PRESSE Maghrebinische Geschichte
Ich bin ein Snob wie Tito«, sagt Lajos Lederer, 75, England-Immigrant aus Ungarn, gern über sich. Er will der erste westliche Journalist gewesen sein, der einst den Streit zwischen Stalin und Tito meldete -- und auch damals dementiert wurde. Seither gilt das Londoner Sonntagsblatt »Observer«, für das Lederer seit 34 Jahren schreibt, als besonders gut informiert in der Ostberichterstattung.
»Lederer, what are you doing here?« habe Tito denn auch ausgerufen, als der Journalist aus London Anfang Oktober, während der Konferenz des Internationalen Währungsfonds, im Belgrader Save-Zentrum aufkreuzte. Behauptet Lederer.
Zugang zum streng bewachten Delegiertensaal und zum Präsidiumstisch hatte sich Lederer mit einem alten Photo verschafft, das ihn bei einem seiner sechs Tito-Interviews zeigte. Die Freude auf seiten des jugoslawischen Staats- und Parteichefs, 87, über das Wiedersehen war -- immer laut Lederer -- so heftig, daß es vor den Augen der versammelten Rockefellers und Rothschilds und 5000 weiterer Bankiers aus aller Welt zu einer stürmischen Umarmung kam.
Berichte vom Balkan, maghrebinische Geschichten des stets lustigen Lederer Lajos sind allemal schön bunt. Bricht er nach Belgrad auf, betrachtet er es jedesmal als seine journalistische Verpflichtung, »eine Bombe« heimzubringen. So weiß er als einziger, wer Titos Nachfolger wird: Doch unter zwei Kandidaten sind die internen Diskussionen, an denen Lederer und der britische »Observer« teilhaben, noch nicht abgeschlossen, so daß er lieber noch nichts verrät.
Obgleich Dutzende ständig in Belgrad akkreditierte Auslandskorrespondenten sich seit zwei Jahren vergebens die Augen nach der spurlos verschwundenen Tito-Gattin Jovanka ausschauen, benötigte Lederer nur einen Tag, um der weltweit Vermißten auf einem Wochenmarkt zu begegnen.
Er habe der noch fülliger gewordenen First Lady von einst sogar 80 rote Rosen geschenkt. Den Tip bekam Lederer laut Lederer von geheimen Anhängern Jovankas in der jugoslawischen Führung: In Palastintrigen werde er eingeweiht.
Folgt man Lederers Erzählungen. besteht Jugoslawiens Führung aus zwei miteinander unversöhnlichen Fraktionen: die eine für Lederer, die andere gegen ihn. Nicht begrüßt wurde er, so klagte Lederer vor Kollegen ia Belgrad und Wien, von Stane Dolane, der »sehr wütend auf mich ist«. Denn Lederer will als erster den Sturz des Slowenen von der Seite Titos gemeldet haben -- in Wirklichkeit berichtete die gesamte Weltpresse darüber.
Lederer weiter: Er sei ins Zentralkomitee eingeladen und stundenlang wegen einiger mißliebiger Artikel auch fast »vernommen« worden. Mit kommunistischen Bräuchen besonders vertraut, habe er Selbstkritik geübt.
Dafür sei er sofort in ein Staatsgeheimnis eingeweiht worden: Breschnew habe Tito einen Plan verraten, an dessen Ende die Wiedervereinigung Deutschlands stehen könne. Zu diesem Zweck sollten die Bundesrepublik und die DDR aus den militärischen Blöcken ausscheren; zusätzlich erklärt sich Breschnew bereit, die sowjetischen Truppen nicht nur aus der DDR, sondern auch aus Lederers Heimat abzuziehen -- wenn die Türkei und Griechenland gleichfalls die Nato verlassen.
Als »Exklusivmeldung« des »Observer« schlug Lederers Bericht aus Belgrad, wie gewünscht, als Bombe ein. Zwar dementierte Bonn schon einen Tag später: »Reine Spekulation.« Und auch der stellvertretende ZK-Abteilungsleiter Walentin Falin, einst UdSSR-Botschafter in Bonn, höhnte: »Der Inhalt -des »Observer?-Berichts existiert nur in der Phantasie des Verfassers.«
Doch die Opposition im Bundestag verlangte Aufklärung von der Bundesregierung, und die »Welt« spekulierte dreifach: Es könne sich um einen »Moskauer Versuchsballon« handeln, »eine gesteuerte Indiskretion« der Jugoslawen oder um »eine ganz gewöhnliche Zeitungsente«; am wahrscheinlichsten sei jedoch, daß »eine neue Runde des Moskauer Spiels« begonnen habe -- zur Stärkung »prosowjetischer Kräfte, etwa in der SPD!«
So ernst wie diesmal wurde Lajos Lederer schon lange nicht mehr genommen. Unmittelbar vor Beginn der Blockfreien-Konferenz in Havanna hatte er berichtet, Tito und Breschnew seien sich völlig einig, Castro werde in Havanna Tito bestätigen, Tito dafür einer Weltkonferenz der kommunistischen Parteien unter Beteiligung der Jugoslawen und unter Führung der KPdSU zustimmen.
Obgleich sich Lederer dabei auch auf seine Direktquellen in Titos Nähe berief, wagte es sogar eine kleine, gleichfalls in London erscheinende Exilzeitschrift namens »Nova Hrvatska«? die über ihre eigenen Belgrader Quellen verfügt, ihn einen senilen Scharlatan zu nennen, der nicht verwinden könne, daß seine alten Kontakte zu Belgrad längst gestorben seien.
Belgrader Kollegen wollen Lederer denn auch nur im Gespräch mit zwei nicht sehr hohen Funktionären beobachtet haben: Spiro Galovic und Dabrivoje Vidic -- Allerweltsbegegnungen, wie sie jedem ausländischen Journalisten angeboten werden.
Die Idee, Breschnew könne die deutsche Wiedervereinigung angeboten haben, sei Lederer, so behaupten Kollegen, auch gar nicht in Belgrad oder in Wien gekommen, sondern, noch später, erst in der Bundesrepublik, wo ihm solche Spekulationen entgegengehalten wurden.
Zweifeln Kollegen an seinem Zugang zu versperrten Quellen, so weist Lederer auf eine Gabe hin, die es ihm ermögliche, seine Informationen auch zu recherchieren: Er verfüge über ein besonderes Einfühlungsvermögen -- »ich kann die Russen verstehen«. ·