UNTERNEHMEN / RHEINSTAHL Mal mit Nold
Ein Jahrzehnt lang war der Darmstädter Kohlenhändler Erich Nold, 39, in Deutschlands feiner Bankenwelt nicht salonfähig. Dem Kritiker auf allen großen Aktionärsversammlungen entzogen Manager und Banken mehrfach das Wort oder setzten ihn kurzerhand vor die Tür. Der Münchner Privatbankier Hans Christoph Freiherr von Tucher kanzelte ihn als »ferngelenkten Störenfried« ab.
Letzte Woche aber sagte Rolf Diel, Düsseldorfer Junior im Vorstand der Dresdner Bank: »Warum nicht mal mit Herrn Nold in einem Boot sitzen.«
Zu Nold ins Boot stiegen nach der Dresdner auch die Deutsche Bank und Commerzbank. Was der Opponent seit Wochen fordert, wollen nun auch Deutschlands Geldkonzerne unterstützen: Die Hauptversammlung des Essener Rheinstahl-Konzerns soll am 23. August Vorstand und Aufsichtsrat das Testat für gute Arbeit verweigern. Die Banken wollen die Rheinstahl-Manager zwingen, sich einer Sonderprüfung durch unabhängige Treuhänder zu unterziehen.
Der Plan, die Stimmen von 80 000 Rheinstahl-Aktionären, die ihre Papiere in Grollbank-Safes deponierten, gegen die Firmenbosse in die Waagschale zu werfen, bricht alle Bankentradition. Denn gemäß einer goldenen Bankregel stehen Deutschlands Depotverwalter stets fest zu den Firmen-Verwaltungen, denen sie auf vielerlei Weise verbunden sind. So halten bei fast allen Aktiengesellschaften Banker die wichtigsten Aufsichtsratsplätze besetzt. Bankenvertreter entscheiden über Kredite und Investitionsprogramme und dirigieren Manager ihres Vertrauens in die Firmen-Vorstände.
Erstmals bei Rheinstahl platzte das Interessen-Kartell. Das ehedem zu den reichsten Ruhrkonzernen zählende Unternehmen hat sich durch Fehldispositionen in eine Krise manövriert.
Statt den Konzern straff zu führen, ließ der langjährige Generaldirektor Werner Söhngen die vielen Tochtergesellschaften selbständig operieren. Von seinen besten Töchtern trennte er sich gar. So veräußerte er 1959 ein großes Paket Aktien der Dynamit-Nobel AG an Friedrich Flick, der das ehemalige Sprengstoff-Unternehmen zum Zentrum seiner florierenden Chemie-Gruppe ausbaute.
Die nicht minder gewichtige Beteiligung an der Handelsunion AG überließ Söhngen 1961 dem Konkurrenten Thyssen. Neuerwerbungen wie etwa die Henschel-Werke, für die Söhngen 1964 rund 110 Millionen Mark zahlte, brachten nicht den erwarteten Gewinn.
Im letzten Jahr buchten Rheinstahl und Töchter (Umsatz vier Milliarden Mark, 77 000 Beschäftigte) einen Verlust von 100 Millionen Mark. Zur gleichen Zeit machten die Stahlkonkurrenten Hoesch, Mannesmann und Thyssen trotz der Absatzflaute Gewinne zwischen 34 und 60 Millionen. Während alle übrigen Stahlriesen unverändert zwischen sechs und acht Prozent Dividende zahlten, hatte Essens Rheinstahl für seine Aktionäre keinen Pfennig übrig. Im Frühjahr dieses Jahres verließ Söhngen als geschlagener Mann die Direktions-Etage, sein Nachfolger wurde das langjährige Mitglied des Rheinstahl-Vorstands Ekmar Schoeneberg, 61.
Mit steigenden Verlusten wuchs der Ärger der 120 000 Aktionäre. An ihre Spitze setzte sich der Darmstädter Nold, der sich seine nominal 350 000 Mark Rheinstahl-Anteile nicht durch Dividenden-Verzicht »vermiesen« lassen wollte.
Im Mai gründete der in ungezählten Hauptversammlungs-Schlachten gegerbte Kohlenhändler eine »Notgemeinschaft der Rheinstahl-Aktionäre«. In Rundschreiben ("Liebe Mitaktionäre") rief er die Rheinstahl-Geschädigten auf, den Dividendenausfall nicht hinzunehmen. Nold: »Das größte Verbrechen, was man uns zufügen kann.« Um zu verhindern, daß die Großbanken mit den Depotstimmen der Aktionäre abermals Vorstand und Aufsichtsrat des gescheiterten Unternehmens pauschal entlasteten, forderte Nold die Kleinaktionäre auf, ihr Stimmrecht den Banken zu entziehen und mit Nein zu stimmen.
Sympathisierende Rheinstahl-Teilhaber schickten dem Nold Geldspenden ins Raus, mit denen er in den letzten Wochen Anzeigenserien in allen überregionalen Tageszeitungen placierte. Darin kündigte er für den 23. August Sternfahrten zum Essener Rheinstahl-Haus an und bat um Anmeldung für Sonderzüge und -busse.
Der Lärm, den der Kohlenhändler veranstaltete, lockte weitere enragierte Opponenten herbei. Als Hauptversammlungsredner kündigten sich der routinierte Kurt Fiebich aus Dortmund und der Berliner Reinhard Onnasch an, dem auf der letzten Veba-Matinee Polizisten aus dem Saal halfen.
Um das Protest-Feuer unter Kontrolle zu halten, schloß sich die Dresdner Bank der Nold-Forderung nach einer Sonderprüfung als erste an. Eilends folgten auch die Deutsche Bank und die Commerzbank.
Am Freitag letzter Woche zogen sie die letzte Konsequenz aus dem Aktionärsprotest. Zusammen mit den übrigen 18 Mitgliedern des Rheinstahl-Aufsichtsrats ernannten die Vertreter der drei Großbanken den ehemaligen Ford-Verkaufsvorstand Toni Schmücker, 47, zum neuen Generaldirektor des bedrängten Unternehmens.
Damit wird am 23. August ein Mann die Firmenpolitik zu vertreten haben, für die er nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Bereits am Freitagabend appellierte Schmücker an die Firmenkritiker: »Gebt Rheinstahl eine Chance.«