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Artikel 80 / 86

Briefe

Magiebelastete Wissenschaft
aus DER SPIEGEL 42/1978

Magiebelastete Wissenschaft

(Nr. 40/1978, SPIEGEL-Titel »Krebs: Hackethal gegen die Ärzte«; SPIEGEL-Streitgespräch der Professoren Hackethal und Rothauge über Prostatakrebs; Nr. 41 /1978, Briefe)

Ich würde dringend jedem Laien den Rat geben: nicht zweifeln an der Lauterkeit von Professor Hackethal.

Aschaffenburg (Bayern)

BERNHARD MESSENZEHL

Sie suchen die Lösung der Probleme an falscher Stelle. Dies sind die noch offenen Fragen zum Prostatakrebs:

Warum hat der Vater im Eichsfeld den kleinen Julius so geschlagen? Warum haben die Ordinarien den großen Julius so traktiert, daß er jetzt als » Raubtier« wütend alle Urologen anfällt? (Wer ist das nächste Opfer?).

Viel wichtiger: Warum wird sträflicherweise in der Diskussion um die sogenannte »Prostata«-Vorsorgeuntersuchung die Fahndung nach dem Mastdarmkrebs völlig mißachtet? Ich hoffe. daß sich Herr Hackethal diesem Argument nicht entzieht.

Northeim (Nieders.)

DR. MED. DETLEV BUETTNER Facharzt für Chirurgie

(an der Vorsorgeuntersuchung nicht beteiligt)

Professor Dr. Hackethal hat recht. Mir ist durch einen Hamburger Urologen in den letzten drei Wochen genau das so passiert. Ich bekam zwei Tage nach der Biopsie leichtes Fieber, Kopfschmerzen und eine Infektion der Hoden.

Hamburg HELMUT CARSTENS

Der manische Totalitätsanspruch des Dr. K. H. Julius Hackethal kann nur noch einen Psychiater interessieren.

Eutin (Schlesw.-Holst.)

DR. MEt). THEODOR KÖRNER Facharzt für Chirurgie

Die Medizin ist eine magiebelastete unexakte Wissenschaft. Daher seit je Tummelplatz für Außenseiter, Sektierer, Schelme und Scharlatane. Leute, wie Dr. Eisenbart und Oswald Kolle fanden immer ihr Publikum. So auch Professor Hackethal.

Wenn der ebenso unsensibel und skrupellos in die menschlichen Organe hackt, wie auf seine Kollegen und deren Arbeit, kann es mit seiner Qualifikation als Arzt nicht weit her sein. Wenn er ein Säckchen Salz mit der Konsistenz drüsiger Gewebe vergleicht, scheint er noch nie eine Prostata getastet zu haben. So ersetzt er mangelnde Bedeutung durch agitatorische und gewissenlose Publicitysucht.

Das ist seine Macke. Man sollte ihn »Mackethal« nennen. (Anbei eine meiner Karikaturen zum Thema Hackethal).

Hamburg

DR. MED. ARMIN SCHÄFFER Röntgenarzt

Sie bezeichnen Herrn Professor Hackethal als Michael Kohlhaas, mitnichten sage ich. wenn Sie den Kleistschen meinen. Viel mehr Ähnlichkeit sehe ich zu Friedrich Nietzsche. der nicht nur »Der Antichrist -Fluch auf das Christentum« (1888) schrieb, sondern sich nach Ausbruch seiner nachsyphilitischen Hirnerkrankung in Briefen an den italienischen König und andere als der »Geopferte« und der »Gekreuzigte« bezeichnete, sich schließlich auch »Dionysos« nannte, den als Bock oder Stier Erscheinenden, der die Menschen von Sorgen befreit, Fesseln sprengt und Mauern einstürzen läßt -- leider aber nur im Märchen. L'enfer, c'est les autres, sagt Sartre dazu.

Hamburg PROF. DR. W. DIHLMANN Chefarzt des Röntgeninstituts Allgemeines Krankenhaus Barmbek

Wenn man weiß, wie schwer es in diesem Staate ist, gegen etablierte Institutionen anzugehen, dann ist allein die Zivilcourage dieses Mannes so viel wert, daß er verdient, gehört zu werden. Denn Menschen mit soviel Zivilcourage gibt es nur selten. Viel Glück, Herr Hackethal.

