du mußt nicht leiden wie dein Vater.«

Den Papa-Mythos bemüht auch Kollege Drache, dessen Vater aus dem deutschen Solingen einwanderte. Der alte Drache kam, erinnert sich der Sohn, »zuweilen über Wochen nicht nach Hause«, weil die Gläubiger vor der Tür des Pferdewetters harrten. Sohn Eric verbrachte dreieinhalb Jahre lang jeden Tag auf der Rennbahn, verlor ständig und holte das Geld für die Pferdewetten nachts am Pokertisch.

Der Militärdienst in Vietnam bereicherte ihn um zwei Erkenntnisse: »Harte Arbeit ist nichts für mich.« Und: »Ich werde Pokerprofi.« In seinen elf Monaten als Militärpolizist in Saigon studierte Drache Pokerlehrbücher und spielte 60000 Dollar zusammen.

Der ehemalige Chemiestudent versteht durchaus, warum seine englische Frau Jane inzwischen Psychologie studiert und im nächsten Jahr ihre Doktorarbeit abliefern will: »Sie ist überzeugt, daß ich von derselben Krankheit befallen bin, die meinem Vater zusetzte.« Drache tröstet sich mit dem Gedanken: »Ein Pokerspieler, der im Kopf nicht klar ist, überlebt in Las Vegas höchstens eine Nacht.«

Kein Zweifel, ob jemand klar im Kopf ist oder nicht, darüber läßt sich lange streiten. Auf dem Golfplatz spielen Zocker wie Doyle Brunson Summen aus, die Golfprofis wie Bernard Langer an einem Tag kaum je kassieren: Vor jedem Loch schließen sie mit ihren Gegnern Wetten in Höhe von 5000 bis zu 20000 Dollar ab. Der Spieler, der mit der geringsten Schlagzahl einlocht, kassiert. Danach pokern sie im Klubhaus.

Unlängst trat Pearson gegen einen »dieser Rauschgifttypen aus El Paso an«. Am Ende war der Gangster um 180000 Dollar ärmer. »Kleingeld« für Pearson, Kleingeld wohl auch für seinen Spielkameraden, der die hohen Golfverluste mit den Pokerkarten reduzieren wollte und in Las Vegas »wohl zwei oder drei Millionen Dollar«, wie Pearson glaubt, gelassen hat. Dem Zocker gefällt die Spielerei mit den Mafiosi, weil sie »ganz einfach Dummköpfe sind«, »zumindest beim Pokern«, verbessert Pearson, »weil das eben nicht ihr Geschäft ist«.

Auf diese Typen warten die Profis. Die »haben beaucoup Geld und viel Zeit«, sagt der Spieler. Vor allem haben sie die Illusion, sie könnten - über mehrere Stunden oder Nächte - gegen die Routiniers bestehen. Gelegentlich gewinnen sie und kommen wieder, mit ihren Freunden und mehr Geld. Die Zocker überreden dann die Neulinge, das Bargeld gegen Chips einzutauschen, denn so »merken sie nicht so schnell, wieviel Geld sie eigentlich verlieren«, erläutert Eric Drache.

Die Veteranen wissen, wann ihre eigene Konzentration nachläßt. Profi Drache hat sogar Buch darüber geführt: »Nach

24 Stunden Einsatz habe ich eine Siegeschance von einem Prozent.« Daß man nur ausgeschlafen gut spielt, daß Kokain als Aufputschdroge nicht hilft - all das müssen pokerverrückte Amateure bei den Profis unter hohen Kosten lernen. Seit einem Jahrzehnt fliegt der Chef einer New Yorker Photomodellagentur nach Las Vegas ein, um mit Profi Don Williams, 46, »zu spielen und zu lernen«. Sein Lehrgeld: Hunderttausende.

Ein Multimillionär und Rennpferdezüchter aus Minnesota zockt nicht selbst, er läßt spielen. Bei Pokerturnieren finanziert er Profi Williams, mit dem er sich die Gewinne teilt. Die Verluste trägt der Sponsor, der offenbar Spaß hat am hochriskanten Geschäft. Williams: »Wenn ich gewinne, freut er sich, als sei ich eines seiner Pferde.«

Pokern ist zwar das wohl am weitesten verbreitete Kartenspiel der Welt, dessen Ursprung Historiker im spanischen »Primero«, dem deutschen »Pochen« oder auch im persischen »As Nas« vermuten. Doch in keiner Nation ist Pokern so populär wie in den USA. Etwa 50 Millionen Amerikaner sind Pokerspieler, obgleich Pokern - offiziell und öffentlich - lediglich in Nevada sowie (mit Einschränkungen) in Kalifornien, Montana und Washington zugelassen ist.

