Der Soziologe Beck, 58, lehrt in München und London. Kürzlich erschien von ihm: »Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter. Neue weltpolitische Ökonomie« (Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main; 478 Seiten; 20 Euro). -------------------------------------------------------------------
Zu der Zeit des Vietnam-Kriegs schallte es über den Atlantik nach Europa: Make love, not war. An der Schwelle zum Irak-Krieg ruft Europa zurück: Make law, not war. Präsident George W. Bush dagegen handelt nach der Parole: Make war, not law.
Die Welt ringt um neue Regeln der Weltinnenpolitik. Das Gründungsprinzip der Vereinten Nationen war die unverletzliche Souveränität der Nationalstaaten. Doch in der einen Welt, deren Bestand durch transnationalen Terrorismus, die Klimakatastrophe, globale Armut und entgrenzte kriegerische Gewalt gefährdet ist, garantiert dieses Prinzip nicht mehr den Frieden, also die innere und äußere Sicherheit der Staaten und Gesellschaften. Es schützt weder die Bürger vor der tyrannischen Verletzung ihrer Rechte noch die Welt vor der terroristischen Gewalt.
Das internationale Recht müsste, um dem zu begegnen, gestärkt und für die neuen Herausforderungen der Weltinnenpolitik geöffnet, nicht jedoch auf den Müllhaufen des Kalten Krieges geworfen werden. Wir erleben zurzeit die entscheidenden Augenblicke, in denen die Nationen die Wahl haben: zwischen der Neubegründung des zwischenstaatlichen Rechts, das die Werte der Modernität so auslegt, dass den neuen Bedrohungen wirksam begegnet werden kann - und der Rückkehr zum Hobbesschen Kampf aller gegen alle, wobei die globale Kriegsdrohung globales Recht ersetzen würde.
Dieser »moment of decision«, der sich bereits mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kalten Krieges angekündigt hatte und der seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 über den Horizont schimmerte, bricht nun grell hervor im Kampf gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein. Die Entscheidungen, die in den nächsten Wochen getroffen werden, formen die weltpolitische Geografie für die kommenden Jahre. Es geht letztlich um die Frage, ob an diesem Präzedenzfall die neue Bush-Doktrin »make war, not law« exemplarisch durchgesetzt werden kann. Danach sollen nicht Abschreckung und Eindämmung, sondern militärische Überlegenheit und Präventivkriege die Sicherheit Amerikas und der Welt gewährleisten. Die Gegenposition »make law, not war« bedeutet: Die militärische Option bleibt eine unter vielen, vorrangig sollen internationale Verträge, Kontrollen, Institutionen und Diplomatie die globalen Bedrohungen und Krisen entschärfen.
Die USA verkünden eine neue »nationale« Sicherheitsstrategie, die nichts anderes ist als das Handbuch der amerikanischen Weltinnenpolitik, der Pax Americana, an das sich von nun an Feinde wie Freunde Amerikas zu halten haben. Dokumentierte das Kommunistische Manifest des 19. Jahrhunderts eine Revolution von unten, so kommt das national-kosmopolitische Manifest des Global America am Beginn des 21. Jahrhunderts einer regierungsamtlichen Revolution von oben nahe. Insofern entscheidet sich an dem drohenden Irak-Krieg viel mehr als das Schicksal eines mutmaßlichen potenziellen Massenmörders und seiner Anhängerschaft. Präsident Bush hat Recht: Ein militärischer Alleingang der USA würde mit der Herrschaftsstruktur des Irak zugleich das Institutionengefüge der Vereinten Nationen zerstören. Die Weltpolitik wird in diesem Fall sozusagen in den vorvertraglichen Zustand zurückgebombt.
Allerdings beruht die Bush-Doktrin auf einem gefährlichen Irrtum. Weder lassen sich die Werte der offenen Gesellschaft, der Freiheit und der Demokratie mit kriegerischen Mitteln in die Herzen und Hirne der Menschen einbrennen, noch schafft ein präventiver Militärschlag jene Sicherheit, die der amerikanische Präsident seinen Landsleuten und der Welt verspricht.