Willstadt (Bad.-Württ.) H. JUNG

Wenn man absieht von der Eindämmung der großen Seuchen, der Erleichterung mancher Diagnostik sowie mancher Rettung aus schlimmer Not durch Operation und/oder Arznei sowie Anästhesie -- wenn man dagegen aufrechnet lebenslängliche Hypochondrie, ja Hysterie entfachende Krebs- (und ähnliche) Verängstigung -, dann darf man Hackethal beipflichten: die heute bei uns indoktrinierte Medizinpraxis (arzneilich wie halb- oder ganzoperativ) bringt mehr Schaden als Nutzen.

Allerdings vermisse ich in Ihrem Talk die Warnung vor dem sehr viel häufigeren nichtkrebsigen Harnröhrenverschluß durch »Prostata-Hypertrophie«. Diese »gutartige« Harnverhaltung verlangt sogleich »gekonnte« operative Entfernung der gewucherten Prostata: sonst droht Dauer-Schädigung von Nieren und Herz.

Köln

DR. MED. HABIL. WERNER KAUFMANN Magen-Darm-Praktiker

Eigentlich fehlt jetzt nur noch eine Single, vielleicht der Happy-Hacke-Huft-Hit. Dann hat er wirklich den ganzen Medienmarkt abgesahnt. Wahrlich ein guter Arzt.

Mölln (Schlesw.-Holst.) DR. DIETER JACOBI

Chirurg

Zumindest setzt dieser sympathisch mutige Mann Denkanstöße, die nicht in die gewohnte Richtung gehen. Daß es seine Kritiker dabei so schwer mit ihm haben, spricht meines Erachtens nur für ihn.

Erfstadt (Nrdrh.-Westf.) GERHARD KOBEK

Nach der Lektüre dieses lehrreichen Streitgespräches muß man auf Grund des Inhalts wie Stils der Äußerungen des Herrn Hackethal zugeben, wie recht wohl alle die haben, die schon seit einiger Zeit -- zu seiner Entschuldigung -- meinen, daß es sich um den Amoklauf eines (schweren!) Psychopathen handelt. Er tat gut daran, an seine Praxis das Schild »Vorsicht, Arzt!« anzubringen, besser allerdings wäre noch »Vorsicht, bissiger Arzt!« -- von wegen »Raubtier ...« und so.

Bremen DR. MED. WALTER F. HENSCHEL. Ärztlicher Direktor des Zentralkrankenhauses St.-Jürgen-Straße

Das empfohlene Praxisschild »Vorsicht, Arzt!« heißt wohl kaum: Meide den Arzt! Über den Jux hinaus bedeutet es: Halt einen Moment inne! Es geht um anderes und um mehr, als nur einen scheinbar artfremden Knubbel wegschneiden zu lassen. Nicht nur du könntest Krebs haben -- isoliert irgendwo da unten -, der Krebs hat vielleicht dich. Er gehört so zu dir wie dein zunehmendes inneres Verklebtsein, wie deine klamme Gier, das innere Absterben deiner Gefühle. Für den Krebs selbst ein gut Teil Verantwortung zu übernehmen ist Anfang aller Prophylaxe, aller Gesundung.

Bonn DR. ELMAR STRUCK

Dipl.-Psychologe BDP

Jammerthal der deutschen Medizin, wo ein Körnchen Wahrheit mit arroganter Besserwisserei zum publizistischen Ejaculatio praecox (vorzeitiger Samenerguß) geführt hat. Neu-Ulm (Bad.-Württ.)

DR. MED. JUAN N. WALTERSPIEL

Entgegen allen weltanschaulichen, religiösen und auch medizinischen Unterscheidungen des Herrn Professor Rothauge haben der Mediziner Rothauge und der Mensch Rothauge nur einen einzigen »kollektiven« Arsch.

Und doch hat er gerne zwei: Einen, um daran zu demonstrieren, wie medizinisch unbedenklich die Diagnosetechnik der Prostatabetastung sei.

Einen zweiten Arsch (in Wirklichkeit natürlich seinen einzigen einen), an den er sich »bisher noch nicht« zwecks Vorsorgeuntersuchung hat packen lassen, und zwar aus verschiedenen Motiven, zum Beispiel weltanschaulichen, religiösen und medizinischen(!) Motiven«.

Bielefeld ANDREA HAAG HELMUT KLARE

Wir wollen heute nicht behaupten, daß der Herr Professor bald in psychiatrische Behandlung gehört, o nein, sondern darüber -- und Herr Hackethal sei hiermit aufgefordert, dazu erschöpfend Rede und Antwort zu stehen -. ob er bei seiner fast zu Tränen rührenden konsequenten Haltung nach außen auch den gesamten Erlös aus seinen Büchern zum Beispiel der Stiftung für das behinderte Kind oder dem Deutschen Roten Kreuz zukommen ließ und läßt oder etwa gar egoistischerweise in die eigene Tasche schiebt. Neckarsulm (Bad.-Württ.)

