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AUSLIEFERUNG Maghrebinische Lösung

Der deutsch-jugoslawische Streit um einen Terroristen-Austausch verhärtet sich. Die Gerichte finden immer mehr Gründe, die acht Kroaten nicht auszuliefern. Kommen dann auch die in Zagreb inhaftierten Deutschen davon?
aus DER SPIEGEL 31/1978

Für Ilija Papac, 40, Kroate mit australischer Staatsangehörigkeit, ist es »ein schmutziges Geschäft, schrecklich«. Sein Glaube an ein freies Europa hat einen Knacks, seit er nicht mehr im badischen Eutingen lebt, sondern in einer Haftzelle in Stuttgart sitzt. »Ist das überhaupt möglich«, so Papac zum SPIEGEL, »in eine freie, westliche demokratische Deutschland? Ich bin unschuldig wie ein neugeborenes Kind.«

Papac ist einer von jenen acht Kroaten, die in der Bundesrepublik leben und derzeit ihre Auslieferung nach Belgrad befürchten -- Schachfiguren im offiziell zwar geleugneten, inoffiziell aber um so heftiger betriebenen deutsch-jugoslawischen Austausch-Gerangel um wirkliche oder vermeintliche Terroristen der jeweils eigenen Nation.

Als lebendiges Faustpfand und Opfer massiver politischer Interessen empfinden sich neben Papac sieben andere Kroaten: Franjo Mikulic, 45, Emin Fazlija, 40, Vladimir Cudic, 62, Damir Petric, 29, Ivan Dragoja, 32, Josip Bilandzic, 41, und Nikola Milicevic, 40.

Die Ungewißheit ihrer Zukunft verdanken alle acht der Inhaftierung jener

* Genoveva Bjlandzic mit Photo ihres verhafteten Ehemannes Stefan und Tochter Maria.

vier als Terroristen gesuchten Deutschen, die am 11. Mai in Zagreb hinter Schloß und Riegel gingen: Brigitte Mohnhaupt, 29, Sieglinde Hofmann, 33, Peter Jürgen Boock, 26, und Rolf Clemens Wagner, 33. Kaum war das Quartett gefaßt und das deutsche Auslieferungsbegehren avisiert, legte der Tito-Staat seine eigene Wunschliste vor -- willkommener Anlaß, die unliebsame Kroaten-Bewegung in der Bundesrepublik zu treffen.

Der Menschenhandel zwischen Bonn und Belgrad strapaziert seit zehn Wochen Richter ebenso wie Regierungen. Der Streit hat sich zum Testfall ausgewachsen für die Wirksamkeit internationaler Antiterror-Absprachen ebenso wie für die Bonner Haltung zu kroatischen Aktivitäten in der Bundesrepublik, für den praktischen Nutzen des deutschjugoslawischen Auslieferungsvertrages ebenso wie für die Schutzfunktion eines Rechtsstaates gegenüber womöglich rein politischer Verfolgung.

Als Resümee der Zwischenrunde läßt sich absehen, daß die deutschen Strafverfolger ihre Hoffnungen auf eine Überstellung der vier deutschen Terroristen werden fahrenlassen müssen, wenn Belgrad tatsächlich die Auslieferung jener acht Kroaten im Gegenzug zur Bedingung macht.

Denn bei vier von ihnen haben es die bundesdeutschen Oberlandesgerichte (OLG) von vornherein abgelehnt, sie überhaupt in Haft zu nehmen. Auch in den anderen vier Fällen läßt sich den Gerichtsentscheidungen entnehmen, daß die Argumente gegen eine Auslieferung -- bisher zumindest -- offenkundig schwerer wiegen.

