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Mageres Hühnchen

Der Staat Israel lebt nur noch auf Pump. Brechen jetzt die Staatsfinanzen zusammen?
aus DER SPIEGEL 3/1977

Milton Friedman, US-Ökonom und Nobelpreisträger, sah Unheil bei den Juden.

»Israel hat eine hundertjährige Tradition sozialistischer Wirtschaftsplanung«, klagte der erzkonservative Wirtschaftswissenschaftler in Jerusalem. Doch zugleich entdeckte er Tröstliches: »Glückseligerweise hat es auch eine viel stärkere zweitausendjährige Tradition, wie man Verordnungen und Regelungen umgeht. Sonst wäre der Staat schon längst in den Abgrund gerutscht.«

Dem Sturz in den Wirtschaftsruin ist das Land in der Tat verdächtig nahe gerückt. Zwar liegt Israel mit seinem Prokopfeinkommen an 22. Stelle der Weltrangliste -- noch vor einigen westeuropäischen Ländern wie Großbritannien und Italien. Doch bezahlt haben den Wohlstand andere: Der jüdische Staat hat pro Kopf den größten Schuldenberg der Welt.

Israels Auslandsschulden erreichten am Jahresende 9,4 Milliarden Dollar (über 23 Milliarden Mark). Jeder Israeli schuldet damit rund 2626 Dollar dem Ausland.

Ebenso hoch türmen sich die Schulden, die Israels öffentliche Hände im Inland gemacht haben: Rund 85 Milliarden israelische Pfund (22,5 Milliarden Mark).

Der gesamte Pump ist schon jetzt weit höher als das jährlich erwirtschaftete Bruttosozialprodukt. Allein für Tilgung und Zinsen müssen inzwischen ein Fünftel des Staatsbudgets im kommenden Finanzjahr 122,5 Milliarden Pfund -- abgezweigt werden. Über 50 Prozent des Haushalts gehen in die Verteidigung, für alle übrigen Aufgaben des Staats bleibt der magere Rest.

Obwohl Israel seine Bürger und Unternehmen mit den höchsten Steuern der Welt belastet, klaffen seit Jahren immer größere Lücken im Staatshaushalt. Immer hektischer versuchten Jerusalems Etatstrategen, die Defizite mit neuen Anleihen zu stopfen.

Die Methoden der staatlichen Geldbeschaffung indes erwiesen sieh als überaus fragwürdig.

Weil galoppierende Inflation schon vor 15 Jahren den Israelis die Sparfreude verdarb und nur wenige bereit waren, Gelder langfristig anzulegen, ersann die Regierung ein System, um trotzdem Kapital aufzutreiben: 1962 koppelte der Staat seine Schuldscheine generell an den Index der Lebenshaltungskosten -- bei vier Prozent Zinsen und voll von der Steuer absetzbar.

Jahr für Jahr pumpte sich der Fiskus mit Hilfe derart vor Wertverlust geschützten Obligationen Millionen-Beträge. Für die Privatwirtschaft blieb am Kapitalmarkt für dringend benötigte Investitionen nichts übrig. »Bei einer durchschnittlichen Rendite von fünfzehn bis zwanzig Prozent will niemand seine Gelder in der Industrie investieren, schon gar nicht, wenn die Inflationsrate mindestens doppelt so hoch ist«, stöhnte Gewerkschaftssekretär Jerucham Meschel.

Sein Vorgänger an der Spitze der Histadrut (Gewerkschaft>, Jizchak Ben-Aharon, bedauerte, das System der Indexierung habe eine »neokapitalistische Gesellschaft mit über 100 000 Spekulanten geschaffen«. Zu denen gehören dann freilich auch die Arbeitnehmerfunktionäre. Einen großen Teil der Staatsschuldscheine halten nämlich die gewerkschaftlichen Pensionskassen.

Als die staatliche Schuldenwirtschaft dazu gerührt hatte, daß kein Privatkapital mehr in produktive Industrieinvestitionen floß, sprang die Regierung mit Krediten ein, die sie sich selber erst besorgen mußte.

Doch im Gegensatz zu den indexgebundenen Staatsanleihen wurden die von der Regierung an die Unternehmer vergebenen Darlehen nicht indexiert. »Sie erhalten vom Staat einen fetten Stier und geben nach Jahren ein mageres Hühnchen zurück«, urteilte ein Gewerkschaftsführer. Histadrut-Sekretär Meschel verspürte gar »eine Erschütterung des sozialen Gleichgewichts«.

Der Vorsitzende des Industriellen-Verbandes Abraham hingegen findet das alles durchaus in Ordnung. Denn »jeder Bürger wird sowieso von der Wiege bis zum Grabe, von der Geburtenhilfe bis zu den Bestattungskosten, vom Staat subventioniert«.

Ob Israel unter Ministerpräsident Jizchak Rabin diese Wohlfahrt noch lange durchhält, ist zweifelhaft. Mit zerrütteten Staatsfinanzen trudelt das Land in seiner bislang schwersten Wirtschaftskrise.

Im Laufe von drei Jahren stiegen die Preise um 96 Prozent. Mit Ölkrise und Weltrezession schrumpfte zwei Jahre lang das Bruttosozialprodukt, es wächst in diesem Jahr nur um magere zwei Prozent. Die Zahlungsbilanz weist ein Loch von 3,5 Milliarden Dollar aus. »Wir können nur wieder auf die Füße kommen«, mahnt Notenbankgouverneur Arnon Gafny, »wenn alle von uns wirtschaftliche Opfer bringen.«

Dazu scheint hingegen kaum einer bereit. Als die Regierung beispielsweise Nahrungsmittel-Subventionen streichen wollte, um die Staatskasse zu schonen, traten Zehntausende von Arbeitern in den Streik. Weil das Parlament Zuschüsse für den Nahverkehr kappen wollte, legten Tel Avivs Busfahrer entschlossen die Arbeit nieder und stürzten so die Stadt in ein Chaos. Versuche, das System der ebenfalls an die Teuerung gebundenen Löhne zu revidieren, gingen ins Leere.

Die Ausrufung des Wirtschaftsnotstandes forderte denn auch kürzlich der Generaldirektor des Landwirtschaftsministeriums, Reuven Eyland, in einem Brief an Finanzminister Jehoschina Rabinowitz. Danach sollen unter anderem alle öffentlichen Körperschaften ausgeglichene Budgets vorlegen. Um das zu erreichen, sollen Subventionen radikal gekürzt, Entwicklungsprojekte -- mit Ausnahme für Energie- und Wassergewinnung -- eingestellt werden.

Die Chancen, Einnahmen und Ausgaben des Staates auszugleichen, stehen indes schlecht

Schon im laufenden Jahr werden allein beispielsweise Rückzahlungen und Zinsen der indexgebundenen Staatspapiere alle Haushaltsgrenzen sprengen. Denn die Inflation galoppiert mit 35 Prozent, für 1977 werden mindestens 25 Prozent erwartet. Jede Index-Steigerung um ein Prozent erhöht automatisch den staatlichen Schuldenberg um weitere 750 Millionen Pfund (199 Millionen Mark).

Helfen könnte da nur noch eine Radikalkur. Die freilich ist angesichts bevorstehender Wahlen nicht in Sicht. Sorgt sich Oppositionsführer Menachem Begin:« Die Anarchie scheint vor der Tür zu stehen.«

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