Die Positionen Amerikas und Europas, die scheinbar völlig unvereinbar sind, ergänzen einander näher besehen dadurch, dass sie sich wechselseitig kritisch beleuchten. Die europäische Option »make law, not war« kann zu einer sozialromantischen Lebenslüge dann werden, wenn die militärisch-sicherheitspolitische Komponente ausgeklammert wird. Genau diesen Mangel deckten die Balkan-Kriege auf: Schon Gewaltkonflikten auf ihrem eigenen Kontinent stehen die Europäer hilflos gegenüber.
Die Überwindung der kriegerischen Blutgeschichte Europas kann zu dem Fehlschluss verleiten, allein eine pazifistisch gewendete Polit-Ökonomie führe zu Versöhnung und Frieden. Deshalb demontieren militärische Konflikte die Europäische Union, die als Wirtschafts-, nicht aber als Militärmacht begründet wurde. Diese Nichtexistenz Europas hat einen schlichten Grund: Es gibt keine europäische Eingreiftruppe. Noch nicht. Vielleicht kommt sie in diesem Jahr. Und auch mit einer solchen militärischen Komponente wird die Europäische Union sich niemals selbst, geschweige denn andere, vor den Gefahren des massenmörderischen Terrorismus schützen können.
Darüber täuscht Europa sich gern hinweg: Ohne die militärische Hegemonie der USA wäre die Sozialromantik der europäischen Versöhnungspolitik schnell ausgeträumt. Die Übermacht der USA hat auch ihre innereuropäische Ursache, und zwar im kollektiven Verzicht auf Gewaltmittel. Erst dann, wenn dieser Mangel eingesehen und behoben wird, wird auch eine Außenpolitik der Europäischen Union möglich, die diesen Namen verdient. Sie wird eine Antwort auf die Gretchenfrage nach der Autorität der gemeinsamen Institutionen verlangen. Eine europäische Außenpolitik wird es nur geben können, wenn die Hauptstädte erkennen, dass Kompetenzen nach Brüssel abzugeben sie nicht schwächt, sondern stärkt, weil diese kosmopolitische Wendung den Einfluss aller EU-Staaten in der Welt vergrößert.
Dass globale Gefahren transnationale Gemeinsamkeiten stiften können, ist auf diesem beschwerlichen Weg ein notwendiger Antrieb. Umwelt- und Friedensaktivisten zehren davon in besonderer Weise - und erleben es jetzt als irritierend, dass ihr Anspruch, die Weltprobleme lösen zu können, ausgerechnet vom US-Militär erobert wird: Das Pentagon hat die Legitimationskraft der Weltprobleme entdeckt und versucht nun, daraus Nutzen zu ziehen. Mit und in der Weltrisikogesellschaft ist ja eine autonome Quelle der weltpolitischen Legitimation von Herrschaft entstanden. Globale Akteure - Staaten genauso wie advokatorische und zivilgesellschaftliche Bewegungen, nicht zuletzt auch Konzerne - können sich darauf berufen, Selbstgefährdungen der Menschheit abzuwehren oder doch diesen entgegenzuwirken.
Der Schrecken, den die Wahnsinnsbilder von New York am 11. September 2001 massenmedial globalisiert haben, hat demokratische Abstimmung de facto ersetzbar gemacht. Die militärisch und wirtschaftlich mächtigste Nation der Welt sieht sich von der Mehrheit der Menschen schockartig, gleichsam per Akklamation ermächtigt, solche Gefahren abzuwenden. Die Militärweltmacht USA sprengt die Ketten internationaler Verträge und erschließt sich im terroristischen Risiko eine Quelle für einen globalen Populismus der Gefahrenabwehr.
Die Geschwindigkeit, mit der die Bush-Regierung die alten Kulissen der Weltpolitik abräumt und neue Dogmen an ihre Stelle setzt, hat etwas Umstürzlerisches. Paradoxe Folge ist eine Welle eines neuartigen proamerikanischen Anti-Amerikanismus, der die amerikanischen Werte, die in den Vereinten Nationen oder in der Sorge um die Menschenrechte ihren institutionellen Ausdruck gefunden haben, gegen den antiamerikanischen Bushismus verteidigt. So kritisiert der frühere Außenminister Henry Kissinger, der nun wirklich nicht im Verdacht der USA-Feindlichkeit steht: »Es kann weder im nationalen amerikanischen Interesse noch im Weltinteresse liegen, Prinzipien zu entwickeln, die jeder Nation ein unbegrenztes Recht auf einen Präventivschlag gegen selbst definierte Bedrohungen ihrer eigenen Sicherheit zusprechen.« Was die US-Regierung sich herausnimmt, kann auch die indische Regierung gegen Pakistan (zur Bekämpfung des Terrors in Kaschmir) geltend machen oder die chinesische Regierung gegen Taiwan (um einer Unabhängigkeitserklärung zuvorzukommen) und so weiter.
