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ITALIEN Makabre Post

Soll den Angehörigen einer Geisel per Gesetz das Zahlen eines Lösegeldes verboten werden? Darüber diskutieren italienische Politiker seit dem Entführungsfall Bulgari. *
aus DER SPIEGEL 52/1983

Die Sendung für Laura Calissoni-Bulgari war weich und ekelerregend. Eingewickelt in Plastik, lag einem Brief ihrer Mutter, 56, aus dem »Volksgefängnis« ihrer Entführer die abgeschnittene Ohrmuschel ihres Bruders Giorgio, 17, bei.

Mutter und Sohn des weltbekannten Juwelierhauses Bulgari waren am 19. November auf ihrem Landgut bei Aprilia, eine Autostunde südlich von Rom, von einem als Polizisten verkleideten Kommando vor den Augen des Personals entführt worden.

Parallel zu der makabren Post an die Familie der Geiseln hatten die Entführer ein erschreckendes Photo des ohramputierten Giorgio Calissoni-Bulgari mit einem Kurzkommunique an die Presse geschickt: »Das ist unsere Antwort auf die Sperrung des Vermögens der Familie. Wenn wir die geforderte Summe nicht auf Heller und Pfennig bekommen, bringen wir die Geiseln um.«

Die Entführer forderten fünf Milliarden Lire (rund neun Millionen Mark), die das Schmuckhaus an Roms Via Condotti auch zahlen wollte. Doch da verfügte ein Ermittlungsrichter, was Juniorchef Giovanni Bulgari 1975 nach einer vier Wochen währenden Entführungshaft und Zahlung eines Lösegeldes von einer Milliarde Lire als wirksames Mittel gegen die Entführungsepidemie empfohlen hatte: alle Konten einer betroffenen Familie gerichtlich zu sperren, um jede Zahlung auszuschließen.

Nach der Verstümmelung von Bulgari junior, dessen Ohr die Entführer laut gerichtsmedizinischem Gutachten »mit einer Rasierklinge stümperhaft abtrennten«, bat die Familie jedoch: »Hebt die Sperre auf, und laßt uns zahlen.«

Dahinter stand die Erkenntnis auch der Fahndungsbehörden, daß die Täter eine »improvisierte Bande« bildeten, die entschlossen sei, den Fall Bulgari noch vor Weihnachten zu Ende zu bringen. Deshalb schrecke sie nicht mal vor der »Sezierung ihrer Geisel« (so die linksradikale Zeitung »il manifesto") als Druckmittel zurück.

Zwar hatten schon 1974 kalabresische Entführer dem entführten Paul Getty jr. die Hälfte des rechten Ohrs abgeschnitten, um den milliardenschweren, aber zahlungsunwilligen Großvater zur Herausgabe einer siebenstelligen Lösegeldsumme zu bewegen - was dann auch rasch geschah. Auch gab es in der zehnjährigen Chronik der 514 italienischen Entführungen - ein europäischer Rekord - immer wieder grausame Episoden.

Dennoch zeigt die seit 1981 aufs neue ansteigende Entführungswelle eine nie dagewesene »Barbarisierung« (so das Magazin »Panorama") in dem oft als menschlich gerühmten Italien: Zunehmend sind Kinder und Frauen die Opfer.

Im Oktober wurde sogar ein Baby, Elena Luisi, 17 Monate alt, in der Nähe des toskanischen Städtchens Lucca aus dem Bett gerissen und verschleppt, nachdem die Täter Mutter und Großvater niedergeschlagen hatten.

Die Polizei entdeckte Baby und Bande, bevor ein Lösegeld gezahlt worden war. In dem in diesen Tagen angelaufenen Schnellverfahren gegen die zufällig zusammengekommene Gang gestand einer der Kidnapper, daß sie in einer ersten Schreckphase sogar daran gedacht hatten, das Baby samt Fluchtauto in Brand zu stecken.

