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Bonn »MAKABRES THEATER«

aus DER SPIEGEL 21/1970

SPIEGEL: Herr Gansel, sind Sie mit dem Abschneiden der Jungsozialisten in Saarbrücken zufrieden?

GANSEL: Wir haben versucht, diesen Parteitag zu demokratisieren. Das haben wir ansatzweise geschafft. Zudem hatten wir uns das Ziel gesetzt, in den gesellschaftspolitischen Fragen Akzente zu setzen und durch unsere Diskussionsbeiträge politische Alternativpositionen klarzumachen. Das hat besser geklappt. Unser Ziel ist es nicht gewesen, In den Parteivorstand hineinzukommen.

SPIEGEL: Immerhin haben Sie gegen Helmut Schmidt kandidiert. Was haben Sie sich von Ihrer von vornherein aussichtslosen Gegenkandidatur für einen Steilvertretersitz im Parteivorstand versprochen?

GANSEL: Die Tatsache, daß Sie diese Frage stellen und daß diese Frage uns immer wieder gestellt worden ist, beweist, wie notwendig es war, mit einer Gegenkandidatur ernst zu machen.

SPIEGEL: Sind Sie nicht darüber deprimiert, daß keiner der Altsozialisten -- wie Jochen Steffen oder Walter Möller -- sich zu Gegenkandidaturen bereit erklärt haben?

GANSEL: Nein, das liegt daran, daß ältere Genossen sich nicht vorzeitig an undemokratischen Strukturen in der Partei kaputtmachen lassen dürfen.

SPIEGEL: Ihr Gegenkandidat, der Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt, gilt bei den Jungsozialisten als Symbolfigur des »ziellosen Pragmatismus«. Was sagen Sie dazu, daß der Parteitag Schmidt in einer so eindrucksvollen Weise bestätigt hat?

GANSEL: Diese Bestätigung ist Ausdruck des gegenwärtigen Zustands der Partei, den zu ändern wir uns zum Ziel gesetzt haben.

SPIEGEL: Minister Ehmke hat der jungen Linken den Rat gegeben, sich nicht in einer Fülle von Anträgen und Geschäftsordnungs-Debatten zu verstricken, sondern sich auf wenige Anträge zu konzentrieren. Warum sind Sie diesem Rat nicht gefolgt?

GANSEL: Wir haben versucht, diese Konzentration vorzunehmen, und haben bei unserem Antrag zur Änderung der Tagesordnung darauf hingewiesen, daß wir die Möglichkeit dazu haben müßten. Der Parteivorstand hat diese Pläne bewußt zunichte gemacht. Einer der Hauptakteure bei diesem makabren Theater ist übrigens Horst Ehmke gewesen.

SPIEGEL: Haben Sie nicht selber und Ihr Vorsitzender Voigt mit einem Auftreten, das von vielen Delegierten als »kalte Arroganz« empfunden worden ist, den Parteitag, vor allem die älteren Parteimitglieder, mutwillig gegen sich aufgebracht?

GANSEL: Wir sind in dem Bewußtsein hierher gegangen, daß wir nicht frei von Fehlern sind, und der Verlauf des Parteitags hat uns darin bestärkt.

SPIEGEL: Es war Ihr größter Erfolg, daß Sie einen Sonderparteitag über eine gesellschafts-reformerische Vermögens- und Steuerpolitik für 1971 erzwungen haben. Fühlen Sie sich jetzt nicht von dem Parteitagsbeschluß hintergangen, wonach Bundeskanzler Brandts gesellschaftspolitisches Langzeit -- Programm erst auf dem Parteitag 1972 verabschiedet werden soll?

GANSEL: Es ist wahrscheinlich ganz sinnvoll, diese Dinge In zwei Etappen zu diskutieren und den Willensbildungsprozeß innerhalb der Partei zweimal in Gang zu setzen.

SPIEGEL: Streben Sie 1971 auf dem außerordentlichen Parteitag bereits endgültige Beschlüsse über ein Reformprogramm an?

GANSEL: In Teilfragen werden wir sicherlich versuchen, schon 1971 zu Beschlüssen zu kommen. Aber selbst unsere langfristigen Ziele werden wir wohl doch vor den achtziger Jahren erreichen.

SPIEGEL: Wie sieht die Strategie der Jungsozialisten für die nächsten Parteitage aus, die ja schon 1971 und 1972 kommen und nicht erst 1980?

GANSEL: Wir werden mit der Vorbereitung des nächsten Parteitags in dieser Woche beginnen und werden versuchen, über gesellschaftspolitische Themen eine Diskussion in der Partei In Gang zu bringen, die der Vorstand bisher nicht in Gang gesetzt hat. Wir können darauf vertrauen, daß wir an der Basis der Partei nicht nur mehr Gehör finden, sondern auch mehr Überzeugungs-Chancen für unsere gesellschaftspolitischen Argumente haben werden.

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