Die Schöne Neue Welt der militärischen Sicherheit, die die Bush-Administration verspricht, stürzt die reale Welt in einen Abgrund von Gefahren, weil sie die Logik des Vertrages durch die Logik des Krieges ersetzt. Nicht zuletzt wird den amerikanischen Soldaten aufgebürdet, was nur Verträge, die immer auch auf Vertrauen beruhen, leisten können: kontrollierte Abrüstung atomarer, biologischer und chemischer Waffen. Nirgendwo ist das evidenter als in den Plänen für einen Krieg gegen die Verkörperung des »Bösen«, Saddam Hussein, der - so Bush - über die Kapazität verfügt, Massenvernichtungswaffen herzustellen und einzusetzen. Während die US-Regierung sich auf den Feldzug gegen Bagdad vorbereitet, verwirft oder entwertet sie systematisch alle Verträge und Grundlagen, die das tödliche Arsenal verbieten und vernichten könnten. Selbst im Idealfall eines Sieges mit begrenzten Toten auf der eigenen Seite und unerfassten »Kollateralschäden« auf der Seite des Gegners hätte man, was die Verbreitung der massenmörderischen Waffen betrifft, wenig erreicht, es sei denn, man griffe zu den bewährten Mitteln internationaler Verträge und Kontrollen: Ohne wirksame Vereinte Nationen ist auch keine innere Sicherheit der USA möglich.
Der staatlich genährte Terrorismus mitsamt den Gefahren, die von chemischen, biologischen und atomaren Waffen ausgehen, eröffnet für die Bekämpfung immer zwei Wege: die Kriegsoption und die Vertragsoption, das heißt die praktische Stärkung internationaler Konventionen, um bei den massenmörderischen Waffen weiter abzurüsten. Dass Nordkorea vor kurzem behauptete, zum Besitz atomarer Waffen berechtigt zu sein, unterstreicht einerseits, wie richtig Bush liegt, auch dem meineidigen Hussein zu misstrauen. Andererseits beweist dies einmal mehr, dass nur eine globale Koalition, gestützt auf internationale Verträge und legitimiert durch den Sicherheitsrat, dem atomaren Terror entgegentreten kann und muss. Da es jedoch die USA strikt ablehnen, sich selbst den Abrüstungsnormen zu unterwerfen, die sie von allen anderen Staaten notfalls mit militärischer Gewalt einfordern, zerstören sie die vertragliche Sicherheitsarchitektur, die auch für amerikanische Bürger letztlich den einzigen Schutzschild darstellt.
Ein großer Fehler wäre es, aus der energischen Verkündigung der Bush-Doktrin zu schließen, sie habe ihre Ziele schon so gut wie erreicht. Setzt doch militärische Hegemonie eine Art Dauermobilisierung der Bevölkerung voraus, und zwar nicht nur im eigenen Land, sondern auch bei den Verbündeten - und dies zurzeit unter den Bedingungen einer chaotisch-anarchistischen, krisengeschüttelten Weltwirtschaft. Die glaubwürdige Bereitschaft, sich politisch und militärisch in die Angelegenheiten anderer Länder einzumischen, ist nicht nur außerordentlich teuer. Sie steht auch unter dem Anspruch, immer und überall präsent zu sein und mitzureden, was die Managementfähigkeiten jeder Regierung bei weitem übersteigt und die Akteure unter permanenten Stress setzt.
Auf Dauer kann man nicht beides haben - die militärische Allpräsenz und die führende Position auf dem Weltmarkt. Präventivkriege gefährden oder zerstören die ökonomischen Vorsprünge, weil die Kosten der militärischen Hegemonie früher oder später als Wettbewerbsnachteile zu Buche schlagen. Ist es vielleicht nicht der Aufstieg, sondern der Fall der Pax Americana, der sich hier ankündigt?
Der alte militärische Imperialismus hat, nicht zuletzt ökonomisch, ausgedient. Aber es kann lange, möglicherweise einen Weltkrieg lang dauern, bis diese Einsicht Fuß fasst.