Für Rocco Lupini, 10, der seit sieben Monaten von kalabresischen Entführern versteckt gehalten wird, betete am vorletzten Sonntag sogar der Papst. Er befürchtet, daß der Arztsohn dasselbe Ende nehmen könnte wie Marzia Savia, 11, die im vergangenen Jahr entführt wurde: Man fand das Kind erwürgt unter einer Autobahnbrücke in Venetien. Auch der entführte Edoardo Anni-Chiarico, 16, konnte nur tot geborgen werden.

In 13 von insgesamt 50 Entführungsfällen des vergangenen Jahres entledigten sich die Täter ihres Opfers und lästiger Zeugen durch Mord, obwohl eine Entführung mit tödlichem Ausgang den Kidnappern »lebenslänglich« einträgt. Und in 75 von 100 Fällen werden sie in Italien geschnappt.

Die 41jährige Rosanna Restani, Tochter des Präsidenten der staatlichen Salzwerke, wurde das Opfer einer 40 Mann starken Bande, die zehn Entführungen organisierte.

Ihr Bewacher, ein 61jähriger Mann, vergewaltigte sie mehrmals, sie wurde schwanger. Im Versteck organisierte die Bande sogar noch die Abtreibung, die eine ehemalige Krankenschwester gegen 2500 Mark ausführte.

Nach den Rekordjahren 1977 und 1979 (75 und 65 Entführungen) gelang es der Polizei dank neuer Fahndungsmethoden, in den Schwerpunktgebieten Lombardei, Kalabrien, Sardinien und Latium die größten Banden zu zerschlagen. Auch der Mario-Sale-Bande, unter anderem verantwortlich für die Entführung der Kronzucker-Kinder, war die Polizei auf die Schliche gekommen, obwohl der Sarde seine erpreßten Lire-Milliarden weit weg, in Caracas und Zürich, investiert hatte.

Drei Komplizen, die sich mit dem Boß nach Südamerika abgesetzt hatten, sind nach Italien zurückgekehrt und organisieren, so vermutet die Polizei, jetzt die neue Welle des italienischen Kidnapping-Geschäfts.

Die rund 130 Entführungen der letzten drei Jahre sollen der »Malavita« genannten Unterwelt etwa 70 Milliarden Lire (rund 120 Millionen Mark) eingebracht haben, die in sechs Monaten wahrscheinlich schon den 200fachen Wert erreichten, weil sie größtenteils in den Heroinhandel reinvestiert werden.

Vermutlich besteht deshalb auch ein enger Zusammenhang zwischen dem neuen Boom der Entfuhrungsindustrie und dem über Italien laufenden internationalen Drogenhandel.

Relativ gefahrlos können Verbrecher in Italien ihr auf diese Weise gewonnenes Geld in legale Wirtschaftszweige stecken. Die KPI fragte die Regierung bereits, wie sie die ehrliche Wirtschaft vor dieser »Infiltration des großen Verbrecherkapitals« schützen wolle.

Um so dringlicher schien der KPI, daß schleunigst ein Gesetz gemacht würde, das einer Geiselfamilie die Auszahlung der Lösegeldsumme unmöglich macht. Über ein solches Gesetz diskutieren nach den dramatischen Ereignissen im Entführungsfall Bulgari Minister und Richter - über die Präventivwirkung auf die Täter wie über die persönlichen Härten für die Betroffenen.

Einig sind sich alle in einem Punkt: Der »rohe Sadismus der neuen Gewaltverbrechen« (so Vatikanblatt »L''Osservatore Romano") beweist, wie abgestumpft der Bodensatz der italienischen Gesellschaft geworden ist. _(Das Photo - mit sichtbarer ) _(Kopfverletzung des Sohnes - schickten ) _(die Kidnapper. )

Das Photo - mit sichtbarer Kopfverletzung des Sohnes - schickten dieKidnapper.

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