Kurzfristige Lösungen sind nicht in Sicht. Selbst wenn eines jener Oberlandesgerichte, die vorsichtshalber die vier Kroaten schon mal in Haft genommen haben, schließlich einer Auslieferung zustimmen sollte, ist für Bremswirkung schon vorgesorgt. Anwalt Rolf Bossi aus München, der alle vier Inhaftierten vertritt: »Dann werden wir sofort beim Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung beantragen« -- und das dürfte angesichts der im Ost-West-Gefälle besonders heiklen Asylproblematik erst einmal Zeit kosten.

In ihren bisher ergangenen Entscheidungen haben die Oberlandesgerichte Köln, Frankfurt, Karlsruhe, Stuttgart, Saarbrücken, Hamm und München ein abgestuftes Rasterverfahren praktiziert, von der grobmaschigen Vorprüfung bis hin zu den letzten Feinheiten des Asylrechts. Das richterliche Stufenschema: Ist der Tatverdacht jeweils konkret genug belegt, handelt es sich um politische Straftaten (deretwegen nicht ausgeliefert werden darf), geht es um Straftaten gegen das Leben (deretwegen, ob politisch oder nicht, ausgeliefert werden darf), und schließlich die Frage, ob Grundsätze des Asylrechts der Auslieferung entgegenstehen.

Allen acht Exil-Kroaten wirft Belgrad jeweils verschiedene Formen der Aktivität in terroristischen Vereinigungen vor -- was gleich die Grundsatzfrage aufwarf, ob alle in der Bundesrepublik tätigen Kroatenvereine allein schon deshalb Terrororganisationen sind, weil sie für ein freies Kroatien und folglich gegen den Tito-Staat eintreten. Es fehle, bemängelt das OLG Saarbrücken im Fall Mikulic, »an der Darlegung, aus welchem Grund diese Vereinigungen verbrecherischer oder terroristischer Aktionen bezichtigt werden und welcher Handlungen der Verfolgte konkret beschuldigt wird«.

Ähnlich bei Fazlija die Kollegen vom Stuttgarter OLG: Es sei nicht zu erkennen, wieso es sich bei der Organisation um eine terroristische handele, ja noch nicht einmal, wo diese Organisation bestehe und arbeite. Inhaltsgleich urteilte das OLG München im Fall Cudic, bei dem die Richter den Belgrader Papieren unter anderem nicht entnehmen konnten, »welche Umstände dafür maßgebend sind, daß es das Ziel dieser Vereinigung ist, (in Jugoslawien) Morde und Gewalttaten zu begehen und Terror auszuüben«.

Aber auch da, wo die jugoslawische Justiz den von ihr beschuldigten Kroaten nicht nur Organisationsdelikte, sondern handfeste Straftaten vorwirft, erschien das Beweismaterial den deutschen Richtern fast durchweg zu dünn. Mikulic etwa soll nach Belgrader Version ein Flugzeug der TWA entführt haben. Dazu die Richter: »Noch nicht einmal der genaue Zeitpunkt, der Ort der Tat bzw. die Beschreibung der Fluglinie ist angegeben.«

Ivan Dragoja soll, ebenso wie Papac und Mikulic, im Juni 1977 am Sprengstoffanschlag auf den »Hellas-Expreß« (ein Toter, acht Schwerverletzte) beteiligt gewesen sein -- die Frankfurter Richter halten indessen erst einmal »nähere Konkretisierung des Tatbeitrages« vonnöten. Auch die Bilandzic zur Last gelegten Straftaten, so befand das Kölner OLG, seien »in tatsächlicher Hinsicht noch nicht in genügender Weise dargelegt worden«.

Noch einen bemerkenswerten Schritt weiter ist im Fall Petric das Oberlandesgericht Hamm gegangen. Belgrad wirft Petric seine Tätigkeit für die in der Bundesrepublik verbotene antijugoslawische »Kroatische Revolutionäre Bruderschaft« vor. Hier liege, so befanden die Richter, »ersichtlich« eine politische -- grundsätzlich also auslieferungshindernde -- Straftat vor. Das Gericht überwies den Fall an den Bundesgerichtshof, der nun klären soll, ob allein die Mitgliedschaft in einer auf Mord und Totschlag gerichteten Organisation schon Teilnahme an einem Verbrechen gegen das Leben ist.