DR. WILHELM LIPFERT Medizinaldirektor, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Neurochirurg

Seit vielen Jahren verkaufe ich an Urologen Spezialinstrumente. Mindestens ein bis zwei Vormittage verbringe ich wöchentlich in den OPs (bei Operationen natürlich), ich weiß also, worüber ich schreibe.

Herr Professor Rothauge mag ein hervorragender Anatom und Pathologe sein. Ich darf ihn aber an die Ergebnisse des letzten Meetings der EORTC (European Organisation for Research and Treatment of Cancer) in Monte Carlo am 14. Juni 1978 erinnern: Führende Urologen, Radiologen, Immunologen mußten hier eingestehen. daß es trotz zehnjährigen Bestehens der Organisation nicht gelungen ist, eine einheitliche Therapie gegen Prostatakrebs zu finden, daß dieser vielmehr von jedem Chefarzt, jedem Lehrstuhl nach eigenem »Hausrezept«, mit überall gleich schlechten Ergebnissen bekämpft wird.

Wie oft wird vom Operateur, aus welchen Gründen auch immer, am Patienten ein Eingriff durchgeführt, den man an sich selbst sicherlich nicht durchführen lassen würde!

Tuttlingen (Bad.-Württ.) KARSTEN DEBOLL

Falls Herr Hackethal, außer pausenlos darüber zu schreiben, sich außerdem für die Medizin interessieren sollte. wäre ihm zu empfehlen -- auch wenn er schon alles weiß -- in der internationalen Literatur wenigstens die Überschriften zur Kenntnis zu nehmen oder gelegentlich eine Fortbildungsveranstaltung in besuchen (die erste hat er ja von Professor Rothauge erhalten).

Falls Chirurg Hackethal auch in der Urologie. was ich fast befürchte. nichts hinzulernen muß, sollte er wenigstens sein erschriebenes Geld in eine Schutzklinik vor Urologen für Patienten mit enddifferenziertem Prostatakarzinom investieren -- vielleicht kann er die grausamen Schmerzen beim Auftreten der Rückenmarkmetastasen durch Handauflegen etwas lindern helfen.

Fazit: Welch Glück, daß wir Urologen der ganzen Welt Herrn Hackethal haben, sonst wüßten wir womöglich gar nicht, daß wir alle Idioten sind. Man sollte den Krebsmythologen Hackethal mit dem Nobelpreis dekorieren und als ersten Nichturologen zum Präsidenten der Internationalen Gesellschaft für Urologie machen, später dann zum Gesundheitsminister und in der Endstufe am besten zum »lieben Gott«.

Murnau (Bayern)

DR. MED. MANFRED STÖHRER Chefarzt der Urologischen Abteilung der Unfallklinik

In einer Zeit, in der mutmaßlich »mehr Leute von Krebs leben, als daran versterben«, kann es nur vorteilhaft sein. wenn jemand so effektiv und furchtlos den Finger auf die »offene Wunde« der Krebsforschung legt, anstatt ihre Stagnation durch kritiklose Übernahme der wenig fundierten »Lehrauffassung« zu stabilisieren. »Krebsangst«, die Hackethal abzubauen versucht, gehört möglicherweise zu den wesentlichen krebsfördernden Faktoren.

Solange unter »Vorsorge« -- »Früherkennung« und nicht »Vorbeugung« verstanden wird -- darum scheinen sich nur die »Außenseiter« zu kümmern -, solange Krebs etwas zu Be kämpfendes« ist und nicht gezielt mit Rücksicht auf Umgebung, Psyche und körpereigene Abwehr (ich denke hier vor allem an das Repairsystem) zu heilen ist, solange diese Krebsbekämpfung mit erheblichen Profit- und Prestigegründen verflochten ist, so lange wird sie auch ein bevorzugtes Gebiet von Scharlatanen aller möglichen Fachrichtungen bleiben.

Man erkennt sic nicht allein an gefälschten Daten, sondern oft auch daran, daß sic jeden gut gemeinten und relativ fundierten Versuch. einen besseren Weg zu finden, arrogant. polemisch oder bösartig bekämpfen.

Marburg DR. FRITZ A. POPP und Experimentelle Radiologie im Radiologie-Zentrum der Philipps-Universität Buchautor »So könnte Krebs entstehen«

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