Irgendwie entsprach das Risiko, das »absolute alles oder nichts« dem Geist der Pioniere. Es ist bis heute die Philosophie mancher US-Bürger geblieben. Dennoch drängten die Gesetzgeber das Glücksspiel, so auch Poker, in die Hinterzimmer. »Es war ein hartes Geschäft«, erinnert sich Benny Binion, »die Falschspieler zockten mit gezinkten Karten, die Diebe wollten das Geld, die Polizisten versuchten dich einzusperren.«

Falschspieler schoben sich Miniaturspiegel unter die Fingernägel, damit sie schon beim Geben die Karten des Gegners erkennen konnten. Pokerkarten wurden oft schon von den Herstellern gezinkt. »Ehrlich«, so Johnny Moss, »war damals kaum einer.«

Inzwischen sind die schmierigen kleinen Geschäfte den gigantischen Umsätzen gewichen: Glücksspiel ist in den USA eine Wachstumsbranche, in der jährlich zwischen 30 und 50 Milliarden Dollar umgesetzt werden - und mehr als eine Handvoll davon am Pokertisch.

Zwar bedroht ein US-Gesetz die Berufszocker, die über die amerikanischen Bundesstaatsgrenzen zum Glücksspieleinsatz reisen, mit einer Zuchthausstrafe, »allmählich aber«, beobachtete Rentner-Zocker Johnny Moss, »bröckelt der Widerstand ab«.

In manchen Bundesstaaten werden neuerdings öfter öffentliche Pokerturniere toleriert. Dabei geht es zwar um geringe Einsätze. Aber die Berufsspieler spekulieren auf die »side games«. Bei den Spielchen am Rande fordern oft genug Amateure die Profis heraus und verlieren dabei, so Eric Drache, »ihre Hosen und ihr Kleingeld«.

In greller Leuchtschrift wirbt »Fitz«, eines der Vegas-Kasinos, mit kostenlosem Pokerunterricht - täglich um 13 Uhr. Pokermaschinen stehen in beinah jedem Nevada-Kasino. Daran sitzen schon, oder noch, morgens um sieben Uhr jene, denen der Einsatz von 25 Cents bis 1,25 Dollar pro Spiel ausreichend riskant erscheint.

Im Pokerraum des »Golden Nugget« zockt ein aus Indien stammender Chirurg mit einem aus dem Ostblock eingewanderten Zuhälter am Tisch, pokern Touristen aus Mississippi, die Baseballkappen mit der Aufschrift »I love mom« tragen. Lkw-Fahrer treten gegen Cowboys an, die ihre Hüte tief in die Stirn gezogen haben, offenbar ungestört von den Glücksspielautomaten.

»Mitleidig« sieht Profi Walter Pearson auf die Zockergruppen, die fünf bis zehn Dollar pro Wette riskieren, Stunde um Stunde, Tag um Tag spielen und selten hohe Einsätze wagen. »Das ist ja so, als würde man in einer Fabrik arbeiten - schrecklich dieser Gedanke«, erschaudert Pearson.

Für die ernsthafte Gemeinde kam die Bewährung wieder im Mai. 2500 Zocker meldeten sich bei den jährlich in Benny Binions »Horseshoe Saloon« ausgespielten Weltmeisterschaften. 167 Spieler riskierten den Einsatz von je 10000 Dollar beim »Texas Hold 'Em«. In diesem »freeze out«-Turnier können die Spieler keine Chips nachkaufen. Wer seinen Einsatz verspielt hat, ist draußen.

Johnny Moss war, erstmals in nahezu zwei Jahrzehnten, »nicht im Geld«, kassierte keinen Cent von den 1,67 Millionen Dollar Preisgeld. Weltmeister wurde ein anderer, jüngerer Spieler, den seine Konkurrenten als »absolut undurchschaubar, ungeheuer konzentriert und aggressiv« am Tisch einschätzen: Johnny Chan, 30.

Trotz dieser Konkurrenten bleibt Zocker-Greis Moss von seiner Einmaligkeit überzeugt: »Was die können, haben sie von mir gelernt.«

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