Wenn ja, wäre hier, stichhaltige Beweise vorausgesetzt, die Auslieferung möglich. Beantworten aber die Karlsruher Oberrichter jene Frage negativ, so fallen auch in den anderen sieben Fällen sämtliche Vorwürfe unter den Tisch, die sich lediglich auf Mitwirkung in einer solchen Vereinigung beziehen -- gerade das könnte Belgrad noch am leichtesten nachweisen, besser jedenfalls als einzelne Straftaten.

Sachstand letzte Woche: Mikulic, Cudic, Petric und Fazlija auf freiem Fuß. In den Fällen Papac, Dragoja, Bilandzic und Milicevic reichte es einstweilen für einen Haftbefehl, aber noch lange nicht für die Auslieferung.

Die gründlichste und wohl auch folgenreichste Entscheidung ist der Münchner OLG-Beschluß in Sachen Cudic, gestützt auf Grundgedanken zum Asylschutz. Cudic wird die Teilnahme an dem Sprengstoffanschlag von 1972 auf das jugoslawische Generalkonsulat in München (Sachschaden) vorgeworfen. Die Münchner Staatsanwaltschaft stellte Ende 1972 die Ermittlungen ein; gegen Cudic ergab sich kein Anhalt für Tatbeteiligung.

Zwar verböte auch das Asylrecht eine Auslieferung nicht schlechthin. Aber eine auslieferungshindernde -- politische Verfolgung. so die Richter, könne »gerade darin liegen, daß dem Verfolgten ohne ausreichende Beweise eine Straftat angelastet wird, die das Hindernis des Asylrechts auszuräumen und folglich zur Auslieferung zu führen geeignet ist. weil sie z. B. Asylunwürdigkeit indiziert«.

Deshalb sei es für das Gericht hier zwingend geboten. ausnahmsweise auch den Tatverdacht besonders sorgfältig nachzuprüfen, zumal »die Möglichkeit einer politischen Verfolgung nicht den Umständen nach völlig fern liegt«. Schwerlich erfüllbare Aufforderung an Belgrad: Beweise für ein Delikt in München zu liefern, das dort schon die Kripo nicht aufklären konnte.

Belege ganz anderer Art hat Anwalt Bossi im Fall Bilandzic jetzt den Kölner Richtern eingereicht: notarielle Erklärungen eines deutschen und eines jugoslawischen Zeugen. Sie schildern unter Angabe von Zeitpunkt. Ort und Namen, wie ihnen der jugoslawische Geheimdienst den Auftrag erteilte, Bilandzic für ein Kopfgeld von 60 000 Mark zu erschießen. Der erste Auftrag sei 1975/76 ergangen ("Innenministerium und Bundeskanzleramt habe ich schriftlich informiert"). Auftrag Nummer zwei sogar erst Ende 1977.

Spärlicher kommt Kunde vom anderen Ende des deutsch-jugoslawischen Terroristen-Pokers: Eine Haftstrafe für unerlaubte Einreise hätten die vier Deutschen inzwischen verbüßt, nun säßen sie in Auslieferungshaft; Belgrad, so sickerte durch, bestehe nun auch auf Nachbesserung der Bonner Auslieferungspapiere. Mag sein, daß sich die Jugoslawen ermuntert fühlen, auch dem Terrorismus westdeutscher Prägung nun ihrerseits politisches Handeln -- gegen den Monopolkapitalismus etwa -- zu attestieren und damit die Auslieferung zu blockieren.

Balkankenner tippen eher auf eine »maghrebinische Lösung": Eines Tages seien die vier Häftlinge womöglich auf und davon, wer weiß wie.

* 1976 in Frankfurt vor Gericht. Er war wegen eines Sprengstoffattentats angeklagt, hei dem er den rechten unterarm verloren hatte.

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