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KASSIM Märsche aus Ägypten

aus DER SPIEGEL 7/1963

General Kassim trug stets eine kugelsichere Weste, trennte sich nie von seiner schweren Armeepistole und benutzte eine gepanzerte SIS-Limousine, ein Geschenk seines zeitweiligen Gönners Nikita Chruschtschow.

Abd el-Krim el-Kassim, 48, hatte für solche Vorsicht gute Gründe. Dreimal während seiner Herrschaft als »Saim« (Führer) der von ihm nach einem blutigen Putsch im Sommer 1958 installierten Irakischen Republik hatten ihm Verschwörer nach dem Leben getrachtet:

- Anfang 1959 wurde Oberst Arif, zuvor stellvertretender Ministerpräsident und engster Mitstreiter Kassims, zum Tode verurteilt (jedoch später begnadigt), nachdem er gegen den General den Revolver gezogen hatte;

- im Oktober 1959 wurde Kassim während einer Fahrt durch Bagdad von elf Kugeln aus einer Maschinenpistole durchbohrt;

- wenige Tage später suchten Attentäter abermals den schwerverletzt im Krankenhaus Liegenden zu ermorden, doch der Anschlag mißlang. Am Freitag letzter Woche griffen die Verschwörer zu wirksameren Waffen. Gegen die Bomber der irakischen Luftwaffe, die im Morgengrauen das Kriegsministerium in der Rashid-Straße in

Bagdad angriffen, war Kassims kugelsichere Weste wirkungslos.

Das gelbe Backsteingebäude, in dem der General seit seiner Machtübernahme ein kleines, nur mit einem Feldbett ausgestattetes Zimmer bewohnte, wurde in Trümmer gelegt. Die putschenden Offiziere, die einen »Nationalrat der Revolution« gebildet haben, verkündeten wenig später über Radio Bagdad: »Wir haben mit Allahs Hilfe den Tyrannen getötet.«

Dasselbe hatte Kassim erklärt, als er am 14. Juli 1958 dem jungen Haschemitenkönig Feisal und dessen englandfreundlichem Premier Nuri es-Said ein blutiges Ende bereitete.

Damals wurde der Revolutionär Kassim als Befreier gefeiert. Sein Bild schmückte nicht nur 18mal sein eigenes Arbeitszimmer, sondern bald auch das ganze Land. Doch der Weg des Politikers Kassim, der sich »Liebling der Millionen« nennen ließ, war glücklos. Kassim hatte seine Revolution unter den Parolen des panarabischen Nationalismus zum Siege geführt, und die Armee war ihm begeistert gefolgt. Als seine Mitkämpfer aber Taten für ein Panarabien - die Vereinigung mit Nassers Arabischer Republik - verlangten, wandte sich Kassim gegen sie. Er wollte selbst Führer der Araber werden.

Der General stützte sich zunächst auf die Kommunisten und setzte einen willfährigen Volksgerichtshof ein, der die rebellierenden Nasser-Freunde aburteilte. Als jedoch die Kommunisten zu mächtig wurden, entledigte sich Kassim der gefährlichen Helfer mit Hilfe der Armee und eines Kriegsgerichtes.

Die Armee war danach die einzige Kraft, auf die er sich stützen konnte. Er hätschelte die Offiziere und belohnte seine Günstlinge mit teuren Villen, Dienstautos, Soldzulagen und lukrativen Staatsstellungen.

Umfangreiche Waffeneinkäufe im Ostblock und ein erfolgloser Kleinkrieg gegen die aufständischen Kurden im Norden des Landes verschlangen all jene Milliarden, die Kassim von den ausländischen Ölgeseilschaften kassierte. Für die Erfüllung seiner revolutionären Parolen - Landreform, Industrialisierung, Hebung des Lebensstandards

- blieben keine Gelder übrig.

Die wachsende Unzufriedenheit seiner Untertanen suchte der Diktator durch außenpolitische Abenteuer zu besänftigen. Doch der Griff nach dem benachbarten Ölscheichtum Kuwait, dessen Reichtümer seine leeren Kassen füllen sollten, scheiterte an eilig gelandeten britischen Truppen und dem gemeinsamen Widerstand der übrigen Araberstaaten.

Sein ständiger Streit mit Nasser wurde ihm schließlich zum Verhängnis. Teile des Offizierkorps fielen von Kassim ab. Die Putschisten bekannten sich jetzt in ihrer ersten Proklamation zur »panarabischen Einigung«. Die Rebellen unter der Führung des zum Staatspräsidenten ernannten Obersten Abdel Salem Arif nennen sich »freie Offiziere« - wie einst Nassers Revolutionäre. Radio Bagdad begleitete die Sondermeldungen der Putschisten mit ägyptischer Marschmusik.

Und Radio Kairo, die Stimme des Nil-Diktators, kommentierte den Sturz Kassims triumphierend: »Das ist das Schicksal, das jeden Tyrannen, Opportunisten und Feind des Volkes ereilt.«

Irak-Diktator Kassim

Bomben im Morgengrauen

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