BAYERN Mal bohren
Der Münchner Rechtsanwalt Erich Bohrer rüttelte am bayrischen Gewissen: »Wollen wir nicht verhindern, daß sich jeder Gauner im Frack, jede Hure im Abendkleid Bayer nennen, nur weil sie bei uns Bett und Zimmer oder Bungalow mit Swimmingpool haben?«
Advokat Bohrer, Vorsitzender des Bayernpartei-Landesschiedsgerichts; vertritt mit Argumenten solchen Genres den herkulischen Gründer der bajuwarischen Heimat-Partei, Ludwig Max Lallinger, vor dem bayrischen Verfassungsgerichtshof. Lallingers Ziel: Die Verfassungsrichter sollen die Regierung in München »verpflichten, dem Bayrischen Landtag unverzüglich den Entwurf eines Gesetzes betreffend die bayrische Staatsangehörigkeit vorzulegen«.
Lallinger: »Es geht mir ums Prinzip. Ich fühle mich durch die bewußte Untätigkeit der Regierung in meinen staatsbürgerlichen Rechten beeinträchtigt.«
Sein Verlangen schöpft Kernbayer Lallinger zunächst aus der bayrischen Verfassung vom 2. Dezember 1946. Dort fixiert bereits im ersten Abschnitt ("Die Grundlagen des Bayrischen Staates") der Artikel 6: »Die Staatsangehörigkeit wird erworben
1. durch Geburt;
2. durch Legitimation;
3. durch Eheschließung;
4. durch Einbürgerung.«
Außerdem:. »Das Nähere regelt ein Gesetz über die Staatsangehörigkeit.«
Zwar hatten Bayerns Verfassungsgeber schon im Herbst 1946 ein entsprechendes Gesetz ausgearbeitet, aber dann lähmten die Amerikaner den legislativen Fortschritt. Erst am 3. April 1952 faßte - auf Anstoß durch die Bayernpartei - das Münchner Parlament den bis heute nicht vollzogenen Beschluß:
»Die Staatsregierung wird ersucht, dem Landtag in Bälde einen Gesetzentwurf über die Regelung der bayrischen Staatsangehörigkeit... in Vorschlag zu bringen.«
Ludwig Max Lallinger, einer der Unterzeichner des Antrags, zählte im Plenum vier Gegenstimmen und eine Enthaltung: So einig war- sich das Isar-Parlament schon lange nicht mehr gewesen.
Parteigründer Lallinger und seine Gefährten bohrten in unregelmäßigen Abständen nach, wurden aber jeweils um Nachsicht gebeten: Erst müßten in Bonn die sogenannten Staatsangehörigkeitsregelungsgesetze erlassen werden.
Mitte 1956 war in Bonn die Arbeit vollendet und in München ein Bayernparteiler Innenminister geworden: August Geislhöringer. Das Innenministerium beeilte sich nun, das gewünschte Gesetz zu entwerfen, und Amtschef Geislhöringer praktizierte es demonstrativ vorweg: Auf Hotelmeldezetteln trug er sich in der Rubrik Staatsangehörigkeit stets als »bayrisch« ein.
1957 jedoch übernahm die CSU die Macht in Bayern und entschied, die Angelegenheit möge nicht weiter »verfolgt werden, weil die bayrische Staatsangehörigkeit keine rechtliche und darum wohl auch keine praktische Bedeutung erlangt«.
So realistisch diese Auffassung sich selbst vor einem Parlament ausnehmen mochte, das einst das Bonner Grundgesetz abgelehnt hatte - Artikel 44 der bayrischen Verfassung aber fordert nach wie vor einem bayrischen Ministerpräsidenten zwei Qualifikationen ab. Er muß
- »das 40. Lebensjahr vollendet« haben
und
- »Bayer« sein.
»Wie kann der Bayrische Landtag«, begehrte das MdL Lallinger im Sommer 1962 zu wissen, »dieser Verfassungsbestimmung verbindlich Rechnung tragen, wenn nicht rechtsverbindlich festgestellt ist, wer überhaupt ein Bayer ist?«
Innen-Staatssekretär Heinrich Junker: »Die Feststellung, wer Bayer ist, um einen bayrischen Ministerpräsidenten zu erküren, hat bisher keinerlei Schwierigkeiten gemacht. Ich traue der bayrischen Bevölkerung in diesem Hohen Hause so viel zu, daß es sicherlich auch in Zukunft keines Gesetzes bedarf, um zu wissen, wer als Bayer bayrischer Ministerpräsident werden kann.«
Die Bayernpartei wertete diese CSUReplik als »Popularitätshascherei«, und Anfang 1963 hielt Lallinger seine Stunde für gekommen: Bayerns oberster Föderalist, CSU-Ministerpräsident Goppel, deklamierte jählings, es sei »erfassungsrechtlich und verfassungsgeschichtlich unzutreffend«, seine Heimat ein »Bundesland« zu nennen. Die Staatskanzlei wies die einheimischen Behörden darauf hin, »daß im amtlichen Verkehr die Bezeichnung ,Freistaat Bayern' zu verwenden ist«.
Sofort faßte Lallinger _ im Landtag nach: Die Regierung sollte endlich den Entwurf für ein Staatsangehörigkeitsgesetz des Freistaats vorlegen. Der CSUMinisterrat aber lehnte Lallingers Ansinnen wegen »zahlreicher rechtlicher Schwierigkeiten« ab. Und auch der Sozialdemokrat Hoegner behauptete im Parlament, das Kabinett könne nicht verpflichtet werden, den Landtagsbeschluß zu vollziehen.
Lallinger ("Das wollen wir doch sehen") engagierte den ausdrucksstarken Rechtsanwalt Bohrer. . Der: Advokat reichte im Auftrag Lallingers eine Verfassungsbeschwerde ein und versäumte nicht, Artikel 55 Absatz 2 der Verfassung anzuführen: »Der Staatsregierufig und den einzelnen Staatsministerien obliegt der Vollzug der Gesetze und Beschlüsse des Landtags.«
In ihrer etwas mühsamen Erwiderung nannte die Regierung den Landtagsbeschluß eine »Empfehlung« und vermittelte Bohrer damit neue Munition. Der Anwalt in seinem jüngsten Schriftsatz: »Auf eine mündliche Verhandlung wird seitens des - Beschwerdeführers nicht verzichtet.«
Warum es in der mündlichen, Verhandlung gehen wird, ist-dem Kernsatz von Lallingers Beschwerde zu entnehmen: »Es würde sicherlich dem Sinn der Verfassung widersprechen, sollte jeder Zugewanderte, der gerade eben erst seinen Wohnsitz in Bayern begründet hat, sich dadurch sofort als möglicher Ministerpräsident des Freistaates Bayern qualifizieren.«
Partei-Gründer Lallinger
Angst vor Zugereisten